Michael Palin: Erebus. Ein Schiff, zwei Fahrten und das weltweit größte Rätsel auf See

Kategorie: Reisebücher des Monats ǀ

Michael Palin ist ein Mann mit vielen Talenten. Nach seiner Zeit bei der unvergleichlichen britischen Chaos-Humor-Truppe "Monty Python" startete er vor vielen Jahren eine Karriere als seriöser(!) Reisejournalist, die mit dem vorliegenden Buch ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht hat. Nebenbei war er drei Jahre Präsident der Royal Geographical Society und wurde Ende 2018 von Queen Elizabeth II zum Ritter geschlagen.*

Palins "Erebus": Ein in jeder Beziehung gewichtiges Buch! (c)amazon.de

Als im September 2014 das Wrack der Erebus zufällig in der Victoria Strait, einer Meerenge im Territorium Nunavut im nördlichen Kanada, gefunden wurde, war das für Michael Palin der Auslöser, sich mit der Geschichte dieses legendären Schiffes genauer zu befassen. Bis zu diesem Zeitpunkt waren das Verschwinden der Erebus und ihres Schwesterschiffes Terror sowie das Schicksal der Crew über anderthalb Jahrhunderte lang weitgehend ein Mysterium gewesen, das Anlass für viele Spekulationen und Mythen gegeben hatte.

Zuletzt hatte amazon prime video 2018 die Suche nach der Nordwestpassage unter Kapitän Franklin zwischen 1845 und 1848 als TV-Serien-Verfilmung des Romans The Terror von Dan Simmons (2007) einem breiteren Publikum bekannt gemacht – allerdings z.T. unter schamloser Ausschmückung mit trivialen Horror-Effekten.

Bereits 1983 hatte der deutsche Schriftsteller Sten Nadolny mit seinem Roman Die Entdeckung der Langsamkeit der Erebus und vor allem ihrem eigenwilligen wie unglücklichen Kapitän Franklin ein Denkmal gesetzt.

Michael Palin wählt einen anderen Ansatz. Minutiös rekonstruiert er die Geschichte der Erebus von ihren unspektakulären Anfängen im Mittelmeer über eine halbwegs ruhmreiche Antarktisexpedition unter Kapitän Ross auf der Suche nach dem magnetischen Südpol bis zum tragischen Ende im arktischen Packeis.

Palin hat in allen ihm zugänglichen Quellen und Dokumenten penibel recherchiert und lässt viele Betroffene oft mittels ihrer Aufzeichnungen wie Tagebucheinträge zu Wort kommen, außerdem reiste er an viele Originalschauplätze, um sich aus eigener Anschauung ein Bild zu machen. Trotz der unglaublichen Faktenfülle und einer Flut von Namen, die den Leser zu überspülen drohen, gelingt es dem Autor immer wieder, eine Spannung zu erzeugen, die beim Lesen keine Langeweile aufkommen lässt.

Er nimmt uns mit an Bord dieses eigentlich wenig imposanten Forschungsschiffes, so dass wir uns in die bizarre Welt der Seeleute und „Wissenschaftler“ versetzen können, die im Namen „Ihrer Majestät“ bislang unbekannte wie unwirtliche Regionen der Erde erkunden und nebenbei ganz imperialistisch in Besitz nehmen.

Palin legt auch viel Wert auf die Charakterzeichnung seiner Protagonisten, die außer Ruhm und Ehre alle ihr ganz persönlichen Ziele verfolgen, vielfach in der Gewissheit, mit ihrem Handeln dem Fortschritt der Menschheit zu dienen. Da wird alles Neue mit Namen versehen, kartographiert, skizziert, katalogisiert und inventarisiert und vieles in der Enge des Schiffes verstaut, um es für die Nachwelt festzuhalten und später neue Erkenntnisse daraus abzuleiten.

Dass die Geschichte der Erebus kein Happy Ending nimmt, ist bekannt und wundert den mitfühlenden Leser nicht, der ohnehin staunt, wie oft seine Helden dem scheinbar sicheren Untergang in Orkan oder Packeis entkommen konnten. So ist dieses umfangreiche Buch letztendlich eine als spannender „Schmöker“ getarnte Hommage an den Forschungsgeist und Wagemut der Menschheit, an den Fortschrittsoptimismus, der auch in Zeiten großer Krisen und herber Rückschläge im Kern ungebrochen und alternativlos bleibt. 

Michael Palin: Erebus. Ein Schiff, zwei Fahrten und das weltweit größte Rätsel auf See

Aus dem Englischen von Rudolf Mast, Mare Verlag, Hamburg 2019, gebundene Ausgabe mit 400 Seiten, 28€

Im englischen Original als Tb für 9,39€