"Der Fluch" von Nay Win Myint

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„Mya Khin, komm her! Was hat die Mai Gyote wieder von uns mitgenommen?“, schrie er.
„Etwas Essen. Das Kokosöl in der Flasche hat meine Schwester ihr gegeben.“
„Das ist aber auch schlimm mit euch. Dieser alten Hexe braucht ihr überhaupt nichts zu geben!“
Mutter verlor die Fassung.
„He Khin, was redest du da! Du… Tsch, tsch, tsch, bewahre!“
„Schluss jetzt, Schwägerin. Je mehr ihr das macht, desto mehr Angst jagt die euch ein!“
Mutter und meine Tante sagten nichts. Onkel Khin stemmte die Karrendeichsel auf ihren Ständer, spannte die Ochsen aus und band sie an den Jujubenbaum.
„Für nichts und wieder nichts unterbrecht ihr eure Arbeit und verschwendet völlig sinnlos eure Zeit mit ihr. Seht zu, dass diese alte Schnepfe fortbleibt.“
Meine Tante wusste, dass ihr Mann außer sich vor Wut war, und schwieg. Mutter aber sagte: „Wir jedenfalls wollen keinen Fluch abbekommen oder verhext werden.“
„Was denn für einen Fluch? Es gibt überhaupt keinen Fluch. Je mehr ihr euch fürchtet, desto mehr freut sie sich. Die hat nicht nur euch, sondern das ganze Dorf mit einem Fluch belegt. Sowie ihr anfangt, euch vor ihr zu fürchten, seid ihr doch schon verhext. Kapiert das doch endlich! Und dann auch noch dieser „Saya“ aus Kokochin, der dem Dorf zur Last fällt…“
„He, der Saya ist aber ein Guter, ein Held.“
„Ach was, Held. Der ist genauso wie die. Als ich neulich nachmittags vom Feld zurückkam, hab’ ich gesehen, wie der mit der Mai Gyote unter dem Pipalbaum saß und die beiden miteinander diskutiert haben. Der Heiler und die Hexe, die teilen sich den Profit! So, da hast du’s.“
Als Mutter und die Tante diese unfassbare Nachricht hörten, verschlug es ihnen vor Erstaunen die Sprache.
„Die eine verhext euch, der andere heilt euch wieder. Na, bestens!“, brüllte Onkel Khin noch.

Wie auch immer. Es war ja nur Onkel Khin, der das sagte. Er musste schon früh morgens um drei in die Felder und kam erst nach Einbruch der Dunkelheit, wenn er schon ein paar Schnäpse getrunken hatte, wieder. Für Mutter und meine Tante aber ging es weiter wie immer. Im Dorf ebenfalls. Der Saya aus Kokochin kam weiterhin mit seinem Fahrrad ins Dorf gefahren und Tante Mai Gyote ging auch weiterhin mit Thanakha im Gesicht und Betelnussdutt durch das Dorf. Auch wenn die Menschen im Dorf tief in ihrem Inneren nicht glücklich darüber waren. Auch wenn sie ihr gegenüber kein bisschen Wohlwollen empfanden. Nur immer freundlich lächeln. Nur reichlich beschenken. Tante Mai Gyote ist ja eine Hexe. Und ehe man sich versieht, hat sie einen womöglich schon verflucht.

 

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