Ein Städteführer durch Schleswig-Holsteins Metropole an der Förde
Der Beiname„Sailing City“ weist natürlich auch auf die Kieler Woche hin, aber Kiel verfällt in den übrigen 358 Tagen des Jahres nicht in Erstarrung. In der Landeshauptstadt mit einem Einzugsgebiet von einer halben Million Menschen findet sich reichlich Auswahl an Freizeit- und Kulturangeboten. Wie kaum eine andere deutsche Großstadt liegt Kiel mit seinem breiten und tiefen Ostsee-Fjord unmittelbar am Meer. Früher fühlten sich viele Besucher um Kiel herum wohler als in der Stadt, ob draußen am Strand oder in der lieblichen holsteinischen Landschaft. Aber in den letzten Jahrzehnten hat Kiel seine tristen Nachkriegszeiten hinter sich gelassen und ist jederzeit einen Aufenthalt wert.
Ein- und Ausfahrt am Nordostseekanal: Holtenau
Der schönste Wochenendspaziergang Kiels beginnt mit einer Minute auf Seereise. Die kostenlose Kanalfähre befördert Fußgänger und Räder vom Stadtteil Wik nach Holtenau, wo der nach dem Beginn in Brunsbüttel schleusenfreie Kanal eine gesicherte Toreinfahrt in die Ostsee braucht. Aber wer die Uferalleen im Stadteil Holtenau passiert hat, stößt zunächst auf Erinnerungsstücke einer älteren Wasserstraße. Ein imposantes Packhaus und ein gekrönter Obelisk aus dänischen Zeiten erinnern an den alten Eiderkanal, der die Kieler Förde erstmals mit Rendsburg und auf dem weiteren Flusslauf mit der Nordsee verband. Das technische Wunderwerk von 1784 verhalf einst sogar Jules Verne zu einem sicheren Segeltörn vom Atlantik in die Ostsee.
Noch zu Lebzeiten des Begründers der Science-Fiction wurde der heutige Kanal eröffnet, militärische Pläne führten bald zu seiner Verbreiterung auf Schlachtschiffgröße. An den kaiserlichen Prunk der Eröffnungsfeiern erinnert heute der gut erhaltene Backsteinleuchtturm am „Fördeblick“. Der dorthin führende Thiessenkai hat sich vom Schiffsausrüster zu einer Freizeitzone gewandelt. Vor allem am Sonntag wird er belebt durch Flaneure, die Crews der anliegenden Yachten , Kaffeegäste und sogar einige Tanz-Fans.
Die weitläufigen Schleusenanlagen des NOK sind in Teilen zur Besichtigung freigegeben. An beiden Ufern gibt es zudem für Zaun- und Fenstergäste gute Gelegenheiten, die Schiffahrt aus der Nähe zu begutachten. Auf Kaffeetisch oder Stehtresen sollten griffbereit ein Fernglas und eine Tracking-App mit internationalem Schiffsregister liegen.
In der alten Seebadeanstalt , deren weißgetünchte Bretterkabinen ein rühriger Kreis von Einheimischen einladend erhält, lässt sich die Wuhling vor den Holtenauer Schleusen auch vom Fördewasser aus betrachten.
Großer Hafen für kleine Schiffe: Schilksee
Am Stadtrand weit nördlich vom Nordostseekanal strahlt das Segelzentrum Schilksee den Charme der Siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts aus: Betonarchitektur mit Blick auf die Außenförde, die seit den Olympischen Spielen von 1972 durch eine Schnellstraße mit der Kieler Innenstadt verbunden ist. Selbst für Segler ist dieser Bereich kaum mehr als ein riesiger Parkplatz für Boote und PKWs. Eine Ausnahme bildet natürlich der Regattabetrieb der Kieler Woche, wenn sich die internationale Elite der Segler und Surfer zu unzähligen Wettfahrten und einigem Remmidemmi am Abend trifft.
Ins Herz der Stadt und immer am Wasser: die blaue Kiellinie
Ein wenig Grau im Blau: am Marinehafen
Am Nordende von Kiels eindrucksvoller Fördepromenade ist das Blau der Ostsee unübersehbar mit Grautönen durchsetzt, denn hier fällt der erste Blick auf die Einheiten im Hafen der Bundesmarine. Auf einer Verkehrsinsel hinter Bäumen versteckt und mit Graffiti übertüncht prangt ein anderer grauer Klotz: der Flandernbunker. Er ist ein Relikt des Luftschutzes, zugleich ein Museum mit besonderer Vorgeschichte. Jahrzehntelang brauchte Kiel eigentlich gar kein Mahnmal für seine Zerstörung im Zweiten Weltkrieg: Für alle sichtbar ragten die Trümmer eines gesprengten U-Boot-Bunkers am Ostufer in die Förde hinein.
Eines Tages wichen sie dann dem Neubau eines Fährhafens, der Kiel nun mit Klaipeda in Litauen verbindet. Sie verschwanden wie die traditionellen, historisch belasteten Namen des Marinehafens und der Uferpromenade am Westufer. Der „Verein Mahnmal Kilian“ erwarb 2001 den Flandernbunker und hat ihn mit viel Engagement als Gedenkort und Begegnungsstätte eingerichtet.
Edle Adressen an der Kiellinie
Die breite Promenade mit sauberer Trennung von Fußgängern und Radfahrern führt etwa eine Seemeile südlich von Holtenau zu einem besonderen Kiez: dem KYC, einst der kaiserliche, heute schlicht der Kieler Yacht-Club. Wegen einiger imposanter Rennyachten und Dickschiffe trägt der Bootshafen vor dem KYC auch den Spitznamen „Millionärsbecken“. Die Gastronomie im Club ist derweil nicht mehr ganz so edel, das angeschlossene Hotel bleibt aber weiterhin eine ziemlich feine Adresse. Internationales akademisches Ansehen genießt das Nachbargebäude: das Institut für Weltwirtschaft der Kieler Uni, mit modernster Mediathek im neuen Anbau.
Immer wenn in den Medien von Gutachten der „Wirtschaftsweisen“ die Rede ist, sind auch die Ökonomen von der Förde gemeint. Gegenüber dem Institut erinnern die olympischen Ringe am Torhäuschen einer Pier an die Segelwettbewerbe von 1936, die nicht in Berlin auf der Havel, sondern an der Kieler Förde stattfanden. Von hier ist es nicht mehr weit zu den Gebäuden der Landesregierung und des Parlaments, das sich seinen Plenarsaal als Aquarium mit Rundumsicht fast direkt an das Fördeufer gesetzt hat. Die Segelboothäfen werden allmählich von Bootshäusern der Ruderer und Kanuten abgelöst, auf den weiten Rasenflächen ringsum tummeln sich während der Kieler Woche deren jüngste Besucher auf der „Spiellinie“.
Aufs weite Meer hinaus: Geomar und Kreuzfahrtkai
Mit dem Aquarium des Institut für Meereskunde hat eine weitere renommierte Sparte der Kieler Uni ihren Sitz an der Kiellinie. Die vielfältige Ökologie der Ostsee bietet der Forschung Aufgaben in Hülle und Fülle, aber die kleine Flotte des „Geomar“ ist mittlerweile auch bis in die Arktis unterwegs. Wer die lehrreichen Schaukästen des Instituts links liegen lässt, findet zumindest am Außenbecken der Seehunde und Robben eine Gelegenheit zum Innehalten. Das Aquarium wirkt vielleicht weniger spektakulär als das Ozeanum in Stralsund, ist aber allemal einen Besuch wert. Am südlichen Endpunkt der Kiellinie, dem früheren Oslokai, legen seit einigen Jahren die Kreuzfahrtschiffe an, auf deren wachsende Umschlagszahlen die Stadt stolz sein darf.
Kiel ist mittlerweile der wichtigste Ausgangs- und Zielhafen von Ostsee- und Nordmeertörns und bietet den großen Pötten für ihre Liegezeit mittlerweile Landstrom-Anlagen, um die Diesel-Emissionen der Schiff-Schornsteine zu vermeiden. Die Passagiere können bei längerer Wartezeit auch einen Eindruck von der Stadt hinter ihremTransferhafen erhalten, wenn sie den Busservice hop-on-hop-off nutzen.
Versteckte Schönheiten: die grüne Kiellinie
Kunst, Konzert und Botanik rund um den „Schlossgarten“
Zum Ausgangspunkt für den Rückweg wählen wir den Schlossgarten gegenüber dem Kreuzfahrt-Kai. Das Kieler Schloss war nie ein großartiges Gebäude, ein Brand und die Kriegszerstörungen haben fast nichts davon erhalten. Mit dem „Schloss“ ist heute ein moderner Konzertsaal gemeint, dem außer Zweckmäßigkeit selten etwas Gutes nachgesagt wurde und der nun saniert wird. Immerhin war das Anwesen der Herzöge von Holstein-Gottorf auch der Geburtsort eines Zaren: Peter der Dritte, den ein Denkmal am historischen Anbau des Schlosses würdigt, spielte als Gemahl von Katharina der Großen allerdings keine rühmliche Rolle. Wohl eher angesprochen werden heutige Kieler von einer anderen Statue gleich nebenan.
Hier beugt sich ein Arbeiter in Blaumann und Schutzhelm über ein Werkstück, gegenüber am Ostufer der Förde ragen dazu die Werftkräne in den Himmel.Vorbei am wilhelminischen Zierat des Schlossgartens führt der Spazierweg weiter zum Foyer der Kieler Kunsthalle. Sie behauptet einen guten Platz in der Liga der deutschen Landesmuseen für überlieferte und zeitgenössische Kunst . Den reichen Bestand ihrer Sammlungen versteht sie in originellen Zusammenhängen zugänglich zu halten. Leider ist sie genauso sanierungsbedürftig wie der Konzertsaal im Schloss und muss mindestens bis 2028 schließen.
Das waldige Westufer der Förde wurde mit dem Aufschwung Kiels im Kaiserreich zum Villenviertel mit sehr viel Grün drumherum. Die spätere Erweiterung der Universitätsklinik nagte am Baumbestand, aber zum Glück wurde aus dem Alten Botanischen Garten nie ein Hubschrauber-Landeplatz, was eine Zeitlang ernsthaft erwogen wurde. Die Anpflanzungen von einst haben sich in stattliche Höhen aufgeschwungen und stehen auf dem eher kleinen Areal mittlerweile so dicht, dass sie dem Namen ihres Stadtteils, „Düsternbrook“, alle Ehre machen. Das Gartenhäuschen mit Fachwerk-Schmuck beherbergt mittlerweile das Literatur-Haus Kiel. Ein schönerer Platz für Lesungen im kleinen Rahmen mit Begegnung und Gespräch lässt sich kaum vorstellen.
Wald und Parks und Villen an der Förde: der Düsternbrook
Die steilen Moränenhügel der Krusenkoppel gegenüber den Gebäuden von Landesregierung und Parlament dienen im tiefsten Winter als Rodelbahnen und umrahmen eine Freilichtbühne, die während der Kieler Woche und beim Schleswig-Holstein Musikfestival gelegentlich zu Leben erwacht. Auf dem Gelände des benachbarten Tennisklubs schwang Angelique Kerber zum erstenmal den Schläger, denn ihr Vater war dort Platzwart. Eine weitere Berühmtheit aus dem Düsternbrook ist der Schauspieler Axel Milberg, der seiner Heimatstadt lange Jahre als „Tatort“-Kommissar verbunden blieb.
Dem Stadtteil Kiels, in dem er als Sohn gutsituierter Eltern seine Kindheit und Jugend verbrachte, hat er einen autobiographischen Roman gewidmet. Vom einst sehr weitläufigen Uferwald des Düsternbrook hat sich ein schöner Restbestand an hohen Buchen erhalten. Unweit von Wald und Krusenkoppel befindet sich auch Kiels edelste Adresse für Übernachtung und Bewirtung, der „Kieler Kaufmann“ mit angeschlossenem Gourmetlokal Ahlmanns.
Der gewachsene Wald geht nach ein paar Querstraßen in Parks über, denen weitaus mehr Fläche gegönnt wurde als dem Alten Botanischen Garten. Nach seinem ursprünglichem Zweck nennt man hier einen ansehnlichen Landschaftspark auch heute noch die Forstbaumschule. Die gleiche Bezeichnung verwenden die Kieler für das historische Gebäude, in dem einst Forstwirte ausgebildet und nun ein Biergarten betrieben wird, der den Vergleich mit entsprechenden Münchener Lokalitäten ohne weiteres besteht.
Mit dem Diederichsen-Park verlängert sich der Stadtgarten der Forstbaumschule zur Kiellinie hin. Versteckt am Ende einer Villen-Allee eröffnet eine begrünte Treppenanlage den „Hirschfeld-Blick“ über die Kieler Außenförde bis zum Horizont der Ostsee.
Kleine Inseln im Häusermeer
Im Vergleich mit grandiosen Hansestädten wie Lübeck oder Stralsund wirkt Kiel städtebaulich eintönig. Man findet keine echte Altstadt. Außerhalb der blauen und grünen Kiellinie scheint es kaum mehr als breite Autoschneisen durch weiträumige Wohnquartiere aus der Kaiserzeit oder den Wiederaufbau-Jahren zu geben. Dazu kommt neuerdings die kalte Pracht einiger Neubauten rund um das Stadtzentrum. Immerhin ein paar Örtlichkeiten Kiels haben sich jedoch eine besondere Atmosphäre bewahrt:
Die Dänische Straße
Mit Kopfsteinpflaster, historischen Straßenlaternen und ein paar edlen Fachgeschäften ist diese kurze Fußgängerzone der einzige Abschnitt im Stadtzentrum mit ein wenig Flair. Neben Fassaden der vorigen Jahrhundertwende hat sich auch der Warleberger Hof erhalten, eine eher schlichte Stadtresidenz aus der Barockzeit. Das darin beherbergte Stadtmuseum zeigt sorgfältig kuratierte und oft thematisch originelle Austtellungen zur Lokalgeschichte, bei freiem Eintritt. Morgens um elf an jedem ersten Samstag wird das Carillon im Turm des Kieler Klosters von Hand bespielt, dieses Freiluftkonzert hat einen festen Stamm von Fans, die dann mit Klappstühlen den kleinen Rasen ringsum bevölkern oder Sitzgelegenheit und Tortenvielfalt der benachbarten Konditorei Fiedler nutzen, einer „Kieler Institution“ mit mehreren Filialen. Das Klostergebäude ist ein moderner Wiederaufbau, erhalten hat sich in ihm aber ein bedeutendes Relikt aus dem Mittelalter: die Grabplatte des Stadtgründers Graf Adolf IV. von Holstein. Gleich um die Ecke, am Alten Markt, trotz seines Namens leider nur eine Bausünde aus den Siebziger Jahren, versteckt sich in einer Nische an der Nikolaikirche ein Kunstwerk von Rang: Ernst Barlachs rätselhafte, über fünf Meter hohe allegorische Figur des „Geistkämpfers“.
Am Sartori-Kai
Im „Port of Kiel“, wie sich der Hafen weltläufig nennt, schottet man den Güterumschlag und Passagierbetrieb mit Zäunen und Verbotsschildern von neugierigen Sehleuten ab. Ohne weiteres zugänglich ist aber der Kai vor dem Lagerhaus von Sartori und Berger, einem sehenswerten Backsteinbau von 1926. Im Frühjahr stehen an diesem Gelände die Heringsangler dicht an dicht. Neben dem Lagerhaus hat auch die etwas ältere Fischauktionshalle den Zweiten Weltkrieg überstanden. Das heute darin untergebrachte Schifffahrtsmuseum veranschaulicht Kiels maritime Geschichte und Gegenwart. Im selben Haus findet man eine der schönsten Gastronomie-Locations von Kiel: Das Bistro „Der Alte Mann“ bringt beim Lunch mit Blick auf Werftkräne und Passagierdampfer das Meer mit auf den Teller. Neben der Anlegebrücke „Seegarten“ haben die zum Bestand des Museums gehörigen Schiffe ihren festen Liegeplatz.
Der Schrevenpark
In diesem Stadtpark von 1902, der lückenlos von zeitgenössischem Edelwohnraum umgeben wird, befand sich einst das artenreichste Wasservögel-Gehege im Norden Europas. Um die Wasserqualität des Teichs im Park zu retten, musste der Tierbestand aber dezimiert werden. Am Eingang zum Park trifft sich tout Kiel zum Boule und Pétanque, man hat das Bistro direkt nebenan und eine waschechte Boulangerie in der Sternstraße gleich um die Ecke.
Die Schwentine-Mündung mit der Kulturinsel Dietrichsdorf
Am Dietrichsdorfer Ufer hat die Fachhochschule Kiel einen neuen Campus gefunden. Der Mediendom der FH präsentiert faszinierende Einblicke in Welten der “virtual reality“, das Computermuseum dokumentiert den Siegeszug der elektronischen Rechner. Als Industriedenkmal hat sich die Metallgießerei der Kieler Howaldtswerke von 1884 erhalten, auch sie ist als Museum zugänglich. Im Zweiten Weltkrieg wurde auf dem damaligen Werftgelände der Bunker D errichtet, der im Gegensatz zum U-Boot-Bunker am Fördeufer nicht gesprengt und beseitigt wurde. Die FH Kiel hat hier stattdessen ein überzeugendes Projekt für die zivile Nutzung solcher Betonbauten verwirklicht.
Das Gut Knoop
Von der Anlegestelle der Fähre in Holtenau führt landeinwärts am Nordostseekanal ein Spaziergang unter dem Lärm der Straßenbrücke in eine andere Welt: an der Kieler Stadtgrenze findet sich zwischen Buchenwäldchen und Kanalufer das Gut Knoop mit einem klassizistischen Herrenhaus, das ziemlich so aussieht, wie sich die Phantasie der Leser die Landsitze des Adels bei Tolstoi und Turgenjew vorstellt. Am benachbarten Gut Projensdorf hat sich ein kurzer Abschnitt des alten Eiderkanals erhalten. Der Spaziergänger mag staunen, in welch bescheidenem Ausmaß vor dem Zeitalter der Schlachtschiffe und Ozeandampfer von der Ostsee in die Nordsee geschippert wurde.
Kiel maritim: Schifffahrt und Segeln auf der Förde
Vom Kieler Bahnhof aus steuert die Fördeschifffahrt der SFK zunächst Anlegebrücken an der Kiellinie und dann die Badeorte der Außenförde an, in diesem Linienverkehr gilt das Deutschland-Ticket. Etwas bezahlen muss der Fahrgast für die Hafenrundfahrt der Reederei, auf der man nicht nur Seemannsgarn abspult , sondern den „Butenkielern“ nützliche Orientierung über Gegenwart und Geschichte der Werften , Marine und des Fährhafen bietet. Wer sich nicht schippern lassen möchte , kann mit dem Segelcamp 24/7 den Fördewellen ganz nah kommen. Von Mai bis September stellen die Kieler Stadtwerke Jollen für Jugendgruppen und Schulklassen bereit, die unter fachlicher Anleitung den Segelsport kennenlernen möchten. Das Segelcamp an der Kiellinie steht aber auch Erwachsenen offen: z.B. für eine „gesegelte Stadtrundfahrt“ im Marinekutter oder das “sunset sailing“ auf einer kleineren Yacht.

Foto: Dieter Ludwig Scharnagl, Pixabay
Kiel on the beach
Die vom Fördedampfer angesteuerten Ausflugsziele an der Außenförde bieten im Sommer allen gängigen Ostsee-Trubel mit Promenade, Strandkörben, Segelhafen, Eisdielen und Fischbrötchen-Buden. Hier ragt allenfalls Laboe mit seinem 72 Meter hohen Marine-Ehrenmal heraus. Wind und Wetter haben das einzigartige Bauwerk leider stark in Mitleidenschaft gezogen.
Wer direkt in der Stadt in die Ostseewellen eintauchen möchte, findet dafür an der Kiellinie das Seebad Düsternbrook mit Cocktail-Bar. Schöne Naturstrände suchen viele Kieler lieber an der Eckernförder Bucht und setzen sich dafür aufs Rad oder ins Auto . Ein breiter Streifen Ostseesand ohne Kurtaxe, jottwehdeh, aber auf Kieler Stadtgebiet, ist der Falckensteiner Strand, an dessen Seebrücke der Fördedampfer anlegt. Nach dem Baden empfiehlt sich ein Spaziergang zum Leuchtturm Friedrichsort. Hier an der schmalsten Stelle der Förde sieht man Segler und dicke Pötte von ganz nah. Wer auf dem Rückweg eine Verschnaufpause braucht, nimmt sie am besten in der Kult-Kneipe „Deichperle“.

Kiel ländlich: Molfsee
In den Jahren des Wiederaufbaus und Wirtschaftswunders wurde allmählich erkennbar, wie sehr nicht nur die Großstädte, sondern auch die Dörfer ihr Gesicht veränderten. Zur Bewahrung des Erbes im Agrarland Schleswig-Holstein wurde 1965 vor den Toren Kiels ein Freilichtmuseum eröffnet, das die Schönheit und Vielfalt des traditionellen Bauens hervorheben soll. Nach und nach werden seitdem gefährdete Objekte aufgekauft, abgetragen und in Kiel-Molfsee auf einem weitläufigen Wiesengelände neu aufgebaut. Mindestens einen halben Tag sollte man sich für einen Spaziergang zwischen Scheunen, Windmühlen und Hühnerhöfen Zeit nehmen. Zu Tisch bitten danach auf dem Gelände des Freilichtmuseums der Drathenhof oder im Ort Molfsee der Bärenkrug.
Kieler Shopping
Zu den ersten Eindrücken skandinavischer Fährgäste im Kieler Hafen gehört der weithin sichtbare Schriftzug SHOPPING CENTRE, der auf die Mall Sophienhof hinweist . Kaum 500 Meter von den Kais entfernt dürfte dieser Shoppingtempel für Landgänger aus Oslo und Göteborg zumindest preislich attraktiv sein. Die sich anschließende Einkaufsmeile zwischen Bahnhof und Kiellinie kämpft allerdings mit der Kaufhauskrise, die Leerstände sind unübersehbar. Man ist sich in Kiel einig, dass für die Attraktivität des Stadtzentrums erheblich investiert werden muss. Die Anlage einer Gracht anstelle eines früheren Knotenpunkts von Autos, Bussen und Straßenbahn ist abgeschlossen, ihr Umfeld muss sich erst einmal entwickeln.
Einen überraschenden Wandel von einer Verkehrsachse zur „Flaniermeile“ hat unterdessen die Holtenauer Straße erlebt, vor allem im vorderen Abschnitt der fast fünf Kilometer langen Ausfallstraße nach Norden (bis in „die Wik“). Hier ist ein abwechslungsreicher Einkaufsboulevard mit vielen Fachgeschäften wie z.B. Freunds Schlemmermarkt (Nr. 70-72) Straßencafés u.a. Café Fiedler (Nr. 62) und (kleinen) Restaurants wie das „Poserlokal“ N.i.L. barvital (Nr. 40C) herangewachsen.
Die Arkaden am Lehmberg bieten ein schönes Beispiel für die Wiederbelebung einer Wohn- und Ladenzeile aus der Adenauer- Ära . Nach Ladenschluss bleibt die Holtenauer lebendig als Kulturstandort: an ihrem Beginn durch das Kieler Arthouse Kino, mittendrin durch das Schauspielhaus und am Nordende des Boulevards mit dem Metro. Leider behindert ein statischer Schaden zur Zeit den vollen Betrieb: Dieses Kino war bereits zur größten Bühne Kiels für Comedy, Kabarett und Verwandtes geworden.
Kieler Spitzensport: Zebras und Störche
Seit über zwanzig Jahren werden Stammpublikum und Fans des THW Kiel mit Handball der internationalen Spitzenklasse verwöhnt. Gespielt wird mitten in der Stadt in einer Arena, die öfter mal den Namenssponsor wechselt. Ultras auf den Tribünen tragen noch ein schwarz-weiß gestreiftes Shirt, die Mannschaft auf dem Parkett nicht mehr.
Wegen ihrer roten Kniestrümpfe nennt man die Kicker von Holstein Kiel seit über einem Jahrhundert die „Störche“, gekickt wird an der Peripherie am Nordende der Stadtautobahn. Stadion und Mannschaft arbeiten weiterhin konsequent an ihrer Erstligareife, nachdem das Team nach einem Jahr „Schnupperaufenthalt“ in der Bundesliga am Ende der Saison 2024/25 wieder in die 2. Liga zurückkehren musste.
Kieler Volksfeste und Kultur-Events
Die Kieler Woche
Zu Kaisers Zeiten wurde das Regatta-Ereignis als Pendant zur britischen “Cowes Week“ begründet, internationaler Marine-Flottenbesuch kam bald hinzu. Beide Komponenten haben sich bis heute erhalten, hinzu kamen Volksbelustigungen, Kultur und Kongresse. Die aktuell genannten Besucherzahlen von drei bis vier Millionen zeigen, welche Dimensionen das Sommerfestival in der drtten Juniwoche angenommen hat. Einen Tagesbesuch in der proppenvollen Stadt lohnen z.B. der Internationale Markt vor dem Rathaus (gleich nebenan ein aus München importiertes Bierzelt), die oft überraschend gute Livemusik an jeder Ecke der Innenstadt (Showprogramm abends auf mehreren Bühnen an der Kiellinie), “open ship“ auf Marineschiffen und zivilen Großseglern. Etwas Entspannung vom Rummel und authentisches Kiel erlebt man auf den Festen der Stadtteile, z.B. am Kanal in Holtenau oder im Volkspark auf dem Ostufer.
Das SHMF
Im Juli und August bringt das Schleswig-Holstein Musik-Festival große Namen der klassischen Musik und interessante Acts aus den Grenzbereichen von E-Musik und Pop auf die Bühne. In und um Kiel gibt es Jahr für Jahr mehr als zwei Dutzend Konzerte. Die Veranstaltungsorte des SHMF sind sorgfältig ausgewählt und meistens eine gelungene Ergänzung zur Musik. Ein Knüller des Festivals sind die „Musikfeste auf dem Lande“, z.B. eine halbe Autostunde außerhalb Kiels auf dem Gut Emkendorf mit besonders schönem Herrenhaus.
Der Bootshafen-Sommer
Im Juli und August gibt es Live-Musik gratis und allerlei Drumherum an einem Bassin in der Innenstadt, jeweils freitags und samstags.
Der Kieler Umschlag
Der eigentümliche Name des Kieler Winter-Volksfestes hatte einst mit einem Markt für Waren, Dienstleistungen und Zahlungen zu tun. Nach jahrzehntelanger Unterbrechung wurde es 1975 wiederbelebt, mittlerweile haben die geheizten Festzelte an einem verlängerten Wochenende Ende Februar guten Zulauf.
Georg Balhuber/reisebuch.de