"Mein Vater und ich" von Maung Aye Mya
Ich glaube, dass Vater und ich uns so weit in unseren Meinungen voneinander entfernt hatten, hatte viel mit unseren Lesegewohnheiten zu tun. Vater fand viel weniger Zeit zum Lesen als ich. Er las auch nichts anderes als Schriften aus diesem einen Gebiet, in dem er Bescheid wusste und an das er glaubte. Ich las, wann immer ich Gelegenheit dazu hatte, und ich hatte genügend Zeit, über das Gelesene nachzudenken und verschiedene Thesen gegeneinander abzuwägen. Darin unterschieden wir uns.
Dabei ist mir völlig bewusst, dass ich durch das Studium buddhistischer Literatur allein nicht zu einem Meister der Lehre wurde. Ich habe nur hier und dort etwas gelesen, mal mehr, mal weniger ausführlich. Man kann nicht sagen, dass ich rundum versiert bin. Aber mein Glaube ist fest. Aber nur mit dem Glauben allein hat man ja noch nicht die Lehre erkannt. Aber dass jedes Ereignis im Leben
aufgrund von Ursachen in der eigenen Vergangenheit oder früheren Leben geschehen muss, ist mir immer klar gewesen. Man sagt ganz richtig, wenn man gutes Essen bekommt und kluge Lehren hört, erinnere man sich an gute Freunde. Wenn ich von Yangon nach Hause fuhr, hatte ich oft ein paar religiöse Bücher dabei, die ich bereits gelesen hatte und von denen ich dachte, sie wären vielleicht etwas für Vater oder Mutter. Was ich unternahm, war wie ein Versuch, jemandem die Matte wegzuziehen, die für ihn ausgebreitet war. Es nahm den Charakter einer ideologischen Auseinandersetzung an.
Und eines Tages gerieten Vater und ich aneinander. Damals war Vater auf Besuch nach Yangon gekommen. Da war er schon 75. Es war abends nach dem Essen, als Vater anfing: „Junge, meine astrologischen Berechnungen zeigen an, dass Mutter sterben wird. Es kann noch dieses Jahr passieren. Trotzdem – sei nicht betrübt.“
Er sprach in vollem Ernst und auf eine diplomatische, rücksichtsvolle Art, die mich beruhigen sollte. Ich war weder getroffen noch erstaunt und reagierte erst einmal überhaupt nicht. Nach einer Weile kam mir ein Gedanke und ich fragte:
„Als Großmutter starb, hast du das damals vorher gewusst?“ Ich sprach von seiner Mutter, welche im Alter von 73 Jahren gestorben war. Vater überlegte einen Augenblick, bevor er antwortete. „Damals hatte ich keine Berechnungen angestellt.“
Dann schwiegen wir eine Weile. Ich sah Großmutter vor mir. Sie war oft ins Meditationszentrum gegangen. Ich hatte sie jedes Mal hingebracht. Ich erinnere mich, dass ein Buch, in dem sie oft las, vom Hanthawadi Meditationszentrum war und den Titel trug: „In sieben Tagen zum Nibbana“. Jetzt, wo ich darüber nachdachte… Wenn ich einen Menschen hätte nennen sollen, der bei uns zu
Hause meditierte, so hätte ich nur Großmutter nennen können. Großvater, also Vaters Vater, interessierte sich ebenfalls nicht für solche Dinge. Auch er war der Astrologie verfallen gewesen. „Es würde dir gut tun, es mal mit Meditation zu versuchen, Vater“, entfuhr mir, was ich im Innern dachte. „Ich bin doch gesund, das Essen schmeckt mir, und ich schlafe noch gut. Hast du nicht gesehen, wie ich eben reingehauen habe? Du hast es doch extra für mich organisiert.“
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