Diese Tugend war angesichts der häufigen Notzeiten in der mallorquinischen Geschichte auch bitter nötig, wollte man nicht vollends verzweifeln. Die fast totale soziale und somit finanzielle Absicherung, wie wir sie noch bis vor kurzem in Deutschland erleben durften, hat es auf Mallorca nie gegeben. Daraus resultiert eine nivellierende Bescheidenheit im Auftreten, die uns eher fremd ist.
Der Tag eines Mallorquiners
Bekanntlich läuft auf Mallorca alles etwas langsamer als bei uns. Und das hat ja auch sein Gutes, z.B. werden dadurch die Nerven geschont. Außerdem macht das in Anbetracht der klimatischen Bedingungen in Spanien und speziell auf Mallorca Sinn.
Der im Folgenden skizzierte Ablauf trifft natürlich nicht auf jeden Mallorquiner, und schon gar nicht auf Mallorquinerinnen zu, verdeutlicht aber in der Konzentration das Typische, wie anders z.B. das Alltagsleben eines berufstätigen Mannes auf der Insel im Vergleich zu Deutschland ist.
Am Morgen ins Büro
Ein im Berufsleben stehender Mallorquiner »alter Schule« geht vor Arbeitsbeginn in die Bar, trinkt einen Milchkaffee, tunkt eine ensaimada (ein Hefe-Schmalzgebäck) hinein, liest Zeitung oder redet sich mit Freunden/Bekannten warm. Auf diese Art wach geworden, sieht er im Büro nach, was anliegt, hat Termine und Besprechungen. Das geht konzentriert bis gegen 12 Uhr. Dann ist es Zeit, eine Kleinigkeit zu sich zu nehmen. Also wieder in die Bar, wo bei einem Schluck Bier oder Rotwein ein bocadillo (belegtes Brötchen) oder ein paar tapas verzehrt werden. Nach 20 Minuten ist man zurück im Büro und arbeitet bis max. 14.30 Uhr.
Arbeitszeit
Die »normale« Arbeitszeit in Spanien läuft überwiegend immer noch von 9 Uhr bis 14 Uhr und von 17 bis 20 Uhr, wiewohl dieses Prinzip vor allem in Großstädten, also auch Palma, in letzter Zeit mehr und mehr durchbrochen und durch eine kontinuierliche Arbeitszeit ohne Siesta ersetzt wird. Neuere Untersuchungen behaupten sogar, dass nur noch 20% aller Beschäftigten Gelegenheit zur siesta haben. Wer indessen das Verkehrsaufkommen in und rund um Palma, um Inca und Manacor zu Siestabeginn und -ende erlebt, mag zumindest dort daran nicht glauben. Palmas Straßen werden bis zu 5 x täglich von einer veritablen Rush Hour heimgesucht, nämlich morgens, mittags, nachmittags durch die Rückkehr der »Siestamacher«, kurz darauf durch die Abfahrt aller »Durcharbeiter« und später nach 19 Uhr, wiewohl etwas entzerrter, wegen des nun allgemeinen Arbeitsendes.
Siesta
Für die meisten Mallorquiner gehört die siesta nach wie vor zum täglichen Routineritual. Sie beginnt teilweise schon um 13 Uhr, spätestens aber um 14.30 Uhr, und geht bis 16.30/17.00 Uhr. Wer nicht nach Hause fährt, besucht ein Restaurant, wo ausgiebig getafelt und diskutiert wird. Selbst ein preiswertes Menu (jedes Restaurant ist verpflichtet, ein günstiges menu del dia anzubieten heute ab ca. 8) besteht aus drei Gängen und einem anschließenden Kaffee, der niemals fehlen darf. Die Mittagssitzung zieht sich oft über die gesamte siesta. Die hora de comer (Stunde eigentlich Stunden! des Mittagessens) ist heilig, Termine liegen vorher oder nachher. Für uns ist die siesta ein zwar im Allgemeinen bekanntes, oft belächeltes, aber selten ernst genommenes Phänomen. Auch wenn es wie oben bereits beschrieben im Rahmen der EU und der Globalisierung von Lebensstilen unübersehbare Auflösungstendenzen bei der mediterranen Mittagspause gibt, sollte man sich nicht wundern, wenn zwischen 13.00 Uhr und 17.00 Uhr, selbst oder sogar insbesondere in der Großstadt Palma, wenig oder gar nichts läuft. Wirtschaftsexperten fordern seit langem die völlige Abschaffung dieser alten spanischen Tradition, die als Wettbewerbsnachteil angesehen wird und wohl auch ist.
Der lange Abend
Nach der Siesta beginnt jedenfalls wieder die Arbeit, die bis 20 Uhr dauern kann. Dann verlässt unser konservativ eingestellter Mallorquiner gut gelaunt das Büro; die Bar wartet schon. Dort trifft man sich auf eine copa (ein Glas) und schwätzt entspannt mit Kollegen oder Freunden bis gegen 21 Uhr. Jetzt ist es Zeit heimzugehen, weil im Familienkreis ab 21 Uhr zu Abend gegessen wird, was sich bis Mitternacht hinziehen kann. Wenn das Abendessen im Restaurant stattfindet, fährt man gegen 21 Uhr nach Haus, zieht sich dort vielleicht um, lädt Frau und Kinder ins Auto und ist gegen 21.30 Uhr im Restaurant. Ein solcher Abend dauert häufig länger, weil man auch nach dem Essen für den letzten Schluck wieder gerne eine Bar aufsucht. So ist es kein Wunder, dass Spanier nachts im Durchschnitt etwa eine Stunde weniger schlafen als Mitteleuropäer. Vielleicht auch ein Grund für eine gewisse Trägheit in manchen Arbeitsprozessen? Oder liegt dies daran, dass in Spanien die »falsche Zeit« gilt, was zur Folge hat, dass die Sonne in diesem Land zu spät auf- und zu früh untergeht? Es gibt ernsthafte Überlegungen, Spaniens Uhren (wie in Portugal) um eine Stunde zurückzustellen (und somit der Greenwichzeit anzupassen), weil Spanien auf gleicher geographischer Länge wie England liegt.