Wie Deutsche Obdachlose auf Mallorca ums Überleben kämpfen
Eine Erfolgsgeschichte
Zwei Schlüssel hängen an Antjes Bund. „Die sind das wichtigste, was ich habe“, sagt die 36-Jährige Zwickauerin. „Der eine öffnet das Gartentor und der andere den Wohnwagen“, den Antje und ihr Freund Bernd seit einem halben Jahr für 240€ im Monat mieten. Endlich lebt das Paar nicht mehr auf den Straßen Palmas und muss im Winter frieren, sondern kann sich problemlos waschen, eine warme Mahlzeit zubereiten und hat einen Ort, an dem es ungestört ist. Eine Erfolgsgeschichte, die es jetzt, da die Wirtschaft schwächelt und auf Mallorca die Arbeitsplätze noch rarer sind als in anderen Wintern, nicht geben würde, wenn Antje und Bernd es ablehnen würden, zu haarsträubenden Bedingungen zu arbeiten: Sie finden ihre Jobs über Mittelsmänner, die die satte Hälfte des für Gelegenheitsarbeiten üblichen Zehn-Euro-Studenlohns kassieren. „Man muss selbst bereit dazu sein, für zehn Euro am Tag zu arbeiten, wenn man auf Mallorca weg will von der Straße“,lautet Antjes Kommentar. Es versteht sich von selbst, dass sich das Paar von seinen geringen Einnahmen keine Krankenversicherung leisten kann.
Antjes Freund Bernd war einmal eine gefragte Arbeitskraft. Als Maurermeister hatte der Berliner auf Mallorca eine feste Anstellung gefunden. Aber dann ging seine damalige Beziehung in die Brüche und gleich darauf die Firma Pleite. „Jetzt mache ich alles Mögliche, malern, dann mach ich auch mal Fontanero, zu deutsch Klempner, oder ich bin Elektriker. Wenn es hart kommt, geb’ ich auch den Babysitter oder ich führe Hunde aus.“, erzählt Bernd.
Ein Menschenschicksal in Krisenzeiten
Anders als für Antje und Bernd brechen für den obdachlosen Klaus im Winter harte Zeiten an, denn auch auf Mallorca kann es empfindlich kalt werden, Anfang Dezember lag in Höhenlagen sogar schon Schnee. Der runde, 30-jährige Klaus war erst im letzten Frühjahr von einer deutschen Elektrofirma in Cala Rajada angeworben worden. Doch ein halbes Jahr später machte die Firma Pleite wie viele andere Betriebe auf der Insel auch. Klaus bezog kein Gehalt mehr, machte Mietschulden und landete auf der Straße. Warum der gelernte Elektriker daraufhin nicht wieder nach Deutschland ging? Statt eine Antwort zu geben, trinkt er lieber noch einen Schluck Bier.
Soziale Hilfeleistungen auf Mallorca
Wer nach Alkohol riecht, bekommt in der Regel keinen Schlafplatz in den staatlich finanzierten Obdachlosenheimen in Palma. Dann gibt es nur ein paar Decken und heißen Kakao mit Keksen vom Cruz Roja, dem spanischen Roten Kreuz. Auch die Kirchen helfen mit drei Mahlzeiten pro Tag und warmen Duschen. Die deutschsprachige katholische Gemeinde, unweit des ehemaligen „Ballermanns“, ist ebenfalls eine stark frequentierte Anlaufstelle für Deutsche in Notsituationen. „Hauptsächlich kommen Strandstreicher zu uns und bitten um Essen oder Kleiderspenden. Das sind meist alte Bekannte. Nur neulich kam einmal eine Frau, die ich noch nicht kannte. Sie konnte ihre Stromrechnung nicht mehr bezahlen“, erklärt die Gemeindereferentin Beate Schmidt.
Beim deutschen Konsul Wolfgang Wiesner in Palma rufen zur Zeit nicht mehr Leute an als schon vor Jahren, es seien sogar weniger geworden. Dafür habe die Schwere der Fälle zugenommen. Denn es sei deutlich schwieriger geworden, sich mit Gelegenheitsjobs durchzuschlagen. Bei den spanischen Behörden würden jedoch mehr Deutsche um Hilfeleistungen bitten als in den Vorjahren, ergänzt der Konsul.
Mallorquiner helfen mehr
Womit Menschen in Notsituation immer rechnen könnten, sei die Hilfsbereitschaft der Mallorquiner, erzählt Bernd, der Maurer aus Berlin: „Der Deutsche kümmert sich nur um sich selbst. Der Spanier guckt auf seine Nachbarn oder auf den, der irgendwo im Zelt schläft oder in einer Unterführung. Hat der etwas zu essen? Hat der etwas zu trinken?“
Als Antje und Bernd noch ohne ein festes Dach über dem Kopf lebten, haben sie viel geschenkt bekommen, Nahrungsmittel, Geld und vor allen Dingen Kleidung, erinnert sich Antje: „Schuhe, Hosen, Jacken, Pullover, man kriegt alles. Oder man muss nur mal mit offenen Augen durch die Straßen laufen, die Leute stellen das nicht in die Mülltonnen, sondern daneben. Wenn man dran riecht: Das ist alles frisch gewaschen! Man sucht sich raus, was man braucht, was man nicht braucht, lässt man stehen für den nächsten.“
Lieber obdachlos auf Mallorca als Hartz IV in Deutschland
In Deutschland bekämen Klaus oder Antje und Bernd Hartz IV. Für zwei Personen wären das rund 700 Euro im Monat. Darüber hinaus könnten sie Wohngeld beantragen und wären krankenversichert. Insgesamt hätte das Paar deutlich mehr Geld, als es jetzt auf Mallorca verdient.Doch Antje und Bernd wollen auf der Insel bleiben. Es mag verwundern, doch wer einmal auf Mallorca lebt, will oft nicht mehr zurück nach Deutschland, auch wenn die Schwierigkeiten noch so groß sind, berichtet der deutsche Konsul: „Die meisten Hilfesuchenden beraten wir dahingehend: Kehren Sie zurück nach Deutschland, da haben Sie gesetzliche Ansprüche auf Hilfeleistungen. Und alle sagen: `Nein, wir wollen aber nicht zurück.` Da gibt es zum Beispiel diese obdachlose Frau, die sich öfter an uns wendet. Wir wiederholen gebetsmühlenartig, dass sie doch zurückgehen soll. Aber sie lebt lieber in ihrer Höhle am Strand.“
Und hoffentlich hält sie dort durch, bis sich die Wirtschaft wieder erholt und sie vielleicht wieder einmal einen kleinen Job bekommt, oder wenigstens bis zum Frühling, denn dann wird das Leben gerade auch für Obdachlose auf Mallorca wieder leichter.
st. eichler/reisebuch.de