"Sehnsucht" von Maung San Win (Bhamo)

In die Arme eines Sommerabends legt sich mit überraschender Schnelligkeit finsterste Dunkelheit. Vom Himmel über der dunklen Welt springt ein Stern nach dem anderen herab. Der Mond zählt die Sterne und fliegt flügellos über den dunklen Himmel. „Vater… Vater…“ , murmele ich leise, während ich nach Sternschnuppen Ausschau halte. Das laute Zirpen der Grillen in der Dunkelheit hatte mein Herz noch mehr mit Sehnsucht erfüllt. Frei von Sorgen und Ängsten liegt Vaters lebloser Körper da. Auf seinem Gesicht scheint ein leichtes Lächeln zu liegen.
„Machst du dich über die Welt lustig, Vater?“ Seine Augen sind zur Hälfte geschlossen. Im Zeitraum eines Augenzwinkerns hatte er alles hinter sich zurück gelassen. Er, der, wenn er nicht gerade zur Schule oder Pagode ging, ausgeblichene, abgewetzte Kleidung trug, wirkte jetzt im weißen Hemd mit Stehkragen und blaugrün karierten Kachin Longyi ungewöhnlich ordentlich gekleidet.
„Vater, es erscheint wie ein Traum, dass wir so plötzlich voneinander getrennt wurden, nicht wahr? In Wirklichkeit ist dieses ganze Leben ein einziger langer Traum voller Sehnsüchte. Du, Vater, bist einem solchen Traum entkommen. Wir müssen ihn weiterträumen und uns Hoffnungen machen, Vater. Wir müssen ihn weiterträumen.“

Von seinen drei Söhnen liebte Vater mich, den ältesten, am meisten. Wir sahen uns sehr ähnlich. Die Art zu kommen und zu gehen, zu sitzen, zu stehen, zu liegen… Von der Hautfarbe angefangen bis hin zu Körpergröße und Figur waren Vater und ich uns zum Verwechseln ähnlich. Da ich ihm so glich, schien er große Hoffnungen für die Zukunft in mich gesetzt zu haben. Als ich die Grundschule
absolviert hatte, schickte er mich zur Oberschule. Die meisten Leute aus unserem Dorf hatten gerade mal Grundschulbildung. Spätestens wenn die Kinder die vierte Klasse erreichten, behielten ihre Eltern sie zu Hause, damit sie auf den Feldern halfen. Die Mädchen lernten, Reis zu verpflanzen, die Jungen zu pflügen, zu eggen und Reissämlinge für das Verpflanzen vorzubereiten. Ob es in einer solchen Umgebung, die der Bildung keinen Wert beimaß, ein Glück für mich war, weiter zur Schule zu gehen? Wie auch immer, jedenfalls brauchte ich vorerst nicht in die matschigen Reisfelder zu steigen.
„Reisbauer zu sein, ist furchtbar anstrengend, mein Sohn. Man muss sich in Regen und Matsch den ganzen Tag zusammen mit den Ochsen abrackern. Du solltest nicht anstreben, dein ganzes Leben als Bauer zu arbeiten. Streng dich an, damit du ein Büroangestellter wirst. Im Schatten mit dem Füllfederhalter in der Hand zu dösen – würde dir das nicht gefallen?“

Oft motivierte Vater mich so. Ermutigte mich voller Wohlwollen. Lobte mich liebevoll. Als ich mich so zu entwickeln begann, wie er es sich vorstellte, wurde er zuversichtlich. Als ich in der städtischen Oberschule Jahr für Jahr Auszeichnungen als Erst-, oder Zweitbester der Klasse erhielt, strahlte Vater vor Freude. Jedes Mal, wenn Gäste zu Besuch kamen, konnte er gar nicht mehr aufhören, über mich zu reden. Wenn Vater mit seinem Sohn angab, so hatte das seinen Grund: In seinem ganzen Leben war sein Sohn das Herausragendste überhaupt, nicht wahr?
„Hpo Htay, Hpo Kyaw, seht euch euren Bruder an! Jedes Jahr kriegt er eine Auszeichnung von der Schule in der Stadt. Wie begabt er ist!“ Immer wenn ich ein Foto von der Verleihung der Auszeichnungen mitbrachte, zeigte Vater es meinen beiden jüngeren Brüdern und forderte sie auf, es mir nachzumachen. Aber sie waren eher daran interessiert, frühzeitig in den Reisanbau einzusteigen. Da Vater also in die Ausbildung seiner beiden jüngeren Söhne keine großen Hoffnungen setzen konnte, war er um so begeisterter von mir.

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