Ethno-linguistische Gruppen in Myanmar
Die tibetoburmanische Gruppe
Fast 80 Prozent der Gesamtbevölkerung von Myanmar sprechen eine Sprache der tibetoburmanischen Familie, die aus über hundert verschiedenen Sprachen oder Mundarten besteht. Viele davon werden vom burmesischen Staat nicht offiziell als eigene Sprachen anerkannt, aber in den ethnischen Gruppen des Landes kommen fast alle tibetoburmanischen Sprachzweige vor. Zu diesen Gruppen gehören:
• das Volk der Burmanen und seine engsten Verwandten, die Rakhine, Intha, Danu und Taungyo, die alle eine Art Burmesisch (oder “Burmish”, wie man manchmal sagt) sprechen;
• die Akha und Lahu aus der Umgebung von Kyaing Tong (ehemals Kengtung), deren Mundarten von Lolo-Sprachen abgeleitet sind und die Lisu aus den Shan und Kachin Staaten, die eine mit den beiden ersteren verwandte Sprache sprechen;
• die Jinghpaw, Lashi und Maru aus dem Kachin Staat sowie die Chin und Naga aus den westlichen Grenzgebieten, die keine Burmanen sind, aber wie diese einen Zweig der tibetoburmanischen Sprachfamilie repräsentieren und darum ihre eigenen Sprachen und Dialekte haben;
• die zahlreichen Karenstämme, zu denen unter anderen die Karenni, Pa-O und Padaung gehören und die ebenfalls über eigene Sprachen und Mundarten verfügen;
• die Rawang, ein sehr kleiner Stamm an der Grenze zwischen Myanmar und Tibet.
Die ethnischen Burmanen leben vorwiegend im zentralen Binnenland, zwischen Yangon und Mandalay. Als größte Volksgruppe von Myanmar haben sie alle wichtigen Bereiche unter Kontrolle: Die Regierung, das Militär, die Kultur, die Erziehung, die Medien, die Industrie und das Finanzwesen. Sie sind überwiegend kleine Landbesitzer, ihre Sprache ist Nationalsprache und ihre Religion der Theravada-Buddhismus. Diese Gruppe ist leicht an ihrer unverwechselbaren Kleidung zu erkennen, einem um die Hüften geschlungenen Wickeltuch, dem longyi. Die Frauen tragen als typische Gesichtsschminke auf Stirn und Wangen ein gelbes Puder aus der Rinde des thanakha- oder Holzapfelbaums.
Auf dem Land leben die ethnischen Burmanen in strohgedeckten, meist auf Pfählen errichteten Holzhäusern und betreiben Reisanbau mit Bewässerung.
Die Rakhine, früher Arakaner genannt, sind linguistisch mit den Burmanen verwandt, haben aber vermutlich auch indische Wurzeln. Sie verfügen über einen eigenen Verwaltungsbezirk an der Westküste. In der Nähe ihrer Hauptstadt, Sittwe, liegt eine der bedeutendsten historischen Stätten von Myanmar, die Tempel und Ruinen der alten Königsstadt Mrauk U, die einer Rakhine-Dynastie des siebzehnten Jahrhunderts ihren Namen gab. Obgleich die Rakhine im Lauf ihrer langen Geschichte mehrere Königreiche errichteten, wurden sie zuletzt von den Burmanen besiegt und ihres heiligsten Buddha-Bildnisses beraubt: Der Mahamuni-Statue, die heute in der Mahamuni Paya in Mandalay steht. Die meisten Rakhine sind gläubige Buddhisten, aber unter ihnen, nahe der Grenze zu Bangladesch, bilden die Rohingya eine kleine muslimische Minderheit. Die Gruppen der Intha, Danu und Taungyo leben im südlichen Teil des Shan Staats – die Dau und Taungyo in der Region von Kalaw, Heho und Pindaya, die Intha an den Ufern und auf dem Inle See. Alle drei sprechen burmesische Dialekte, sind aber auch von der Shan-Kultur ihrer Umgebung beeinflußt. Vermutlich stammen die Taungyo und die Intha ursprünglich aus der Gegend von Dawei im Verwaltungsbezirk Tanintharyi. Man nimmt an, daß sie vor einigen Jahrhunderten vor kriegerischen Auseinandersetzungen aus dem Süden geflohen sind. Später haben sie sich durch Einheirat mit der ansässigen Bevölkerung vermischt und werden darum manchmal als burmanische Mischvölker bezeichnet. Die Tatsache, daß alle drei keine strenge Stammesführung haben, ist einer der Gründe, weshalb sie nicht – wie die meisten anderen ethnischen Gruppen – mit ihren eigenen Befreiungsorganisationen in den Bürgerkrieg von 1960- 1995 eintraten. Die Akha und Lahu siedeln in der Umgebung von Kyaing Tong (ehemals Kengtung), wo sie als Bergbauern Reis, Buchweizen, Mais, Gemüse und Schlafmohn anbauen. Obwohl sie Rohopium produzieren, sind sie weder Drogenhändler noch stellen sie Heroin her. Ihre Sprachen gehören zu denen der Lolo-Gruppe, die in Südwestchina, Thailand, Laos und Vietnam gesprochen werden. Als diejenigen Stämme, die sich zuletzt in Myanmar niedergelassen haben, sind die Akha und Lahu im neunzehnten Jahrhundert von Südwestchina eingewandert. Einige ihrer Mitglieder haben sich zum Christentum bekehrt, aber in der Mehrheit sind sie Animisten. Von Kyaing Tong aus können einige Dörfer dieser beiden Stämme besucht werden.
Die Lisu, ein anderer Stamm der Lolo-Sprachgruppe, siedeln an der chinesischen Grenze der Kachin und Shan Staaten. Sie führen ein ähnliches Leben wie die Akha und Lahu, und ihre wichtigste Einnahmequelle ist wahrscheinlich Opium. Im Umkreis von Putao – der nördlichsten für Ausländer geöffneten
Stadt des Kachin Staats – besteht die Möglichkeit, einige Lisu- Siedlungen zu besuchen.
Der Kachin Staat mit seinen vielen Stämmen ist für Fremde nur teilweise zugänglich. Seine Hauptstadt, Myitkyina, war das letzte Ziel meiner langen Eisenbahnfahrt durch die Grenzgebiete, von der mein zweiter Reisebericht handelt. Manche Quellen beschreiben die Kachin als einen Stamm, aber es gibt keine konkrete Gemeinschaft, die dieser Bezeichnung entspräche. Im Kachin Staat sind viele Stämme verschiedener Sprachfamilien zu Hause. Als repräsentativ gelten jedoch die Jinghpaw, welche die größte und stärkste Gruppe bilden. Die Jinghpaw, Maru und Lashi gehören einem Zweig der tibetoburmanischen Sprachfamilie an, die ebenfalls im Kachin Staat ansässigen Rawang einem anderen. Im Unterschied dazu sind die Khamti, enge Verwandte
der Shan, der Dajak-Sprachgruppe zuzuordnen. Der Kachin Staat ist, anders als der Shan Staat, kein buddhistischer Staat. Tatsächlich haben sich die christlichen Kirchen bei den Jinghpaw besonders erfolgreich durchgesetzt. Ausländische Besucher können die Lebensweise der Jinghpaw, Maru und Lashi im Umkreis der Hauptstadt Myitkyina kennenlernen und von Putao aus möglicherweise einige Dörfer der Rawang und Lisu besuchen. Die Chin, ein tibetoburmanischer Stamm, bewohnen das abgeschiedene Bergland im Nordwesten, an der Grenze zu den indischen Provinzen Mizoram und Manipur und der Chittagong-Provinz von Bangladesch. Viele Chin haben sich von ihrer
animistischen Naturreligion zum Christentum bekehren lassen. Die vielfältigen Chin-Stämme haben keine gemeinsame Sprache, sondern sprechen über vierzig Dialekte. In der Entwicklung ist der Chin Staat erheblich zurückgeblieben. Die mangelnde Infrastruktur dürfte wohl der Hauptgrund sein, warum der Staat nur mit Sondererlaubnis bereist werden darf.
Die ebenfalls tibetoburmanische Gruppe der Naga lebt am oberen Lauf des Chindwin im Sagaing Bezirk, zum größten Teil aber jenseits der Grenze im indischen Nagaland. Auf beiden Seiten streben die Naga größere Autonomie an und sind als erbitterte Kämpfer für ihre Sache bekannt. Von Zeit zu Zeit erteilt die Regierung von Myanmar Ausländern die Erlaubnis, das Naga-Gebiet in Begleitung eines Führers, – insbesondere zum Naga-Fest im Januar – zu besuchen.
Die Karen, eine große und bedeutende tibetoburmanische Gruppe, setzen sich aus zahllosen Untergruppen und -grüppchen zusammen, von denen die Roten, Schwarzen und Weißen Karen wohl die bekanntesten sind. In der Literatur über die Karen werden manchmal die Eigennamen einzelner Stämme wie Sgaw, Kayin, Pku, Pwo, Bwe, Kayah oder Karenni angeführt. Das mag verwirrend sein, aber sie alle sind Karen, die eine außerordentlich komplexe und vielfältige Gruppe bilden. Obgleich beide, Burmanen und Karen, der tibetoburmanischen Sprachgruppe angehören, waren sie jahrhundertelang verfeindet. Manche Karen sind Buddhisten, aber viele sind Baptisten geworden: Heute bekämpfen sie sich untereinander, während das burmesische Militär Zug um Zug die Kontrolle über ihr Territorium gewinnt. Die 2,2 Millionen Karen stellen in Myanmar – nach den Burmanen und den Shan – die drittgrößte ethnische Gruppe dar. Sie verfügen über zwei der sieben Staaten, den südlich des Shan Staates gelegenen Kayah Staat mit der Hauptstadt Loikaw und den Kayin Staat mit der Hauptstadt Hpa-an. Beide haben eine gemeinsame Grenze mit Nordthailand, doch obwohl die Karen in dem Ruf stehen, begnadete Schmuggler zu sein, waren sie nie in den Drogenhandel verstrickt. Wegen anhaltender kriegerischer Unruhen sind der Kayah Staat ganz und der Kayin Staat mit Ausnahme des südlichen Teils für Touristen gesperrt – eine überaus bedauerliche Einschränkung, denn gerade der Kayah Staat mit dem wilden Thanlwin, den schönen Tälern und den malerischen Seen gilt weithin als eine der landschaftlich reizvollsten Gegenden von Myanmar.
Der Ursprung der Karen ist nicht belegt, aber es gibt eine hochinteressante Hypothese über ihre Herkunft. Man nimmt an, dass der Stamm in der nordchinesischen Provinz Gansu oder gar in der Mongolei beheimatet war. Die Stammesmythologie liefert Hinweise auf eine Überquerung des “River of Sand”, mit dem die Wüste Gobi gemeint sein könnte. Ein anderer Aspekt der Karen-Mythologie ist (oder war) ihr Glaube, eines Tages würde ein heiliger Mann erscheinen und ihr Volk retten. Dieser Glaube wird als Erklärung für die Bereitschaft der Karen herangezogen, sich ohne Zögern von amerikanischen Baptisten zum Christentum bekehren zu lassen. Es ist aber auch denkbar, dass die ursprünglichen Karen mit den Nestorianern in Berührung kamen oder gar Mitglieder dieser frühen christlichen Sekte waren. Der im Mittleren Osten entstandene Nestorianismus – hervorgegangen aus der Verurteilung des Nestorius und seiner Lehren durch das Konzil von Ephesus (431) und das Chalkedonische Konzil (451) – hatte sich in Asien und schließlich in verschiedenen Teilen Nordchinas (einschließlich der Provinz Gansu) verbreitet, wo er zwischen dem siebten und dem zehnten Jahrhundert seine Blütezeit erlebte.
Die Pa-O, eine von den Burmanen Taungthu genannte Untergruppe der Karen, siedeln in den Bergen rund um den Inle See und in dem Gebiet zwischen Taunggyi, der Hauptstadt des Shan Staats, und der Grenze zum Kayah Staat. Über ihre Ursprünge ist wenig bekannt, vermutlich stammen sie aus der Gegend um Thaton. Während der Kolonialzeit bewahrten sie eine Teilautonomie und wurden sowohl von den führenden Shan als auch von der burmesischen Armee verfolgt. Die Pa-O sind gläubige Buddhisten. Ihre wichtigsten religiösen Zentren in Kak Ku und Indein sind für Besucher wieder zugänglich, aber die burmesischen Archäologen wissen kaum etwas über diese beiden prachtvollen historischen Stätten. Im Zusammenhang mit meinem Besuch am Inle See werden ich noch darauf zurückkommen. Die Padaung, die hauptsächlich im Umkreis von Loikaw im Kayah Staat leben, bilden eine weitere Untergruppe der Karen.
Wegen ihrer ungewöhnlichen Art, sich zu schmücken, sind die Padaung-Frauen sicher die meist photographierte Minderheit in Burma. Als junge Mädchen beginnen sie, um den Hals geschmiedete Ringe zu tragen, denen Jahr für Jahr immer mehr Ringe hinzugefügt werden. Auf diese Weise kann der Hals bis zu einer Länge von fünfundzwanzig Zentimetern gestreckt werden.
Die Thai-Shan Gruppe
Die Shan und die Khamti sind Mitglieder der Dajak-Sprachfamilie und eng mit den Thai in Thailand verwandt. Als größte ethnische Minderheit in Myanmar haben die Shan selbstverständlich ihren eigenen Staat. Aber sie müssen ihn mit mehreren Minderheiten teilen, die keine Shan sind – so etwa mit den Wa, den Akha, den Lahu und den Lisu, mit Kokang Chinesen, Tayok Chinesen, Haw Chinesen, Intha, Palaung, Pa-O, Danu und Taungyo. Eine ethno-linguistische Farbkarte des Shan Staats ergäbe ein buntes Patchwork-Design. Die Shan nennen sich selbst „Dtai”; der Name “Shan” wurde ihnen von den Engländern gegeben. Ihre Ahnen sind im dreizehnten Jahrhundert vom südlichen Fuß des Himalaja nach Myanmar eingedrungen und haben die Burmanen jahrhundertelang bekämpft, bis diese sie aus dem zentralen Flachland in die Hochländer des Shan-Plateaus vertrieben. Auf die Shan und ihren Staat werde ich später noch zurückkommen. Eine andere Dajak-Gruppe, die Khamti, nahe Verwandte der Shan, ließen sich im benachbarten Kachin Staat nieder.
Die Mon-Khmer Stämme
Die Mon-Khmer gehören der austro-asiatischen Sprachfamilie an und sind mit der zweiten großen Migrationswelle in das Land gekommen, das wir heute Myanmar nennen. Sie gehören zu jenen Mongolenstämmen, die nacheinander aus dem Hochland von Tibet und anderen, nördlichen Gebieten Chinas in die Täler und Ebenen von Myanmar eingewandert sind. Um das sechste Jahrhundert ließen sie sich in den Tiefländern zwischen dem burmesischen Ayeyarwady und dem Mekong in Kambodscha nieder. Dort kamen sie mit der indischen Kultur in Kontakt, die sie – ebenso wie die Religionen – zum großen Teil übernahmen. Sie brachten eine Hochkultur mit berühmten Kunst- und Bauwerken hervor und waren auch die Schöpfer des unvergleichlichen Angkor Wat, das nur ein Beispiel ihrer hervorragenden architektonischen Leistungen ist. Als im achten und neunten Jahrhundert die Burmanen ins Landesinnere vordrangen, mußten die dort ansässigen Mon schließlich nach Süden weichen. Daraus erwuchs ein Jahrhunderte währender Kampf zwischen Mon und Burmanen um das Territorium. Am Ende siegten die Burmanen und übernahmen von den Mon Religion und Kultur. Die Mon wurden aufgerieben, absorbiert und verloren fast alles, was ihre ethnische und kulturelle Identität ausmachte. Heute gibt es noch Mon-Gemeinschaften in der Umgebung von Bago und Mawlamyine.
Die Palaung, linguistisch mit den Mon verwandt, leben als Bergbauern weit zerstreut im Süd- und Nordwesten des Shan Staates, wo sie Tee und andere Nutzpflanzen kultivieren. In der Umgebung von Pindaya und Kalaw besteht die Möglichkeit, Bergdörfer der Palaung zu besuchen.
Die Gebirgsstämme der Wa, die ebenfalls zu den Mon-Khmer gehören und in den abgeschiedenen Regionen des Shan Staats nahe der chinesischen Grenze siedeln, haben in jüngster Zeit traurige Berühmtheit erlangt: Sie gelten nicht nur als die größten Opium- und Heroinproduzenten von Myanmar, sondern haben ihr tödliches Geschäft auch auf synthetische Drogen wie Amphetamine ausgeweitet, die vorwiegend für Thailand bestimmt sind. Ihre gegenwärtigen Führer sind jedoch keine Wa, sondern ethnische Chinesen, die sich der Befreiungsbewegung und der Rebellenarmee der Wa „bedienen”. Wie wir im Zusammenhang mit meinem Aufenthalt in Lashio noch sehen werden, gestattet die burmesische Regierung ausländischen Touristen unter gar keinen Umständen den Zutritt in die Gebiete der Wa.
Die Chinesen
Im Lauf der Geschichte hat es verschiedene Einwanderungsbewegungen aus allen möglichen Regionen Chinas gegeben. Die Vorfahren der meisten Chinesen, die heute im Tiefland und im Zentrum Burmas leben, sind in den letzten zweihundert Jahren über südostasiatische Nachbarländer oder auf dem Seeweg nach Myanmar gekommen. Eine andere Gruppe, die im Shan Staat ansässig ist, kam über einen Zeitraum von vielen hundert Jahren in mehreren Schüben hauptsächlich aus der Provinz Yunnan.
Noch andere Chinesen – etwa die aus dem Kokang-Gebiet im Shan Staat – wurden Burma in der Kolonialzeit einverleibt, als die Briten willkürliche Landesgrenzen festlegten. Lange waren die Chinesen in Myanmar eher unauffällig geblieben (viele Angehörige der älteren Generation erinnern sich mit Schrecken an die anti-chinesischen Ausschreitungen von 1967 in Yangon). Heute löst ihre zunehmende ökonomische und finanzielle Vormachtstellung im Norden und Nordosten des Landes bei vielen Shan und Burmanen eine nicht ungefährliche Verbitterung aus. Insbesondere, weil alle wissen, dass eine Minderheit der chinesischen Bevölkerung von Myanmar illegale Geschäfte, vor allem Schmuggel mit Edelsteinen und Drogenhandel betreibt.
Im Shan Staat gibt es verschiedene mehr oder weniger einflussreiche Chinesen-Gruppen mit einer je eigenen Geschichte: Die Shan Tayok, die sich durch Einheirat mit den Shan vermischt haben und in kleinen Gemeinschaften über den ganzen Shan Staat verstreut leben; die Kokang Chinesen, deren Siedlungsgebiete zwischen Lashio und der Grenze mit China liegen; und die Haw Chinesen, die in den Dörfern und Städten des Goldenen Dreiecks zu Hause sind. Mit den Kokang Chinesen werde ich mich im Zusammenhang mit dem Goldenen Dreieck und dem Thema Opium noch näher befassen, denn aus ihren Kreisen stammen vermutlich einige der größten Opiumhändler von Myanmar. Ihre Volksbrüder, die Haw Chinesen, die als Maultiertreiber aus Yunnan gekommen sind, haben sich in den unzugänglichen Gebirgsregionen des Goldenen Dreiecks als Opiumsammler und Drogenhändler etabliert. Die Haw, auch unter den Namen Hui oder Pathay bekannt, stammen ursprünglich aus Persien und Zentralasien. Sie waren muslimische Chinesen, die sich durch Heiratsverbindungen mit den Han vermischten und hauptsächlich im westlichen Teil Chinas und entlang der burmesischen Grenze lebten. Die Geschichte dieses Stammes ist besonders faszinierend.
Die Inder
Die letzte Gruppe, die hier behandelt werden soll, ist aus Indien nach Myanmar gekommen (dabei beziehe ich mich auf das ungeteilte Indien vor der Unabhängigkeit, das Pakistan und Bangladesch einschloss). Die meisten Inder wurden während der Kolonialherrschaft von den Briten ins Land geholt oder zur Einwanderung ermutigt. Je nachdem, ob sie eine schlechte oder eine gute Schulbildung besaßen, nahmen die einen niedrige Arbeiten an oder dienten im Kolonialheer, während die anderen Händler, Pfandleiher, Landbesitzer, Rechtsanwälte und Ärzte wurden. Die Pfandleiher machten glänzende Geschäfte. Ihre besten Kunden waren burmesische Bauern, die ihnen ihre Höfe als Pfand abtreten mussten, wenn sie das geliehene Geld nach einer schlechten Ernte nicht zurückbezahlen konnten.
Als Burma unabhängig wurde, gehörten zwei Drittel der landwirtschaftlichen Nutzfläche des Landes der indischen Gemeinschaft. Aus Angst, die verarmten, um ihren Besitz gebrachten einstigen Bauern, die sich dem Heer der Arbeitslosen in den Städten angeschlossen hatten, könnten im Zuge der Unabhängigkeit Rache üben, verließen viele Inder um diese Zeit das Land. Als Ne Win 1962 die demokratisch gewählte Regierung absetzte, mussten wegen der weit verbreiteten Ressentiments der ethnischen Burmanen noch einmal viele Inder gehen. Von denen, die bis heute in Myanmar leben, sind manche Hindus, andere Muslime. Die Hindus haben gewöhnlich die bessere Schulbildung und folglich die besseren Positionen. Ein guter Teil der Muslime gehört zu den ärmsten Schichten der burmesischen Bevölkerung.
Harte körperliche Arbeiten sind ihre Jobs – als Rikschafahrer, Hilfsarbeiter oder Träger an Eisenbahnstationen. Im Jahr 1989 beschloss die Militärregierung, dem Land einen neuen Namen zu geben, der all die hier genannten und nicht genannten Minderheiten symbolisch einbeziehen sollte und mit dem sich alle gleichermaßen identifizieren könnten. In der Vergangenheit hatten die Burmesen zwei Namen für ihr Land benutzt, Bamah oder Bamar (von den Briten in Burma, von den Deutschen in Birma verwandelt) und Myanmar oder Myanma. Die Generäle entschieden sich nun für Myanmar, den Namen eines früheren Königreichs, das fast alle heutigen Gebiete umfasst hatte. Aber der neue Name brachte ein Problem mit sich, denn die Herrscher des Königreichs Myanmar waren Burmanen gewesen und nicht Shan, Mon oder Kachin.
Die Namensänderung von 1989 hat im Ausland beträchtliche Verwirrung hervorgerufen. Offiziell ist der Bürger von Myanmar jetzt ein Myanmar. Die übrige Welt ist aber bei den alten Bezeichnungen geblieben, wonach alle Bürger des Landes ungeachtet ihrer ethnischen Herkunft Burmesen sind – ein Begriff, der sich auf ihre Staatsangehörigkeit bezieht. Die größte ethnische Gruppe unter ihnen sind die Burmanen, die im zentralen Teil des Landes wohnen, deren Sprache Nationalsprache ist, die weitgehend die Geschichte und Kultur des Landes geformt haben und heute die politische Führung bilden. Im nächsten Kapitel wollen wir uns deshalb der Geschichte und der Politik zuwenden.