Deutsche Aussteigerträume auf Mallorca

Literarisch recht anspruchsvoll und deshalb weniger leicht verdaulich als die später verfaßten Aussteigergeschichtchen kommt der österreichische Schriftsteller E. A. Rauter mit seinen sieben essayistischen Skizzen unter dem etwas dürftigen Titel »Mallorca – Das Land hinter der Bühne« (1988) daher.

Rauter, der sich bereits Ende der 1950er-Jahre mit Aushilfsjobs auf der Insel verdingt hatte, versucht auf verstiegen gediegene Art dem geduldigen Leser das »unbekannte Mallorca«, eben »das Land hinter der Bühne« näherzubringen, wobei wir uns unter der Bühne wohl Touristenrummel à la Playa de Palma vorstellen sollen. Seine Ausführungen, auch wenn sie sich vorwiegend auf die späten 1950er- bis Ende 1980er-Jahre beziehen, besitzen einen eher zeitlosen Charakter und setzen der hektischen Kurzlebigkeit unserer Tage die sympathisch antiquierte Haltung des intellektuellen Müßiggängers entgegen, abzulesen schon an den wortspielerischen Kapitelüberschriften wie »Der alte Clan und das Meer« (über den Niedergang des Landadels) oder »Die Lageristen des Neumonds« (Hommage ans Schmuggeln, den Nationalsport Mallorcas). Der berühmt-berüchtigte mallorquinische Milliardär Juan March erfährt eine durchaus kritische Würdigung unter der angenehm klingenden Überschrift »Mozart des Geldes«. Die exklusive Welt des Luxushotels Formentor handelt Rauter ironisch-respektvoll unter dem Etikett »Großes aus dem Diesseits« ab.

Lehrreiche Urlaubslektüre bieten der bekannte Fernsehautor Heinrich Breloer und Frank Schauhoff in ihrem Inselroman »Mallorca, ein Jahr« (Kiepenheuer & Witsch 1995), mit dem sie »Mallorca-Liebhabern« und denen, »die es werden wollen«, das »wahre Mallorca«, das »hinter den Mauern der Touristenghettos« sein »eigenes Leben führt«, nahebringen wollen. Doch der Plot der Liebesgeschichte eines Aussteigers für ein Jahr leidet etwas unter dieser Bildungsmission und dem Ehrgeiz, möglichst viele landeskundliche Details in den Erzähltext zu integrieren: »Nach einem Sommer gewinnt das Leben auf Mallorca wieder seinen alltäglichen Rhythmus von Arbeit und Ausruhen zurück. Große, ausgelassene Volksfeste, die Grandes Verbenas, die jeder Ort für seinen Schutzpatron ausrichtet, und die Sommerkirmes, die bis in die frühen Morgenstunden dauert und die beim ersten Sonnenstrahl mit Cuartos, diesen wunderbar leichten Bisquits und heißer Schokolade, beendet werden, all das liegt schon weit zurück. (...) Das ist die Zeit, wo die Felder wieder bestellt werden müssen. Das Winterfutter wird ausgesät, Bohnen und Roggen vor allem. Der Oktober ist die Zeit, Kakteen zu pflanzen, deren Früchte dann im Sommer geerntet werden. Eine eigentümliche Frucht, die zu Marmelade verarbeitet wird oder frisch gepflückt als Nachspeise auf der Insel eine Spezialität darstellt.«

Das touristisch bislang kaum beachtete Provinzstädtchen Llucmajor kann sich immerhin für die Imagepflege bedanken, denn »der Leser wird heimisch auf dem Marktplatz von Llucmajor, wo alle Fäden zusammenlaufen, und in der Bar Colón, wo der Losverkäufer Enrique und der Friseur Augustín die Inselgerüchte weitertragen.« Dort also ist das wahre Mallorca.

In ganz ähnlichem Stil führt Hansjörg Martin (1920-99), Autor zahlreicher Krimis und Kinderbücher, den Leser durch »Zwölf Monate Mallorca« (1994). Zum Glück erspart er ihm eine unglaubwürdige Rahmenhandlung. Seine Impressionen von der Baleareninsel, von Land und Leuten, konzentrieren sich auf den Südosten, genauer: auf die Gegend von Santanyi und Felanitx, die von Schriftstellern ebenfalls ziemlich stiefmütterlich behandelt wurde. Darin liegt ohne Zweifel ein Verdienst des Autors: »Das Licht, die Luft, das Klima – und unser Leben hier – sind unvergleichlich schön!«. Und damit ist ja alles gesagt.

1997 versuchte Michael Böckler, Journalist und Kommunikationswissenschaftler, mit seinem Werk »Sturm über Mallorca« 2 Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, indem er einen Roman als Reiseführer schrieb und sich redlich mühte, spannende Unterhaltung mit solider Sachinformation zu einem harmonischen Ganzen zu verbinden. Im Zweifel wird der Leser die häufig etwas gewollt integrierten Inselinfos (zuverlässig recherchiert!) einfach überblättern und sich der märchenhaften Geschichte vom Untertauchen des attraktiven und omnipotenten Wirtschaftskriminellen Felix Reiter auf Mallorca hingeben. Da werden Aussteigerträume Wirklichkeit – zu schön, um wahr zu sein!

Die flaue Fortsetzung dieser Geschichte erschien 2003 unter dem paradox anmutenden Titel »Nach dem Tod lebt es sich besser«.

Noch exotischer geht es in Christoph Gottwalds Mallorca-Roman »Endstation Palma« zu (1998). Dessen hanebüchene Geschichte, eine Art Sex & Crime Story, krankt leider gleichzeitig an mehreren Punkten; zum einen weist sie mit dem coolen, aber weichherzigen Manuel Blum, einem Gelegenheitsjournalisten und Privatdetektiv aus Zufall, einen selbstverliebten (und deshalb eher unsympathischen) »Helden« auf, dem anscheinend keine attraktive Frau auf der Insel widerstehen kann (»Als Sylvia mich kommen sah, reckte sie die Fäuste in die Luft und jubelte, als hätte sie gerade einen Elfmeter verwandelt«). Zum anderen richtet der Autor, einstiger Student der Germanistik (!), durch die aufgesetzte Schnoddrigkeit seines Protagonisten ein sprachästhetisches Desaster an, das an vielen Stellen die Lektüre zu einem Ärgernis macht (»Seine Seele schwamm schwerelos im See des lange entbehrten Whiskys ...«). Und so irrt unser Manuel auf der Suche nach der Tochter seines geheimnisvollen Auftraggebers über die Insel und spielt – wenn die sexbesessenen Residentinnen ihn wieder zu Atem kommen lassen – auch noch den onkelhaften Reiseführer, der uns Ahnungslosen die Perlen des Inselparadieses an einer billig glitzernden Kette aufreiht. Die ganze Story ist so abgeschmackt, daß dem kritischen Leser mit dem rastlosen Helden am Ende nur schlecht werden kann: »Ich hielt den Mund fest geschlossen, machte einen Hechtsprung und krallte mich an den Rand der Kloschüssel. Es ging kein Spritzer daneben.« Glück gehabt!