"Yurou tu thaun-sin" von Min Lu

Kyaw Kunt war der erste, der von der Yurou tu thaun-sin genannten Euro 2000 erfuhr. In der Werkstatt, in der er arbeitete, gab es einen Vorgesetzten, der Fußballfan war und deshalb jede Woche das Tetlan Sportjournal las. Auch heute hatte er die Zeitschrift gelesen und auf den Tisch gelegt, als Kyaw Kunt den Raum betrat.
„Der Chef lässt Sie rufen“, sagte Kyaw Kunt und blickte dabei zu der Zeitschrift auf dem Tisch. „Ja, ja“, sagte der Vorgesetzte und erhob sich. Er erinnerte sich, dass Kyaw Kunt früher im Stadtteil Fußball gespielt hatte. Und weil Fußballfans nicht anders können, als sich gegenseitig die neueste Neuigkeit vom Fußball zu erzählen…
„Hey, Kyaw Kunt, bald ist die Yurou tu thaun-sin!“
„Wie bitte?“
„Na, die Euro 2000, äh, die Europameisterschaft… Ich hab jetzt keine Zeit, dir das zu erklären. Ich muss schnell los zum Boss. Wir machen das so: Nimm die Zeitschrift und schau rein, da steht alles drin. Aber nicht während der Arbeit, mein Freund!“
„Soll ich sie Ihnen zurückgeben, wenn ich sie gelesen habe?“
„Brauchst du nicht – ich hab’ sie schon durch.“
In dieser Nacht las Kyaw Kunt alles, was über die Euro 2000 in der Zeitschrift stand.
Am nächsten Morgen, in aller Frühe, als sich Pa Tays Le’pe’yei-hsain langsam füllte, kam Kyaw Kunt herein. Er setzte sich zur Gruppe um Hpo Ni. „Bald ist die Yurou tu thaun-sin“, begann er. Hpo Ni fragte „Was? Yurou tu thaun-sin?“ – „Na, die Euro 2000.“
Auch Ba Nu und horchte an ihrem Arbeitsplatz amWeil das Wort „2000“ vorkam, wurden die Leute im Le’pe’yei-hsain aufmerksam. Teekessel auf. „Schon wieder“, murmelte sie verschreckt vor sich hin. In ihrem Kopf tauchte nämlich der Gedanke auf, „Yurou tu thaunsin“ könne so etwas sein wie dieses Unglück bringende Y2K vor sechs oder sieben Monaten. Seit Y2K war das so. Ohne etwas Genaues zu wissen, war sie noch immer beunruhigt. Ihr Mann Pa Tay hatte gesagt, dass zum Jahreswechsel von 1999 auf 2000 die Computer auf der ganzen Welt kaputt gehen würden.
Da überlegte Ba Nu: Computer waren die am weitesten entwickelten Geräte der Welt. Wenn sogar die kaputt gingen, könnte es ja auch sein, dass so etwas wie ihr kleiner Kassettenrekorder zu Hause explodiert. Und das Bügeleisen. Das war doch auch ein Elektrogerät, oder? Und in die Wanduhr muss man auch eine Batterie einsetzen. Wenn diese Geräte unerwartet kaputt gingen, wäre für nichts und wieder nichts alles verloren.

Da sagte ihr Mann: „Na, du machst dir aber ’nen Kopf! Wenn die Dinger wirklich kaputt gehen, würde das in den Zeitungen stehen.“ Trotzdem fand Ba Nu keinen Frieden. Es konnte sein, dass Pa Tay das aus Ängstlichkeit so gesagt hatte. Denn Ba Nu hatte gehört, wie er Hpo Ni, der zum Teetrinken gekommen war, gefragt hatte: „Wenn ich meinen Kassettenrekorder jetzt verkaufe, wie viel kriege ich dafür?“
Deshalb erzählte sie eines Tages ihrer Cousine Bi Bi, die zu Besuch kam, dass sie den Kassettenrekorder verkaufen wolle. Bi Bi sagte, dass sie ihn nehme. Weil es eine Verwandte war, ging Ba Nu mit dem Preis herunter und verkaufte ihn für die Hälfte. Als Pa Tay davon erfuhr, schimpfte er mit ihr. Ba Nu aber sagte: „Wenn wegen Y2K alles kaputt geht, sind wir noch glimpflich davon gekommen“ und war zufrieden. Allerdings gab es niemanden, der das Bügeleisen und die Wanduhr kaufen wollte. Deshalb ging sie kurz vor Y2K zu der Pfandleiherin Thi und verpfändete beides. Allerdings ohne es wieder zurücknehmen zu können.
Auf ihren Ratschlag hin verpfändeten auch Pway eine Tischuhr, Frau Po ein kleines Radiogerät und Hla Htone eine Taschenlampe. In den Dezembernächten 1999 warteten einige Leute aus dem Stadtviertel schlaflos. Aber nicht, um wie alle anderen das Jahr 2000 mit Freudenfeiern zu begrüßen. Beim Jahreswechsel von 1999 auf 2000 würde die ganze Welt im Dunkel versinken. Die Erde würde beben. Stürme würden toben. Es würde heftig regnen. Es würde donnern und blitzen. Der Himmel würde einstürzen. Die Erde würde in Flammen stehen. Weil es solche und ähnliche Gerüchte gab, wagten sie nicht zu schlafen. Die Frauen glaubten mehr daran.

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