Mallorca – Insel der Schmuggler

Bevor die Menschen auf Mallorca hauptsächlich vom Tourismus lebten, arbeiteten viele von ihnen nebenbei als Schmuggler. Einige Mallorquiner wurden reich, bauten Fabriken oder die ersten großen Hotels an der Playa de Palma. Doch keiner der alten Strippenzieher möchte heute über damals sprechen. Joan war nur ein “einfacher” Schmuggler, der die illegale Ware von den Booten lud. Unter Pseudonym ist er bereit, ein Kapitel aus Mallorcas Geschichte zu erzählen, über das Historiker gerade die ersten Bücher schreiben.

Mallorcas Schmuggel-Tradition

“Ich war dreizehn Jahre alt, und ein-, zweimal im Monat lief ich nachts zur Bucht “Virgili” und wartete auf die Ankunft der Ware,” erzählt Joan- inzwischen 63 Jahre alt. “Im Dunkeln erspähte ich weit draußen auf dem Meer das Schiff mit der ersehnten Fracht: Tabak, Liköre, Seide, Nylonstrümpfe und Antibiotikum. Ein Freund meines Vaters fuhr zum Schiff hinaus und verlud die illegale Ware auf sein Fischerboot.”
Die Baleareninsel war eine ideale Anlaufstelle für die Schiffe der Schmuggler. Schon im 17. Jahrhundert durchkreuzten die Boote mit illegalem Tabak aus Gibraltar und den Maghrebstaaten das Mittelmeer, ohne mit Kontrollen rechnen zu müssen, da sie sich auf internationalem Gewässer bewegten.
Und an Land schaute die Polizei seit jeher weg. Das Gehalt war niedrig und den Schmugglern den Rücken zu decken, war ein guter Nebenverdienst.
Joan erzählt, dass die Schmuggler die Polizisten mit Geld und geschmuggeltem Tabak bestachen. Joans Kusine, Politta, die zu Schmugglerzeiten ein kleines Mädchen war, erinnert sich noch gut daran: “Wenn es ein Fest gab, rauchten wir Kinder. Ich hatte einen Onkel bei der Polizei, der uns immer geschmuggelte Zigaretten gab. Damals wusste man noch nicht, dass Tabak so gesundheitsschädigend ist. Blonder Tabak war ein Luxusprodukt, zum Angeben.”
Eine geschmuggelte Espressokanne hat Politta bis heute aufgehoben. Möglich, dass ihre Mutter die Kanne in Palmas noblen Stadtteil “El Born” erwarb. Im Schatten saßen dort die Verkäuferinnen, und unter ihren weiten Röcken versteckten sie geschmuggelten Tabak, Seide und Kaffeekannen.

Joans Schmugglerbucht ist heute eine Badebucht im Südosten der Insel. Nur zwei Kilometer entfernt liegt ein typischer Ferienort: im Winter ist er ausgestorben und im Sommer sind die zehn- und zwölfstöckigen Hotels ausgebucht. Doch auf dem gesamten Schmugglerweg ist von dem Ort nichts zu sehen. Nur unberührte Natur.
Aus Joans schmalem Trampelpfad ist längst ein breiter Wanderweg geworden, der gemächlich bergab führt, vorbei an wilden Olivenbäumen, Kiefern und Farn. Aber Joan und die anderen Schmuggler hatten keinen Blick für die Schönheit der Landschaft. Natur bedeutete für sie harte Arbeit, denn die meisten schufteten als Landarbeiter.  
In einer Schmuggelnacht verdiente Joan so viel wie in einer ganzen Woche auf dem Feld. Von dem Geld kaufte die Familie einen Bauernhof, den sie jahrzehntelang bewirtschaftete und heute an Feriengäste vermietet.
“Das ist ein typisch mallorquinisches Schicksal”, erklärt Pere Ferrer Guasp, mallorquinischer Historiker, der gerade ein Buch über die Schmuggler Mallorcas geschrieben hat. Es ist das erste Buch, das sich den Schmugglern der Franco-Zeit widmet.

(Fußnote 1: Pere Ferrer Guasp: ´Contraban. República i Guerra´)

“Viele Landarbeiter schafften dank der zusätzlichen Einnahmen aus dem Schmuggel und dank großer Sparsamkeit den Sprung vom abhängigen Lohnarbeiter zum Hotelbesitzer,” berichtet der Historiker: “Manche Chefs der Schmugglerbanden brachten es auch zum Fabrikinhaber”. Joan March, Sohn eines Bauern, wurde sogar zu einem der reichsten Männer der Welt. Anfang des 20. Jahrhunderts organisierte er den Schmuggel von Tabak nach Mallorca und kaufte kurzerhand eine Tabakfabrik in Algerien- er war gerade 24 Jahre alt. Mit seinem Geld half er General Franco an die Macht: der Militärputsch wäre ohne Marchs Vermögen nicht geglückt. Im Gegenzug ließ ihm Franco freie Hand beim Schmuggeln und anderen illegalen Geschäften. 1962 starb March bei einem Autounfall. Die „Banca March“, ein Geldinstitut, das der König der Schmuggler gründete, ist mittlerweile eine der bedeutendsten Banken Spaniens und erinnert überall an den „letzten großen Piraten des Mittelmeers“.

(Fußnote 2: Manuel Domínguez Benavides hat so einen biographischen Roman über Joan March betitelt.)

Wie harmlos klingt dagegen die Geschichte von Fontanet. Er ist einer der alten Strippenzieher, der immer noch am Leben ist. Auf Interviewanfragen reagiert er nicht. Man weiß aber über ihn, dass er mit dem illegalen Handel von Tabak und Kaffee ein Vermögen gemacht haben muss, denn er konnte sich Fabriken leisten, in denen er heute Mehl, Kekse und Kaffee herstellt.
Die Chefs der Schmugglerbanden galten für viele Mallorquiner als Helden und für sie zu arbeiten war eine Ehre: Zu schmuggeln bedeutete, gut zu verdienen und obendrein die Bevölkerung mit preiswerten und guten Produkten zu versorgen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden schätzungsweise 30 bis 40% des BIP geschmuggelt. Täglich wurden säckeweise Reis und Mehl auf die Insel gebracht, erläutert der Historiker Ferrer Guasp: “Die Autarkiepolitik, die zum Ziel hatte, aus Spanien einen völlig unabhängigen Staat zu machen, war das Problem. General Franco wollte, dass Spanien ausschließlich von dem lebt, was in Spanien produziert wurde. Aber das führte nur dazu, dass ein großer Mangel an allen Produkten herrschte.”

Und weil Franco nicht in Kauf nehmen konnte, dass viele Menschen verhungerten, tolerierte er den Schmuggel, bis Spanien Ende der fünfziger Jahre den Markt öffnete. Wer jetzt beim Schmuggeln erwischt wurde, landete im Gefängnis.  
Aber Joan und die anderen Schmuggler konnten sich darauf verlassen, dass die Polizisten bestochen waren, und die Zivilbevölkerung hinter ihnen stand. Im 18. und 19. Jahrhundert beteiligten sich auch Geistliche am Geschäft und versteckten das Schmuggelgut in den Klöstern der Insel.
Ab dem Ende der fünfziger Jahre wurden hauptsächlich Wohlstandsprodukte geschmuggelt. Joan erzählt von der fliegenden Händlerin, die Tabak und Nylonstrümpfe in das Futter ihres Mantels nähte und so noch beleibter wirkte, als sie ohnehin schon war. Auf dem Motorrad fuhr sie zu ihren Kunden, die sie von weitem am Knattern der Maschine erkannten.

Obwohl die Schmuggler mit dem Einverständnis der anderen Mallorquiner rechnen konnten, bekam es der Schmuggler Joan eines Nachts mit der Angst zu tun. Er war eine halbe Stunde den alten Schmugglerweg hinuntergelaufen, allein, weil er spät dran war, erinnert er sich: “Als ich soweit gelaufen war, dass ich auf das Meer und die Bucht sehen konnte, war alles ganz still. Ich sah das Fischerboot in der Mitte der Bucht. Es sah so aus, als wäre da ein Fischer bei der Arbeit, aber ich wusste, dass es das Boot mit der Ware war. Sonst war niemand da! Ich dachte: “Hier ist irgendetwas faul. Vielleicht hat es einen Alarm gegeben.”
Doch wieder einmal war alles gut gegangen. Die anderen Schmuggler hatten sich bloß verspätet.

An Joans Schmugglerbucht wächst eine alte Kiefer. Damals, als die Schmuggler ihre Pferde hier abstellten, war der Baum nur halb so groß. Von der Kiefer zur Bootsanlegestelle führt über Felsen ein Weg, aber der Stein ist abgebröckelt und wird von Gräsern überwuchert. Joan läuft neben dem Weg auf Kieseln und deutet mit seinem Spazierstock nach vorn: “Hier kam das kleine Fischerboot an. Zwei von uns hielten es an Leinen fest. Sobald wir das Boot unter Kontrolle hatten, warf die Besatzung die Bündel mit Tabak oder Kaffee auf diese Mauer. Wir schulterten die Ware und trugen sie ein kleines Stück den Hang hinauf zu den Pferden. Wir liefen hin und her wie die Ameisen.”  
Dann hievten die Männer die Bündel auf ihre Pferde, die unter der Kiefer warteten, oder schleppten die sechzig Kilogramm schweren Säcke selbst bis zum Versteck in einem Bauernhof. Die Ware bequem per Kutsche zu transportieren, wäre verräterisch gewesen, denn zu laut rollten die Kutschen über den Weg. Als dann auf der Insel die ersten Autos fuhren, schraubten die Schmuggler die Gummireifen ab und montierten sie an ihre Kutschen, die
nun leise über die Schotterwege fuhren, was die Arbeit erheblich erleichterte.

Anfang der siebziger Jahre schmuggelte Joan nur noch sporadisch, ein-, zweimal im Jahr. Inzwischen wurden die begehrten Waren legal eingeführt. Außerdem arbeiteten viele ehemalige Schmuggler in den neuen Hotels, was relativ gut bezahlt wurde. Das Geschäft mit Tabak, Kaffee und Nylonstrümpfen lohnte sich nicht mehr. Längst hatten andere Zeiten begonnen.

© Stephanie Eichler, reisebuch.de, 2010