"Die Nacht im Kanal" von Zeyya Linn

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Mit einem Schalterklicken war das Licht angegangen und stach in seine Augen. Als er wieder sehen konnte, stand der Vater da und sah ihn an, die Hände in die Hüften gestemmt. Er blickte zu Vater hoch und fing er an, schreiend loszuheulen, ohne genau zu wissen, wovor er Angst hatte, und bevor es ihm selbst bewusst wurde. Sein Kreischen erhob sich laut über die Geräusche von Regen und Sturm.
Er wich zurück und stieß an die Wand. Als er den Vater ansah und auf den Knien um Verzeihung bitten wollte, sah er dessen todernstes Gesicht, bekam es noch mehr mit der Angst zu tun und fing an noch lauter zu weinen. Der Vater kam langsamen Schrittes auf ihn zu. Er wollte weglaufen, aber er wäre wohl kaum am Vater vorbeigekommen. Sein Schreien ließ nach.
„Papa, Papa, bitte nicht hauen! Ich werde nicht mehr böse sein. Bitte, Papa!“, flehte er schluchzend und ganz durcheinander. Als der Vater nur noch einen Schritt entfernt war, traf ihn die Angst so tief in seinem kleinen Herzen, dass er mit geschlossenen Augen „Mama, Mama!“ schrie.
Der Vater ergriff ihn, umklammerte ihn mit seinen Armen und hob ihn hoch. Er versuchte, sich mit Gewalt wieder freizukämpfen. Er drückte seine Hände in Vaters Gesicht, trat mit den Füßen gegen dessen Brust, versuchte sich nach hinten herauszuwinden. Durch einen starken Windstoß löste sich der Keil aus dem Fenster und es flog laut krachend zu. Vaters Arm hielt seinen Körper fest wie eine Zange. Jetzt würde er ihn bestimmt gleich in den Kanal werfen. Er hörte sich selbst aus Leibeskräften schreien und bekam dadurch noch mehr Angst. Es war ihm, als ob er neben sich die Stimme des Vaters hörte: „Sohn, Sohn, ich bin’s, dein Vater, dein Vater.“ Jetzt würde er ihn in den Kanal werfen. „Mama! Mama!“

Als er Mutter mit zerzausten Haaren herbeieilen sah, versuchte er verzweifelt, sich in ihre Richtung zu drehen, und streckte die Hände nach ihr aus. Mutter zog ihn aus den Armen des Vaters …
„Was ist denn los? Was machst du mit dem Kind?“, fragte sie erschrocken und nahm ihn in ihren Arm. „Kind, ganz ruhig, ruhig, Mama ist doch da. Mama ist doch da.“, beruhigte sie ihn und versuchte ihn abzulenken, so wie damals, als er noch ganz klein war. Er umschlang fest den Hals der Mutter, umklammerte sie mit seinen Beinen und vergrub sein Gesicht in Mutters Brust. Von seinem Weinen blieb nach und nach nur ein Schluchzen übrig.
„Kind, mein Kind, beruhige dich doch. Kind, ganz ruhig, ruhig.“
Gleichzeitig drehte sie sich zum Vater und fragte: „Was hast du nur mit dem Kind gemacht?“ Der Vater erwiderte nichts. Er stand einfach nur da. Sein Schatten reichte, groß und schwarz, vom Boden bis an die Wand und rührte sich nicht.
Schluchzend sah er verstohlen zum Vater hinüber. Vater stand da wie versteinert. Solch einen Gesichtsausdruck hatte er bei Vater noch nie zuvor gesehen. Aber weinen tat er nicht. Er wollte den Vater nicht mehr sehen und schmiegte sich ganz fest an Mutters Brust. Das Schluchzen hatte ihn erschöpft. Mutter streichelte ihm den Rücken. In ihren Augen bemerkte er einen seltsamen Ausdruck wie Zorn, wie Sorge. Im Bett konnte er Mutters Herzklopfen hören. Sie streichelte ihm Rücken und Po. Erschöpft entfuhr ihm ein tiefer Seufzer. „Mama?“
Der Regen war nun noch lauter geworden. Mutters Brust war wärmend wie eine Decke. Sie duftete nach Thanakha.

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