"Mein Vater und ich" von Maung Aye Mya

<<< Vorherige Seite

Als ich klein war, interessierten mich die Dinge, mit denen sich Mutter und Schwester so eifrig zu beschäftigen pflegten, nicht und ich glaubte auch nicht daran. Zwar hatte ich die Augen meiner Mutter, ihre Überzeugungen aber teilte ich nicht, machte mich im Geheimen eher lustig darüber. Aber ich wusste, dass man seine Gebete zu verrichten hatte. Nicht dass ich in diesem zarten Alter buddhistische Texte gelernt hätte. Bereits in der Unterstufe war es üblich, als erstes nach dem Klingelzeichen zusammen zu beten und im Chor laut die Verse aufzusagen. Ich erinnere mich, dass wir am Schluss das ganze Leben des Buddha vor seiner Erleuchtung herunterbeteten. Während jener Zeit begann ich zu spüren, dass der Buddha höchst verehrungswürdig war. Ein zweiter Grund war wohl, dass ich vor meinem dritten Schuljahr für eine kurze Zeit als Novize ins Kloster kam. Das Leben als Novize und das Rezitieren der Schriften in Lobpreisung der drei Juwelen – Buddha, Dhamma, Sangha – übten eine gewisse Anziehungskraft auf mich aus.
Aber auch das, was mein Vater mir beibrachte, spielte eine Rolle. Lasst mich also von meinem Vater erzählen, denn um ihn soll es ja in dieser Geschichte gehen. Als ich noch ein Kind war, bekam mein Vater eine Arbeit als Leiter eines Spirituosengeschäftes in einem kleinen Ort namens Kwin-Kauk, etwa fünfzehn Meilen von unserer Stadt entfernt. Einmal in der Woche, manchmal auch nur einmal im Monat, kam er nach Hause. Soweit ich mich erinnere, brachte er nach jedem Zahltag am Ende eines Monats seinen Lohn mit heim. Die Kyat-Noten gab er Mutter, das Kleingeld wurde zwischen meiner Schwester und mir aufgeteilt. Ein, zwei Pya waren schon damals nicht mehr viel wert. Aber mit fünf Pyas konnte man sich noch etwas kaufen. Die größeren Münzen, die wir monatlich von Vater bekamen, also 50 oder 25 Pyas, steckten wir in unsere Bambussparbüchse. Mit dem restlichen Kleingeld kauften wir uns Süßigkeiten. Ich erinnere mich, dass es gewöhnlich nach vier bis fünf Tagen aufgebraucht war.

Am Tag seiner Ankunft, wenn wir zusammen beim Abendessen saßen, fragte er Mutter, wie wir in der Schule zurecht kamen und ob unsere Schulbücher ausreichten. Abends vor dem Schlafengehen mussten wir Geschwister mit artig verschränkten Armen vor unserem Vater sitzen und die fünf Gebote aufsagen: Man darf nicht töten, nicht stehlen, muss sexuelles Fehlverhalten vermeiden, keine Rauschmittel nehmen und nicht lügen. Dann sollten wir unseren genauen Geburtstag nach dem burmesischen Kalender angeben. Vater fragte nach der Jahreszahl, ich antwortete: „Dreizehnhundertdreizehn.“ „Welcher Monat?“ – „Pyatho“. „Und der Tag?“, fragte Vater weiter. Ich antwortete: „Der erste Tag des zunehmenden Mondes.“ Dieses Frage-und-Antwort-Spiel gab es jeden Abend vor dem Zubettgehen, wenn Vater zu Hause war. Für meine Schwester war es dasselbe. Zuletzt wurden englische Vokabeln abgefragt. Er fragte nach Auge, und wir riefen zusammen „eye“, er sagte Nase, und wir antworteten „nose“. So ging es von Augen und Nase, über Ohren, Mund, Kopf, Kinn, Körper, Arme, Hände, Beine bis zu den Füßen. Erst dann durften wir ins Bett. Egal, wie lange Vater fort gewesen war, wenn er nach Hause kam, veranstaltete er jeden Abend diese Lektionen für uns. Manchmal erzählte er beim Abendessen, so gut er vermochte, von den früheren Existenzen des Buddha als König der Affen oder der Tauben oder auch die großen Jatakas – Das Mahosadha Jataka, das Punnaka Jataka, das Vessantara Jataka und so weiter. Am meisten führte er den Brahmanen Sokondanna im Munde, der einst mit erhobenem Zeigefinger vorausgesagt hatte, dass Prinz Siddhattha der wahrhaftige Buddha werden würde. Dies war Vaters liebste Geschichte, wohl schon deshalb, weil er sich selbst für Astrologie begeisterte.

 

Nächste Seite >>>