"Mein Vater und ich" von Maung Aye Mya

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Am ersten Tag, als er sich wieder gesund fühlte und wir gerade nicht da waren, stand Vater auf, duschte und fing an wieder zu essen. Und wie er aß! Klebreis mit gebratenem Fisch schmeckten ihm herrlich. Und er aß das aus Yangon bestellte Weißbrot mit dicker, süßer Kaffeesahne. Er war nicht zu bändigen und hätte sich von niemandem stoppen lassen. Seine Begründung war, dass er seinem Horoskop zufolge noch lange nicht sterben würde. Er schien zu
glauben, dass er jede Krankheit im Nu überstehen würde. Weder die Entzündung im Darm wollte er akzeptieren noch die Tatsache, dass diese durch falsches Essen wieder aufbrechen könnte. Am nächsten Tag bekam er wieder Fieber und Durchfall. Diesmal sah es sogar schlimmer aus. Er hatte so hohes Fieber, dass Schüttelfrost auftrat. Ich versuchte, denselben Arzt zu rufen. Aber diesmal hatte ich kein Glück. Er war woandershin unterwegs. Also holte ich eine
Krankenschwester aus der Nähe. Sie maß Vaters Blutdruck, der genau wie beim letzten Mal sehr niedrig war. Er kam wieder an den Tropf mit einer großen Flasche Glukoselösung. Vaters Körper war brennend heiß. Er konnte nicht mehr sprechen und verzog nur ab und zu das Gesicht.
Oh Buddha… Sollte ihm sein Schicksal diesmal nicht mehr gnädig sein, fragte ich mich im Stillen. Ich glaubte nicht, dass ihn in dieser Situation seine astrologische Methode noch retten konnte. Es war, als ob seine Hand, die immer wieder über den Körper irrte, einen Schlussstrich ziehen wollte. Sein Tag war gekommen. Ich entschied, dass ich vor allem etwas dafür tun musste, dass Vater angesichts des Todes eine heilsame Gefühlsregung hat, die den Übergang ins nächste Leben erleichtern würde. Ich ging ganz nah an ihn heran und rief:
„Vater, Vater!“ Er reagierte nicht. Ich hob meine Stimme. Etwas wie ein Seufzer
oder Wimmern kam:
„Ach ……“
„Wie fühlst du dich, in deinem Herzen?“
Keine Antwort.
„Spürst du eine Hitze in der Brust, einen Druck?“
Er konnte nichts mehr sagen.
„Dieses unangenehme Gefühl, das willst du doch nicht empfinden, oder? Das ist das Leiden, von dem der Buddha sprach. Das ist Dukkha-Vedana, das „Leid-Empfinden“. Man muss wissen, dass es das ist.“
Er konnte keinen Laut mehr hervorbringen. Er verdrehte die Augen und verzog das Gesicht. Ich verstand, dass das der Moment des letzten Versuchs war. Schon manchmal hatte ich es sagen wollen, aber nie getan. Jetzt drängten sich die Worte auf die Zunge und brachen heraus:
„Dieses Brennen hat nichts mit dem Los des Sonntagsgeborenen zu tun, und das taub-stechende Gefühl nichts mit dem am Donnerstag Geborenen. Das ist Dukkha-Vedana, Vater. Es entsteht aus sich selbst heraus, ganz von alleine. Das ist nicht in dir, das bist nicht du. In Wahrheit gibt es nur Dukkha-Vedana und das Wissen darüber. Es gibt nur diese beiden Dinge. – Vater, Vater, hörst du mich?“ Die Verzerrung seines Gesichtes fing langsam an sich zu lösen. Seine zuckende Hand kam zur Ruhe. Die Temperatur sank spürbar.

Der Körper, der aus Kamma, Bewusstsein, Physis und Nahrung erwächst, endet auch durch diese vier Dinge. Ich wusste, der Augenblick des Todes war gekommen. Man sagt, im Moment des Todes vergeht zuerst der Teil des Körpers, der aus Kamma erwächst, danach der, der aus Bewusstsein erwächst. Der auf Nahrung beruhende Teil vergeht zusammen mit dem des Kammas. Und die festen Bestandteile, welche auf Physis beruhen, bleiben ohne jedes Bewusstsein zurück. Ich hatte keine Gelegenheit bekommen, es Vater noch einmal zu erklären. Aus seinen Augen war je eine Träne geflossen. Ich hoffte, Vater hatte meine unerwiderten Worte trotzdem vernommen. Aber waren sie in der Lage, Horoskope und Astrologie, die Vaters Leben bestimmt hatten, so einfach zu verdrängen? Wenn, dann nur durch ihn selbst. Durch mein Reden bestimmt nicht. Ich glaube nicht, dass man mit bloßen Worten die Überzeugungen anderer ändern kann. Es ist uns nicht möglich, ein anderes Wesen zu befreien. Wir können nur den Weg weisen. Freikämpfen muss sich jeder allein, und der Weg führt über das Dhamma. Während ich Mutter und Schwester weinen hörte, war mir, als hätte ich diese bestimmte Wahrheit verstanden.

 

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