Baedeker’s Handbuch für Schnellreisende

Kategorie: Reisebücher des Monats ǀ

Oberflächlich betrachtet könnte man annehmen, es handle sich bei dem handlichen Bändchen im festen roten Einband mit den abgerundeten Ecken, beschriftet mit goldenen Lettern, um ein Kirchengesangbuch. Der grell pinkfarbene Schnitt lässt allerdings leise Zweifel aufkommen. "Baedeker’s Handbuch für Schnellreisende", so der etwas rätselhaft klingende Titel des kürzlich im renommierten DuMont Reiseverlag erschienenen Buches, enthält nach heutiger Sicht eher an Anekdoten erinnernde Informationen für interessierte Touristen zu einer Zeit, als das Reisen aus anderen Gründen als Handel und Pilgern noch in den Kinderschuhen steckte.

 

Baedeker's Handbuch für Schnellreisende; (c)mairdumont (*Partnerlink)

Erst der Essener Verleger Karl Baedeker (1801-1859), selber begeisterter Reisender, entdeckte den neuen Markt für Reiseführer und war als Autor und Verleger für Reisehandbücher über die Grenzen Deutschlands hinaus erfolgreich tätig. Er gilt heute weltweit als Erfinder des modernen Reiseführers.

Beliebte Reiseziele im 19. Jahrhundert waren unter anderem die Nachbarländer, Skandinavien, Spanien, Italien und Großbritannien, aber auch Ägypten, Indien, Palästina, Russland, Nordamerika und das westliche Kleinasien. Für all diese Länder gab es bei Baedeker „Handbücher für Reisende“. Eines der ersten war die von Karl Baedeker selbst verfasste „Rheinreise von Straßburg bis Düsseldorf“.
Die ersten, schon damals roten Reiseführer deckten das reine Kulturprogramm ab, das auf der Reise oft systematisch abgearbeitet wurde. Das machte selbstständig, denn man konnte auf professionelle Reiseführer verzichten. Kontakte zur einheimischen Bevölkerung war dabei nur selten vorgesehen. Dafür blieb auch gar keine Zeit, denn das Bewältigen der vielen „Sehens- und Merkwürdigkeiten“ war allein schon harte Arbeit.

Leisten konnten sich die kostspieligen Reisen nur gutsituierte Leute aus der besseren Gesellschaft, zu deren Lebensziel es gehörte, einmal im Jahr zu verreisen. Doch auch gutbürgerliche Familien auf der Suche nach Sommerfrische oder Badespaß sowie Bergwanderer fanden in den Handbüchern Anregungen und Ratschläge. Ziel Karl Baedekers war es, auch Reiseanleitungen für ein weniger wohlhabendes reiselustiges Publikum anzubieten, dessen Freizeit zudem begrenzt war.

Die von den Herausgebern Christian Koch, Philip Laubach und Rainer Eisenschmid ausgewählten und kommentierten Ausschnitte aus 18 der frühen Baedeker Handbüchern für Reisende führen uns vor Augen, wie man damals unterwegs gewesen ist und wie sich seither Transportsysteme, Übernachtungsmöglichkeiten und Reisekomfort verändert haben.

Man erfährt zum Beispiel:

• Dass es in New York 2.800 Briefkästen gibt, die täglich bis zu 24 Mal geleert werden

• Die Bedeutung von „Dragomanen“ für Reisen im Orient

• Warum man in manchen Regionen reiten können sollte, wenn man mobil sein möchte

• Dass in der Schweiz wanderfreudigen Damen für Bergtouren ein fußfreier Rock und Flanellunterwäsche empfohlen werden

• Dass in Berlin Schritte als präzise Entfernungsangaben dienen; ein Spaziergang vom Brandenburger Tor bis zum Schloss sind 2162 Schritte/21 Minuten

• Dass in Paris vor dem „widerwärtigen Unfug bezahlter Klatscher“ in Theatern gewarnt wird

• Dass man in Indien für regelmäßigen Stuhlgang und genügenden Schlaf sorgen solle und man sich im Falle von Magen- und Darmproblemen keineswegs selber mit Opium zu kurieren versuchen sollte

• Dass Indien unter den fernen Ländern in Übersee außerdem zu denen gehöre, die am leichtesten zu bereisen seien, und es in drei Wochen bequem mit dem Dampfer zu erreichen sei.

Das Kurioseste ist aber wohl die mehrseitige Übersicht, was drei Personen für eine selbst organisierte Nil-Kreuzfahrt an Verpflegung mit sich führen sollten, und zwar unter anderem:

• 7 kg Kaffee • 30 Büchsen Sardinen (15 große und 15 kleine)

• 20 ½ kg Reis • 48 kg Salz

• 2 Fässer Kartoffeln • 170 Flaschen Wein, Bier und Spirituosen (aber nur 1 Korkenzieher) und „etwas“ Champagner „für Festtage und zum Empfang von Gästen

Etwas nervig sind bisweilen die in roter Schrift gedruckten Kommentare von Christian Koch. Sie wirken etwas vorlaut und kommen nicht immer so witzig rüber, wie sie sein sollen.

Baedeker’s Handbuch für Schnellreisende* ist ein nettes Geschenk für weitgereiste Leute und all jene, die einen kleinen Einblick in die so andere Reisewelt von vor 100 bis 150 Jahren haben wollen. Heute, wo das Reisen selbstverständlich, unkompliziert und vor allem für jedermann erschwinglich geworden ist, lesen sich die Ratschläge von damals wie Anekdoten.

 

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