Jürg Kugler, Willkommen in Vietnam. Eine unterhaltsame Lektüre für Reisende nach Indochina

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Auch Vietnam möchte zur Normalität gelangen, und das ist dem Land mit seiner tragischen Vergangenheit längst gelungen. Es gibt wirtschaftliche Erfolge, zwar nicht im chinesischen Ausmaß, aber sie sind überall im Land sichtbar, obschon die Nostalgiker, die am schönen ländlichen Vietnam hängen, die Modernisierung mit gemischten Gefühlen sehen.

Kugler, Willkommen in Vietnam © Reisebuch Verlag

Der Schweizer Bürger Jürg Kugler, ein promovierter Rechtsanwalt, hat der Juristerei längst ade gesagt. Er lebt mit seiner vietnamesischen Frau auf der Tropeninsel Phu Quoc, betreut Travellers vor Ort und auf ihren Reisen durchs Land. Die individuelle Sicht, die unterhaltsame Absicht des Insiders, verspricht einen von Vorurteilen freien, wenn auch ungeschminkten Blick auf Land und Leute. Wie alle Ostasiaten leben die Vietnamesen eingebettet im Familienverbund. Nach anfänglichen Berührungsängsten wird auch der eingeheiratete Ausländer als Protagonist, wohlwollend, voller Neugierde, integriert.

Sehr oft sind es die ‚kleinen Leute‘, die in Kuglers Blick geraten, die gleichwohl ihre großen Hoffnungen und Wünsche haben, obwohl sie sich mühsam durchs Leben kämpfen müssen. Zwar steht die Palmeninsel Phu Quoc, im tiefen Süden Vietnams vor Kambodscha im Golf von Thailand gelegen, im Mittelpunkt der Erzählungen, doch der Autor führt uns mit seinen Reisebeschreibungen durch ganz Vietnam, nach Ho-Chi-Minh-Stadt, das man in der Region immer noch Saigon nennt, über den „Wolkenpass“, zum Mekongdelta, zur Halong Bucht, in den Norden nach Hanoi und in die Tonkinebene... Der Leser wird zum Zeugen des Geschehens und nimmt an Hochzeiten und Festen teil. Eine besondere Rolle spielt das Tetfest, das Neujahrsfest nach dem Mondkalender. Im Dorf Binh An, im Norden, herrscht schon tagelang vor dem Fest großer Betrieb. Die Menschen setzen Fische im Roten Fluss aus, „die Reichen teure Goldfische, die Armen irgendwelche billigen Sorten. Diese sollen als Boten ihrer Familien in die Freiheit und in den Himmel entlassen werden.“ Man möchte auf diese Weise die Götter auf sich aufmerksam machen und Glück, Wohlstand, Zufriedenheit gewinnen.

Berührend die Geschichte der jungen Frau, die wider ihren Willen verheiratet werden soll und die mittelos von Hanoi aus zu entfernten Verwandten nach Saigon flieht. Im Autobus sammelt man Geld für sie, damit sie ihr Ziel überhaupt erreicht. Da die Tante außerhalb der Stadt ein kleines Geschäft am Strand betreibt, muss sie erst ausfindig gemacht werden, was nicht einfach ist. Am Ende verbessert sich das Geschick der jungen Frau und sie geht eine glückliche Beziehung und Heirat mit einem Ausländer aus dem Westen ein, was möglicherweise etwas mit unserem Autor zu tun hat. ‒ Unrühmlich, entsetzlich hingegen sind die Kriegstaten imperialistischer Mächte. Zwar hat es in Literatur und Kunst schon immer Freunde Vietnams und Indochinas gegegeben, man denke an Graham Greene, Marguerite Duras, André Malraux… Doch das macht die Gräuel nicht wett, die Engländer, Franzosen und Amerikaner über das Land gebracht haben, das sich seinen Besetzern nicht zu beugen gedachte. Die Gräueltaten, die amerikanischen zuletzt, werden landesweit dokumentiert, nicht nur im Kriegsmuseum in Ho-Chi-Minh-Stadt (Saigon).

Menschen wollen Leben, sie wollen und müssen ihre Zukunft selbst gestalten, was in den letzten Jahren vermehrt mit Hilfe Chinas geschieht. Dabei verliert das wirtschaftlich sich schnell entwickelnde Vietnam seinen ländlich-idyllischen Charme. Neue Touristenziele werden entdeckt, für Einheimische und für Ausländer, was dazu führt, dass die einfachen und romantischen Lodges am Meer von Hotelneubauten verdrängt werden. Der westliche, ironievolle Protagonist, der sich einen „Reiselustigen“ nennt und den vietnamesischen Namen Cong minh ‒ „intelligent und weise“ ‒ angenommen hat, kennt allerdings noch genügend außergewöhnliche und idyllische Orte, die bereist und von denen erzählt werden kann.

Im Zentrum der Betrachtungen steht, wie gesagt, die Insel Phu Quoc, auf welcher Cong minh langjährig mit seiner Frau lebt. Der schnelle Wandel der Insel entspricht dem wirtschaftlichen Aufschwung Vietnams. Fischerorte und Dörfer werden verdrängt, die einsamen Strände verlieren ihren Charakter. Trotzdem, die touristisch gewandelte Insel, modern geworden, mag noch immer zu den glückseligen Inseln gehören, nur etwas anders, als es in früheren Zeiten war. Die meisten Vietnamesen können zwar nach wie vor nicht schwimmen, den Strand – oder die Strandhotels – besuchen sie dennoch. Der Autor stellt mit sanfter Ironie fest: „Denn Vietnamesen, die sich Ferien leisten können, lieben idyllische, ursprünglich aussehende Bungalowanlagen nicht besonders. Sie legen sich nicht oder wenn schon nur nach Sonnenuntergang an den Strand und gehen meist nur mit den Kleidern und vor allem mit Hüten ins Wasser. Die Frauen tragen lieber elegant, lieber High-Heels als Flip Flops und fragen schnell: ‚Wo ist die Karaokeanlage? Wo ist da ein Spielkasino?‘“

Vietnam im Wandel, ein informatives, amüsantes erzähltes Buch. Mit dem Autor kann man, wenn man das will, sogar reisen. Kugler, der Vietnamesisch spricht, organisiert individuelle Vietnamreisen. Abseits der Hauptrouten bringt er den Teilnehmern das immer noch unbekannte Vietnam nahe. „Willkommen in Vietnam“ bietet viele überraschende Einblicke ins Land und weckt die Reiselust.