"Die Früchte der Bosheit" von Thu Maung
Noch etwas. Von all den Kindern Bu Dis liebte Than Nyunt besonders den zweiten, Pauk Kyaing. Er war von Geburt an kränklich und schlief nachts nicht. Es heißt: „Wer nicht schläft, lebt lange.“ Das bezieht sich auf einen Helden der Überlieferung, Pauk Kyaing, der sein Leben rettete, weil er gewitzt war, wach blieb und seinen Feind erledigen konnte. Deshalb benannte man den Knaben liebevoll nach ihm.
Wie üblich musste Bu Di nach Ablauf des Mutterschutzes wieder unterrichten und die Kinder der häuslichen Fürsorge überlassen. Pauk Kyaing wurde wegen seiner schwachen Gesundheit Than Nyunt anvertraut, und zwischen der alten Jungfer und dem Säugling entwickelte sich eine tiefe Beziehung. Da er auch von seiner Mutter kaum gestillt werden konnte, musste der Arme an den Brüsten der alten Jungfer Than Nyunt herumnuckeln. So wurde Pauk Kyaing Than Nyunts Ein und Alles.
Ob das nun an der Kränklichkeit lag – auch als junger Mann war Pauk Kyaing Spätentwickler. Geheiratet hat er erst, als er über Dreißig war. Dementsprechend hat er auch spät Kinder bekommen. Wie auch immer, für Than Nyunt war Pauk Kyaing, der quasi von Geburt an in ihren Händen war, wie ein leibliches Kind. Sie nörgelte nicht mehr herum. Ob das nun Pauk Kyaing zu danken war, weiß man nicht. Mit zunehmendem Alter hatten Bu Di und Than Nyunt keine größeren Probleme mehr. Und Pauk Kyaing schlief bis zur Heirat im Zimmer seiner Tante. Näher als der leiblichen Mutter stand er Than Nyunt. Sie beide hielten zusammen.
Nach seiner Heirat ging Pauk Kyaing ins Ausland arbeiten. Mit der Begründung, dass es dort niemanden gab, der für ihn sorgte, holte er seine Tante Than Nyunt nach, nicht aber seine Frau. Sie war nämlich kurz vor seiner Abreise schwanger geworden. Sollte Than Nyunt, die ihm in Liebe zugetan war, ihn begleiten oder sich um seinen Nachwuchs kümmern? Schließlich gab das Wort „Mama“ den Ausschlag, und sie reiste mit ins Ausland. Seine leibliche Mutter nannte er förmlich nur „Mutter“.
Bald danach starb Bu Di. Deshalb war Than Nyunt, wie eingangs gesagt, im Zwiespalt, ob sie traurig oder froh sein sollte. Das Gute war, dass sie, gerade im Ausland angekommen, nicht gleich wieder zurückfahren konnte, und so hatte sie Glück. Andernfalls hätte sie vor dem Problem gestanden, ob sie vor dem Leichnam weinen oder lachen sollte.
Zwar war sie froh, dass sie nicht reisen konnte, als Bu Di starb, aber nachdem Pauk Kyaings Frau entbunden hatte, drängte es sie heimzufahren. Wie das Leben so spielt – weil Pauk Kyaings alte Krankheit wieder ausbrach, ging das nicht. So musste sie die Sehnsucht mit den übersandten Bildern und Videos stillen.
Das Kind was süß, ein Mädchen. Genau dort lag das Problem. Die ganze Familie sagte nämlich, dass in ihr Bu Di wiedergeboren wurde. Erst einen Monat alt, erkannte das Baby die Familienmitglieder, und sein Opa Maung Than war sein Liebling. Und wenn es ein Foto seines Vaters sah, lachte es. Dass das Mädchen eine Reinkarnation war, glaubte man auch wegen des roten Muttermals am Knie. Genau dort hatte auch Bu Di so eins. Und wenn es die Hausmädchen von Bu Di sah, kicherte es. Das war nicht altersgerecht. Es kannte die Leute und die Örtlichkeiten. Da war ein Arbeiter, den Bu Di nicht hatte ausstehen können – er war nämlich Alkoholiker. Wenn das Kind diesen Arbeiter sah, schrie es heftig. Das gab Than Nyunt zu denken. Wie wird es reagieren, wenn es mich sieht? Aufmerksam betrachtete sie die Fotos. Eh, das Kind lacht nicht, weint nicht, schaut nur immer unverwandt, sagen sie. Es ist ja noch kein bewusst handelnder Mensch. Bedenkenswert aber ist es schon: Bu Di bringt das doch glatt fertig, in Pauk Kyaings Tochter wiedergeboren zu werden. Und das mir!
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