Das Bergdorf Deià, in der Serra Tramuntana, zwischen Valldemossa und Sóller hoch über dem Meer gelegen, ist sicherlich der Ort Mallorcas, welcher – was Künstler aller Art betrifft – von den meisten Mythen umwoben ist.
Und viele davon beziehen sich auf Robert von Ranke-Graves (1895-1985), einen Nachfahren des berühmten deutschen Historikers Leopold von Ranke. Graves hatte dort in seinem 1932 gebauten Heim Ca N’Alluny (Mallorquin für »abgelegenes Haus«), am Ortsausgang oberhalb des Fischerpfades zur Bucht »sein Paradies« gefunden. Hier schrieb der Autor, der sich in erster Linie als Dichter empfand, seine wichtigsten Prosawerke, u.a. die Claudius-Romane, mit deren Tantiemen er sich im damals noch spottbilligen Mallorca einen angemessenen Lebensstil und ein gastfreundliches Haus leisten konnte.
Illustre Gäste in Deià
Zu seinen aufsehenerregendsten Gästen muss man ohne Zweifel die Hollywood-Diva Ava Gardner zählen, die 1955 auf eine Stippvisite nach Deià kam und seitdem als Freundin der Familie galt. Diesen anekdotenreichen Besuch hat Graves später in seiner Geschichte »Ein Toast auf Ava Gardner« nachgezeichnet, die erstmals auf Deutsch bei Reise Know-How in einem Sammelband »Geschichten aus dem anderen Mallorca« erschien.
Aber auch Alec Guinness, Peter Ustinov und der junge Gabriel Garcia Marquez gaben sich die Ehre. Im März 1950 kam der damals 10jährige Stephen Hawking mit seiner Mutter, einer Studienfreundin von Graves’ zweiter Frau Beryl, für einige Wochen auf Besuch nach Ca N’Alluny. In Erinnerung geblieben ist der spätere Nobelpreisträger der Graves-Familie vor allem durch seinen exzentrischen Humor: So warf er einmal eine Stinkbombe unter das Sofa und machte dadurch den Raum zeitweise unbewohnbar.
Der englische Schriftsteller Allan Sillitoe (*1928) war ein Freund und Protegé von Graves. Er kam auf dessen Einladung 1954 nach Mallorca und lebte einige Zeit in Sóller. Graves ermutigte ihn dort zu seinen bekannten Erzählungen »Samstag nacht, Sonntag morgen« und »Die Einsamkeit des Langstreckenläufers«.
Aber Robert Graves hatte nicht nur Bewunderer in Deià. Einer seiner Kritiker war der englische Schriftsteller Anthony Burgess (1917-1993), der in Deutschland hauptsächlich durch Stanley Kubricks Verfilmung seines Klassikers »Clockwork Orange« (1971) Aufmerksamkeit erregte. Im Sommer des Jahres 1969 zog es Burgess mit seiner Familie nach Deià, »(...) das wenig zu bieten hatte außer dem Graves-Zauber. (...) Ich sah Graves nicht, wollte ihn auch nicht sehen. (...) Ich hielt nie viel von ihm als Dichter, aber Deià war voll von seinen Bewunderern.«
Graves’ Werk
Robert Graves’ Leben und Wirken in seiner Wahlheimat liefern Stoff für ein ganzes Buch. Seine Sichtweise der mallorquinischen Verhältnisse hat er in den unterhaltsamen »Geschichten aus dem anderen Mallorca«, worin er Deià liebevoll hinter dem Pseudonym Binijiny tarnt, mit wohlwollender Ironie dargestellt. Er selbst empfand sich als perfekter Gast und wurde von den Einheimischen respektvoll Don Roberto genannt, der sich unbefangen im Dorfcafé verdingte und täglich bis ins hohe Alter seinen Gang hinunter zur Cala auf ein Bad im Mittelmeer machte. In den siebziger Jahren begann er aufgrund zunehmender Senilität wunderlich zu werden und behauptete, er könne durch geschlossene Türen gehen, oder er habe ein UFO in Deià landen sehen.
Seine Grabstätte findet man nur mit Mühe auf dem kleinen Friedhof im Oberdorf direkt neben der Kirche. Die schlichte Grabplatte enthält außer dem Namen und den Lebensdaten einzig noch den lakonischen Zusatz Poeta (Dichter). Erst 2007 wurde sein ehemaliges Wohnhaus ein paar hundert Meter nördlich des Ortes als Museum eröffnet.
Anaïs Nin in Deia
Zu den »verrückten Forasteros (Ausländern)«, die damals Deià frequentierten, gehörte in den Augen ihrer Nachbarn sicher auch die amerikanische Feministin und Autorin Anaïs Nin (1903-1977), die vor allem durch ihre erotischen Geschichten und ihre Kooperation mit Henry Miller Berühmtheit erlangte. Nin wohnte im Sommer 1941 – als Graves noch im englischen »Exil« weilte – in einem Haus im Clot, dem Unterdorf, und ritt täglich frühmorgens auf einem Maulesel zur Cala hinunter. Später schrieb sie, angeregt von einem im Dorf kursierenden Gerücht, die Geschichte der Fischertochter Maria nieder und ihres erotischen Urerlebnisses mit einem jungen Ausländerpaar unten in der Cala.
Die mallorquinische Schriftstellerin Carme Riera (*1948) hat sich 1980 auf den Spuren von Anaïs Nin in Deià bewegt und zu klären versucht, was es mit den Gerüchten nun wirklich auf sich hatte. Heraus kam ihre magische Geschichte »Report«, die der erotischen Komponente noch eine tragische hinzufügt: Wie die Erzählerin herausfand, wurden Maria und ihre Freunde von den aufgebrachten Dorfbewohnern in der Cala ins Meer getrieben, wo sie am nächsten Morgen nur noch tot geborgen werden konnten. Aber niemand im Dorf kann sich daran erinnern ...
Der amerikanische Reiseschriftsteller und Romanautor (Mosquito Küste) Paul Theroux (*1941) wandelte Anfang der 1990er Jahre in Deià auf den Spuren von Robert Graves. Die Schönheit des Ortes und dessen wildromantische Lage faszinierten ihn; doch was ihn bei seinen Kontakten mit den Einheimischen am meisten beeindruckte, war der Umstand, dass zwar jeder Don Roberto kannte (seit 1969 Ehrenbürger Deiàs), aber offenbar hatte niemand seine Werke gelesen. Das, so meint Theroux, sei leider das paradoxe Schicksal vieler Schriftsteller und Dichter. Dies ist um so bedauerlicher, als die mallorquinischen Geschichten von Graves zum Besten gehören, was je über die Insel geschrieben worden ist.
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