Das Buch beginnt mit der Geschichte des japanischen Antarktisfahrers Nobu Shirase, dessen Expedition von 1910 bis 1912 von Misserfolgen geprägt war. De Kluyver schildert nicht nur Shirases Herausforderungen, sondern auch die Schicksale anderer weniger bekannter Persönlichkeiten wie Johann Reinhold Forster, einem Begleiter von James Cook, und Jennie Darlington, einer der ersten Frauen auf dem antarktischen Eis.
Darüber hinaus beleuchtet er die Rolle von Schlittenhunden bei Roald Amundsens Südpol-Expedition und die tragische Rivalität zwischen Amundsen und Robert Falcon Scott. De Kluyver schafft es, sowohl die Schönheit als auch die Härte des Kontinents einzufangen, während er die kulturellen und historischen Aspekte der Polarreisen erforscht.
Inhalt und Struktur
Der Autor gliedert das Buch in prägnante, kurze Kapitel, die jeweils einen spezifischen Aspekt der Antarktis-Erkundung beleuchten. Diese Struktur erlaubt es dem Leser, in kurze, in sich abgeschlossene Episoden einzutauchen, die das Mosaik einer umfassenden, historischen Entdeckungsreise bilden. . Mit seiner lebendigen Erzählweise kombiniert de Kluyver persönliche Eindrücke mit umfangreicher Recherche. Er schafft eindrucksvolle Bilder und vermittelt tiefgehendes Wissen über die Antarktis – sei es durch Mythen der Maori, wissenschaftliche Beobachtungen oder die Auswirkungen des Klimawandels auf den Kontinent. Zudem sensibilisiert das Buch für den Schutz dieses einzigartigen Naturraums.
Erzählweise und Stilistik
De Kluyver gelingt es, seine historischen Fakten in einen fließenden, lebendigen Erzählstil einzubetten. Die Sprache zeichnet sich durch klare, bildhafte Beschreibungen aus, die einem das Gefühl vermitteln, selbst Teil der Expedition zu sein. An manchen Stellen wird der ironische Unterton deutlich, beispielsweise wenn die modernen touristischen Exkurse in Kontrast zu den brutalen historischen Methoden treten. Der Autor lässt die Fakten für sich sprechen, ohne in Selbstbeweihräucherung zu verfallen. Diese nüchterne, aber zugleich ansprechende Erzählweise unterstützt den Anspruch, den Leser sowohl zu unterhalten als auch zu bilden – ein entscheidender Aspekt, der das Buch von rein informativen Geschichtswerken abhebt.
Thematische Schwerpunkte
Im Zentrum des Werkes steht die Faszination für den „unbesiedelten“ Kontinent, der trotz der intensiven wissenschaftlichen und touristischen Nutzung noch immer fast mystisch wirkt. De Kluyver thematisiert den Kontrast zwischen der romantisierten Vorstellung von Antarktika und der harten Realität vergangener Expeditionen. Dabei spielt auch die Problematik der menschlichen Selbstüberschätzung eine Rolle: Während Nationen und Individuen ihre Ansprüche auf diesen Kontinent erheben, macht der Text deutlich, dass der Endgegner – die unberechenbare Kraft der Natur – letztlich über alles zu entscheiden scheint. Darüber hinaus werden Fragen der Tierethik in den Mittelpunkt gerückt, wenn etwa auf den grausamen Umgang mit Tieren während der Expeditionen hingewiesen wird, was dem Leser einen kritischen Spiegel vorhält und zum Nachdenken anregt.
Sprachliche Qualität und Gestaltung
Die sprachliche Präzision des Buches ist bemerkenswert. De Kluyver verbindet detaillierte historische Informationen mit prägnanten, oftmals poetischen Formulierungen. Seine Beschreibungen – von den Eisbergen, den „Pinguinschnellwegen“ bis hin zu den minutiös geschilderten Anekdoten am Rande der Expeditionsgeschichte – laden den Leser ein, sich die Szenerien bildhaft vorzustellen. Darüber hinaus unterstützt der gezielte Einsatz von Zitaten, etwa durch Bezugnahmen auf klassische literarische Werke, den Anspruch, ein ganzheitliches Bild zu zeichnen. Das Sprachbild wirkt somit nicht nur informativ, sondern auch emotional berührend, ohne dabei in Sentimentalität abzugleiten.
Buchgestaltung als literarisches Gesamtkunstwerk
Neben dem literarischen Wert spielt auch die haptische und visuelle Aufbereitung eine zentrale Rolle. Der Leineneinband, das integrierte Lesebändchen sowie die sorgfältig ausgewählten Abbildungen und Karten unterstreichen den Anspruch des Buches, Kunst und Information miteinander zu verbinden. Diese hochwertige Gestaltung verstärkt den Leseanreiz und lässt den Leser in den Bann der Erzählung eintauchen. Das gelungene Zusammenspiel von Form und Inhalt ist ein weiteres Beispiel dafür, wie der mare Verlag mit einer klaren redaktionellen Linie sowohl ästhetische als auch inhaltliche Qualität vereint.
Empfehlung
„Niemandsland“ besticht durch seinen facettenreichen Textaufbau und die ausgewogene Mischung aus persönlicher Reiseerzählung, kritischer Geschichtsanalyse und literarischer Detailverliebtheit. Adwin de Kluyver schafft es, historische Fakten mit einer eindringlich bildhaften Sprache zu verbinden, sodass der Leser nicht nur über die Antarktis, sondern auch über die menschliche Faszination und Ambivalenz in Bezug auf diese unwirtliche Region nachdenken kann. Die sachliche, fundierte und zugleich poetisch anmutende Erzählweise macht das Buch zu einem bemerkenswerten Beitrag in der Literatur über Polarexpeditionen – ein Werk, das sowohl Kenner historischer Reisen als auch Leser, die an einer anspruchsvollen, gut durchdachten literarischen Darstellung interessiert sind, gleichermaßen begeistert.
Hintergrund des Autors
Adwin de Kluyver wurde 1968 geboren und promovierte 2016 zur Kulturgeschichte der Polreisen und des Heldentums. Neben seiner Tätigkeit als Autor kuratiert er Ausstellungen und organisiert Filmfestivals auf Vlieland. Für Niemandsland wurde er 2022 für den Jan-Wolkers-Preis nominiert, eine Auszeichnung für das beste niederländische Naturbuch.
Das reich bebilderte Werk, das sowohl für Geschichtsinteressierte als auch für Naturliebhaber einen wertvollen Einblick in die Antarktis bietet, ist 2024 im mare Verlag erschienen und in deutscher Übersetzung von Bärbel Jänicke erhältlich.
Niemands Land von Adwin de Kluyver, mare Verlag, 368 Seiten, 36€