Das Nibelungenlied als mittelalterliches Reisebuch: Eine literarische Reise durch Raum und Mythologie*

Kategorie: Reisebücher des Monats ǀ

Das Nibelungenlied, ein Heldenepos aus dem frühen 13. Jahrhundert von einem unbekannten Autor aus Süddeutschland, ist weit mehr als eine Erzählung von Liebe, Verrat und Rache. Es ist auch ein faszinierendes Zeugnis mittelalterlicher Geographie und ein literarisches Reisebuch, das uns zu den wichtigsten Orten der damaligen Welt führt.

Das Nibelungenlied kann auch als mittelalterliches Reisebuch gelesen werden; Cover von amazon.de

Von Worms nach Island: Eine Reise durch das mittelalterliche Europa

Die Handlung des Nibelungenliedes beginnt in Worms, der damaligen Residenzstadt der Burgunderkönige. Hier residiert Kriemhild, die Schwester der Burgunderkönige Gunther, Gernot und Giselher, und hier trifft sie zum ersten Mal auf Siegfried, den Drachentöter aus Xanten. Worms, am Rhein gelegen, war ein wichtiger Handelsplatz und ein Zentrum der Macht im mittelalterlichen Deutschland.

Die Reise führt uns weiter nach Isenstein (vermutlich das heutige Passau), wo Siegfried Kriemhild erneut begegnet und um ihre Hand anhält. Isenstein, an der Mündung von Inn und Donau gelegen, war ein strategisch wichtiger Ort und ein Tor zum Osten.

Von Isenstein reist Siegfried weiter nach Island, um Gunther bei der Werbung um Brünhild, die Königin von Island, zu unterstützen. Island, eine Insel im Nordatlantik, war im Mittelalter ein geheimnisvoller und sagenumwobener Ort.

Von Worms nach Gran: Eine Reise durch das mittelalterliche Ungarn

Nach der Hochzeit von Gunther und Brünhild kehren die Helden nach Worms zurück. Hier kommt es zum Konflikt zwischen Kriemhild und Brünhild, der schließlich in der Ermordung Siegfrieds gipfelt.

Kriemhild, von Rache getrieben, heiratet Etzel (Attila), den König der Hunnen, und zieht nach Gran (Esztergom), der damaligen Hauptstadt Ungarns. Gran, an der Donau gelegen, war ein bedeutendes Zentrum der Hunnen und später der Magyaren.

Hier lädt Kriemhild ihre Brüder und deren Gefolge zu einem Fest ein, das in einem blutigen Gemetzel endet. Die Burgunder, von den Hunnen überwältigt, werden alle getötet, und auch Kriemhild findet den Tod.

Das Nibelungenlied als Spiegel mittelalterlicher Geographie

Das Nibelungenlied spiegelt die geografischen Kenntnisse und Vorstellungen des Mittelalters wider. Es erwähnt zahlreiche Orte, die für die damalige Zeit von Bedeutung waren, und gibt uns Einblicke in die Reisemöglichkeiten und -wege des Mittelalters.

Die Reisen im Nibelungenlied sind oft beschwerlich und gefährlich. Sie führen durch Wälder und über Berge, über Flüsse und Seen. Die Helden müssen sich mit Räubern und wilden Tieren auseinandersetzen, mit Stürmen und Unwettern.

Die Beschreibungen der Orte sind oft knapp und schemenhaft, aber sie vermitteln dennoch einen Eindruck von der Vielfalt und Weite der mittelalterlichen Welt.

Im Nibelungenlied werden also einige reale Orte erwähnt, die man heute noch finden kann, auch wenn ihre Namen sich teilweise geändert haben oder sie anders genannt werden:

Worms: Die Stadt Worms am Rhein ist der wohl bekannteste reale Ort im Nibelungenlied. Hier spielt sich ein Großteil der Handlung ab, und hier befindet sich auch das Nibelungenmuseum.

Passau: Die Stadt Passau an der Mündung von Inn und Donau wird im Nibelungenlied als "Isenstein" bezeichnet. Sie war ein wichtiger strategischer Ort im Mittelalter.

Gran: Die Stadt Esztergom in Ungarn, früher "Gran" genannt, wird im Nibelungenlied als Residenz des Hunnenkönigs Etzel erwähnt. Sie war ein bedeutendes Zentrum im Mittelalter.

Xanten: Die Stadt Xanten am Niederrhein wird als Heimat Siegfrieds erwähnt. Hier befindet sich auch der "Nibelungenhort", ein archäologischer Fund, der mit der Sage in Verbindung gebracht wird.

Es gibt darüber hinaus mehrere Orte, die als mögliche Standorte der Drachenhöhle aus der Siegfried-Sage und dem Nibelungenlied vermutet werden:

Der Drachenfels am Rhein: Der Drachenfels bei Königswinter ist ein bekannter Berg am Rhein, auf dem sich die Ruine einer Burg befindet. Die Sage vom Drachentöter Siegfried ist eng mit diesem Ort verbunden, und es gibt dort auch ein Drachenmuseum.

Die Wormser Gegend: Da Worms im Nibelungenlied eine zentrale Rolle spielt, wird auch in der Umgebung nach möglichen Orten für die Drachenhöhle gesucht. Es gibt einige Höhlen und Felsformationen in der Region, die als Kandidaten infrage kommen könnten.

Der Odenwald: Der Odenwald ist ein Mittelgebirge, das ebenfalls mit der Siegfriedsage in Verbindung gebracht wird. Hier gibt es zahlreiche Höhlen und Schluchten, die als mögliche Verstecke für einen Drachen dienen könnten. In dieser Gegend soll Hagen auch Siegfried ermordet haben.

Es allerdings unzweifelhaft, dass es sich bei der Drachenhöhle um einen mythologischen Ort handelt, der nicht historisch belegt ist. Die genannten Orte sind daher eher symbolische Orte, die mit der Sage verbunden sind und die Fantasie der Menschen beflügeln.

Das Nibelungenlied ist dabei eine Mischung aus historischen Fakten und fiktiven Elementen. Während die genannten Orte real sind, sind die beschriebenen Ereignisse und Personen oft mythologisch überhöht und entsprechen nicht unbedingt der historischen Realität.

Fazit

Das Nibelungenlied ist nicht nur ein literarisches Meisterwerk, sondern auch ein wertvolles Zeugnis mittelalterlicher Geographie. Es lädt uns ein zu einer literarischen Reise durch Raum und Zeit, zu den Orten, die im europäischen Mittelalter von Bedeutung waren. Es zeigt uns, wie die Menschen damals reisten, welche Schwierigkeiten sie überwinden mussten und welche Vorstellungen sie von der Welt hatten.