"Traum auf einer Hängebrücke" von Ju

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Wenn man zu weit davon entfernt ist, wird auch ein Gegenstand mit klaren Umrissen vor unserem Auge unscharf. Analog dazu wird auch ein kräftiges Herzklopfen, das lange zurück-liegt, leise und schwach. An einem Nachmittag, an dem wir zusammen gesessen und uns unterhalten hatten, sagte er plötzlich: „Was ist? Hast du keine Lust dich zu unterhalten? Langweile ich dich? Dann gehe ich eben …!“, stand auf und ging fort. Daran erinnere ich mich zwar noch gut, aber ob mir die Unterhaltung damals wirklich langweilig geworden war oder ob ich das nur vorgegeben hatte, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Aber wenn ich mich jetzt mit ihm unterhalten könnte, gäbe ich nicht vor, gelangweilt zu sein.
Obwohl wir uns mit vergifteten Blicken angesehen hatten, wenn wir uns begegneten, betrachten wir einander in meinen Träumen mit angenehmen Gefühlen. Auch deshalb liebe ich meine Träume. In der realen Welt sind unsere Augen voneinander getrennt, unsere Schritte sind weit auseinander gegangen, und unsere Herzen lösen sich voneinander, denke ich.
Jedes Jahr, wenn an einem von feuchtem Nebel verhüllten Dezembermorgen wieder der Geburtstag meines Liebsten gekommen ist, bitte ich darum, dass es ein glücklicher Tag für ihn wird. Wer kann schon sagen, ob ihm nicht, während ich so für ihn bitte, jemand einen Kuss zum Geburtstag gibt? Wie die Zeiten sich auch ändern… unsere kleine Stadt, in der wir zwanzig Jahre lang beide gewohnt haben und erwachsen geworden sind, hofft, dass wir zwei, ihre Kinder, die ans nördliche und ans südliche Ende von Myanmar verschlagen wurden, wieder auf ihrem Boden miteinander reden und miteinander lachen können. Die schlichte, ehrliche Stadt, die wir beide so lieben.

 

Obwohl der wichtigste Wirtschaftszweig unserer Stadt der Handel ist und die größte Gruppe der dort lebenden Menschen die Erdölarbeiter sind, weiß ich kaum etwas über Erdöl. Mir ist bekannt, dass man Holzhäuser damit anstreicht, um sie abzudichten. Dass die Leute damit Fußböden polieren, damit sie glänzen. Dass es ein äußerst wertvoller Brennstoff ist. Und ich erinnere mich, dass, wenn keines erhältlich war, um damit abends Licht zu machen, wir teure Kerzen kaufen und in viereckige Glaslaternen stellen mussten, um sie vor dem Wind zu schützen. Obwohl ich also nicht viel über das Öl weiß, erinnere ich mich doch gut an die Ölarbeiter. Nachmittags, wenn sie von der Arbeit zurückkamen, konnte man eine große Gruppe von Schutzhelmen durch die Straßen unserer Stadt wandern sehen. Wenn man vonder oberen Straße aus darauf blickte, konnte man nur erkennen, dass sich glänzende Helme bewegen. Erst wenn sie langsam näher kamen, sah man auch Gesichter, dann Hälse und schließlich Körper. Was den Anschein erweckte, als ob blaue Arbeitsoveralls unterdem Metallschimmer vor und zurückwogten, waren in Wirklichkeitzu ihrer Schicht gehende und von der Arbeit heimkehrende Arbeiter. Zur Zeit des Schichtwechsels sammelte das ganze Blau sich dann auflangen Lastwagen mit dem Emblem der Erdölwerke, ohne Verdeck und Seitenplanken, um in die Stadt gefahren zu werden.

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