Typisch Mallorquinisch: Klischees, Vorurteile und die vielseitige Realität einer Insel

Mallorca – kaum ein anderes Reiseziel ist derart von Klischees behaftet. Für viele ist die Baleareninsel gleichbedeutend mit dem „Ballermann“, deutschen Kegelvereinen, die schon vormittags die siebte Bierdose öffnen, und Schlagermusik, die aus den Lautsprechern dröhnt. Das Bild des deutschen Touristen mit Socken in Sandalen, weißem T-Shirt und Handtuch auf der Liege ist tief in der kollektiven Vorstellung verankert. Doch wie verhält sich dieses Bild zur vielschichtigen Realität der Insel?  Mallorca birgt eine erstaunliche Vielfalt, die weit über die bekannten Partyzonen hinausgeht. Die Insel präsentiert sich als ein komplexes Gefüge aus Natur, Kultur und Alltag, das bei genauerer Betrachtung eine tiefere Erfahrung ermöglicht.

palma de mallorca
Palma de Mallorca mit der Tramuntana im Hintergrund; Foto von Anja pixabay, CC0

Massentourismus auf Mallorca: Zwischen Partyexzessen und Protesten

Das Klischee vom „17. Bundesland“ ist omnipräsent und spiegelt die hohe Präsenz deutscher Touristen wider. Bilder von feierwütigen Urlaubern, die aus Eimern trinken und ihren Rausch am Strand ausschlafen, prägen das Medienbild.
Als Reaktion auf diese Verhaltensweisen ergriff die Inselregierung rigorose Maßnahmen:  
Saufgelage, Sex am Strand oder halbnacktes Herumlaufen in der Stadt werden mit empfindlichen Geldbußen von bis zu 3.000 Euro geahndet.  

Proteste gegen Massentourismus

Diese Art des Massentourismus hat jedoch auch Schattenseiten, die von der lokalen Bevölkerung zunehmend kritisch gesehen werden. Graffiti wie „Tourism kills the city“ in Palma zeigen, dass ein Teil der Einheimischen den Übertourismus ablehnt. Proteste mit Slogans wie  „Tourists go home“ oder „Mass tourism kills the city“ verdeutlichen die Frustration der Bewohner, die sich durch die schiere Anzahl der Besucher – die die lokale Bevölkerung weit übersteigt – in ihrem Alltag beeinträchtigt fühlen. Sie beklagen, dass der Tourismus die Preise für Immobilien in die Höhe treibt, insbesondere in beliebten Touristengebieten wie Palma, und die natürlichen Ressourcen der Insel erschöpft. Einige Einheimische sehen Touristen sogar als „Parasiten“ und fordern, dass Besucher fernbleiben, da sie die Ursache ihrer Probleme seien. Die Hoteliers auf Mallorca haben daraufhin eine Kampagne gestartet, um dem entgegenzuwirken und Touristen willkommen zu heißen, da der Tourismus ein wichtiger Teil der lokalen Wirtschaft und Identität ist.  

Auch das Bild des „typisch deutschen“ Urlaubers mit Socken in Sandalen und dem reservierten Liegestuhl ist ein Klassiker. Eine Studie von Airbnb aus dem Jahr 2019 deutet jedoch auf einen Wandel hin: Nur noch elf Prozent der Befragten gaben an, Socken in Sandalen getragen zu haben, und lediglich 15 Prozent reservierten Liegen mit Handtüchern. Dennoch erkennen rund 50 Prozent der Befragten andere Deutsche am Verhalten, und 46 Prozent finden, dass sich die Klischees über Deutsche häufig bestätigen. Es scheint, als ob sich die Verhaltensweisen zwar ändern, die Wahrnehmung aber langsamer folgt.  

Mallorquinischer Alltag: Mentalität, Sprache und soziale Gepflogenheiten

Abseits der touristischen Hotspots offenbart sich das wahre Mallorca, geprägt von der Mentalität seiner Bewohner. Die Mallorquiner gelten als offenes und geselliges Volk, das im Vergleich zu den Festlandspaniern als ruhiger und gelassener beschrieben wird. Die Atmosphäre der Insel spiegelt sich in der Mentalität ihrer Bewohner wider. Im Alltag duzt man sich generell, und im privaten Bereich wird  

Pünktlichkeit nicht allzu streng ausgelegt – Verspätungen von bis zu 30 Minuten sind durchaus normal. Im Berufsleben hat sich dies jedoch weitgehend geändert. Bei sozialen Anlässen ist Händeschütteln üblich, während Frauen, denen man bereits vorgestellt wurde, mit einem flüchtigen Kuss auf jede Wange begrüßt werden können.  

Ein zentraler Aspekt des mallorquinischen Alltags ist die Siesta. Zwischen 13:30 und 16:30 Uhr schließen die meisten Geschäfte konsequent, eine Tradition, die das tägliche Leben prägt. Dies ist nicht nur ein Mittagsschlaf, sondern vielmehr eine  „pausa del mediodía“ – eine ausgedehnte Mittagspause. Große internationale Ketten und Kaufhäuser sind davon ausgenommen und haben durchgehend geöffnet. Wer auf Mallorca einkaufen möchte, sollte dies am besten in den späteren Abendstunden tun, wenn die kleinen Läden wieder öffnen.  

Die mallorquinische Sprache, Mallorquinisch, ist ein Dialekt des Katalanischen. Obwohl Spanisch die Hauptsprache ist und fast die gesamte Bevölkerung Mallorcas Spanisch spricht, ist Mallorquinisch die lokale Sprache, die man regelmäßig auf den Straßen hört. Für viele Mallorquiner ist Mallorquinisch ein wichtiger Teil ihrer Identität, Geschichte und Kultur. Einheimische freuen sich, wenn Besucher versuchen, ein paar Brocken Mallorquinisch zu sprechen. Es gibt jedoch auch eine politische Debatte um die Bezeichnung „Katalanisch“ versus „Mallorquí“, und ein großer Teil der Arbeitskräfte auf der Insel stammt vom Festland und reagiert negativ auf Mallorquinisch. Als Faustregel gilt, in Hotels und sehr touristischen Gebieten Spanisch zu sprechen, während man in kleineren Dörfern wie Valldemossa, Deià oder Pollença Mallorquinisch versuchen kann.  

Das Familienleben spielt eine große Rolle: Mallorquiner sind unglaublich herzlich und kinderfreundlich. An Wochenenden trifft man Familien oft in Landgasthöfen, wo gemeinsam gegessen wird. Mallorca bietet viele kinderfreundliche Strände mit flachem Wasser und geschützten Buchten, wie die Platja de S’Arenal bei Portocolom oder die Cala Tuent. Auch Ausflugsziele wie die Öko-Finca Ecovinyassa oder die Salinen bei Es Trenc sind bei Familien beliebt.  

Das Arbeitsleben auf Mallorca ist stark vom Tourismus geprägt, der das Rückgrat der Wirtschaft bildet.

Saisonarbeit ist weit verbreitet, und es gibt viele Stellen für mehrsprachige Fachkräfte.  

Soziale Bindungen am Arbeitsplatz sind wichtig, und das mediterrane Lebensgefühl ermöglicht eine gute Balance zwischen Arbeit und Freizeit.  

Die Mallorquiner verbringen ihre Freizeit gerne aktiv und in der Natur. Die Insel ist ein Mekka für Outdoor-Liebhaber. Beliebte Aktivitäten sind:  

  • Wandern: Die Serra de Tramuntana, ein UNESCO-Weltkulturerbe, bietet mit der Trockensteinroute (GR 221) und der „Via Verde“ zwischen Manacor und Artà hervorragende Wandermöglichkeiten für verschiedene Fitnesslevel.
  • Radfahren: Mallorca ist eine Top-Destination für Radfahrer, mit zahlreichen Radwegen und der Möglichkeit, geführte Touren zu unternehmen oder lokalen Radsportvereinen beizutreten.
  • Wassersport: Segeln, Tauchen, Wakeboarding, Kitesurfen, Jet-Skiing und Stand-Up-Paddling sind an vielen Küstenorten möglich.
  • Golf: Mit über 20 Golfplätzen ist Mallorca ein beliebtes Ziel für Golfer, die fast das ganze Jahr über spielen können.
  • Lokale Märkte: Der Besuch von Märkten wie dem Mercat de l’Olivar in Palma oder dem Markt in Inca ist ein fester Bestandteil des Alltags, wo man frische Produkte, Kunsthandwerk und lokale Spezialitäten findet.

Kulinarische Schätze und lebendige Traditionen

Die mallorquinische Küche ist vielseitig und spiegelt die geografische Vielfalt der Insel wider. An den Küsten dominieren Fisch und Meeresfrüchte, während im Landesinneren deftige Eintopfgerichte beliebt sind. Zu den typischen Spezialitäten gehören:  

  • Ensaimada: Ein spiralförmiges Gebäck aus Mehl, Eiern, Wasser, Zucker und Schweineschmalz, das oft zum Frühstück oder als Nachmittagssnack mit Kaffee genossen wird.  
  • Tumbet: Ein Gemüseauflauf mit Kartoffeln, Auberginen und Paprika, gebacken mit Knoblauch, Tomaten und Olivenöl.  
  • Frit Mallorquí: Ein traditionelles Gericht aus Gemüse und Innereien (oft Leber, Blut, Lunge), das historisch bei der Schweineschlachtung („matança“) zubereitet wurde.  
  • Pa amb oli: Einfaches, aber beliebtes Brot mit Olivenöl, das sich vom „Arme-Leute-Essen“ zum Gourmetgericht entwickelt hat.  
  • Sobrasada: Eine typisch mallorquinische Streichwurst aus Hackfleisch und Speck mit viel Paprika.  
  • Llom amb Col: Ein winterliches Gericht aus Schweinelende, Sobrasada und Botifarró, eingewickelt in Kohlblätter und langsam gekocht.  
  • Lechona Asada: Gebratenes Spanferkel, das traditionell zu Weihnachten gegessen wird.  
  • Tapas: Kleine, gestapelte Kunstwerke, die oft zum Glas Wein gereicht werden und auch eine ganze Mahlzeit ergeben können.  

Der Alltag der Mallorquiner ist auch von festen Essenszeiten geprägt: Vormittags trifft man sich oft in Cafés zum zweiten Frühstück, und mittags werden in Cafés günstige und schnell servierte Mahlzeiten eingenommen. An den Wochenenden sind Landgasthöfe und Ausflugslokale das Ziel mallorquinischer Familien.  

Neben der Kulinarik sind die Traditionen und Feste tief in der mallorquinischen Kultur verwurzelt. Sie bieten Möglichkeiten für kulturelles Eintauchen. Dazu gehören:  

  • Die Lichtspiele in der Kathedrale von Palma („La Seu“) am 2. Februar und 11. November, bei denen die aufgehende Sonne ein spektakuläres Lichtspiel durch die Rosettenfenster wirft.  
  • Die Feste zu Sant Antoni (17. Januar) und Sant Sebastià (19. Januar), die den Auftakt zu den Volksfesten bilden.  
  • Das Es Firó de Sóller im Mai, eine historische Nachstellung der Schlacht von 1561.  
  • Das Traubenwerfen während der Fiesta de la Vendimia in Binissalem im September.  
  • Der Tanz der Cossiers, ein alter heidnischer Tanz.  
  • Der Cant de la Sibil·la am Heiligabend, ein mittelalterlicher Gesang, der von der UNESCO zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit erklärt wurde.  
  • Die offenen Märkte wie der Dijous Bo de Inca, eine große Freiluftmesse im November.  

Nachhaltigkeit auf Mallorca: Initiativen und Zukunftsperspektiven

Angesichts der Herausforderungen des Massentourismus, der 2019 seinen Höhepunkt mit rund 12 Millionen Besuchern erreichte , hat Mallorca proaktive Maßnahmen ergriffen, um einen  nachhaltigeren Tourismus zu fördern. Die Insel setzt auf einen bewussteren Tourismus.  

Ein zentrales Instrument ist die Tourismusabgabe, deren Einnahmen zur Finanzierung von Projekten zum Umweltschutz, zur Restaurierung des kulturellen Erbes und zur Förderung des Ökotourismus verwendet werden. Dazu gehören die Wiederherstellung mittelalterlicher Mauern, die Verbesserung von Wasseraufbereitungsanlagen und die Instandhaltung von Entwässerungskanälen.  

Mallorca hat zudem Maßnahmen zur Abfallreduzierung eingeführt. Im März 2021 wurde ein Verbot von Einwegplastik eingeführt, das den Verkauf von Plastikbechern, Tellern, Besteck, Strohhalmen und Kaffeekapseln untersagt. Initiativen wie cleanwave.org setzen sich dafür ein, den Verbrauch von Plastikwasserflaschen zu reduzieren. Organisationen wie Save the Med engagieren sich für die Reinigung der Strände und die Aufklärung der nächsten Generation.  

Die Insel fördert zudem nachhaltigen Transport durch die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, Fahrräder und Elektrofahrzeuge, um Emissionen zu reduzieren. Viele Hotels haben  Nachhaltigkeitsmaßnahmen implementiert, wie energieeffiziente Systeme, Wassereinsparung und Abfallreduzierung, und unterstützen lokale Lieferanten.  

Ein weiteres Ziel ist es, Mallorca zu einem ganzjährigen Reiseziel zu entwickeln, um den Druck auf Ressourcen und Umwelt während der Hochsaison zu verringern und den übermäßigen Wasser-, Energie- und Kraftstoffverbrauch zu reduzieren. Dies trägt dazu bei, die Besucherzahlen über das ganze Jahr zu verteilen und eine nachhaltigere Nutzung der Insel zu gewährleisten.  

Mallorcas vielschichtige Identität

Mallorca ist weit mehr als die „Partyinsel“, zu der sie oft reduziert wird. Sie ist eine Insel von atemberaubender Schönheit, vielfältiger Natur und einer reichen Kultur, die sich in ihren Traditionen, ihrer Sprache und der herzlichen Mentalität ihrer Bewohner widerspiegelt. Die Insel hat sich den Herausforderungen des Massentourismus gestellt und arbeitet aktiv daran, ein nachhaltiges Reiseziel zu werden, das sowohl Besucher als auch Einheimische gleichermaßen schätzt.  

Die wahre Seele dieser faszinierenden Mittelmeerinsel lässt sich erkunden, wenn man die Vorurteile beiseite lässt. Der britische Philosoph Jeremy Bentham bezeichnete Mallorca bereits vor 200 Jahren als „Zauberwelt“, in der er „the greatest happiness“ empfand. Und die bedeutendste amerikanische Schriftstellerin des frühen 20. Jhd. Gertrude Stein sagte zu Ihrem englischen Dichtererkollegen Robert Graves: „Majorca is a paradise – if you can stand it.“
Diese Seele ist in den engen Gassen Palmas, den traditionellen Festen der Dörfer und der unberührten Natur der Serra de Tramuntana lebendig.