Raynor Winn und ihr Mann Moth sind schon seit 30 Jahren ein Paar, als sie durch eine Fehlinvestition eines Freundes nicht nur ihr gesamtes Vermögen, sondern auch noch ihr vertrautes Heim verlieren und obdachlos auf der Straße stehen. Zu allem Überfluss erreicht sie auch noch die niederschmetternde Diagnose von Moth’s unheilbarer Krankheit CBD, bei der sein Körper allmählich verlernen würde, was er einmal konnte, und die nach ein paar Jahren unweigerlich zum Tod führt.
Statt ihren beiden Kindern auf der Tasche zu liegen oder im Armenhaus zu landen, brechen auf zu einer monatelangen Wanderung auf Englands berühmtesten Küstenweg, dem West Coast Trail. Am Ende ist Moth’s Diagnose beinahe vergessen, und sie werden wieder sesshaft in einem Haus, das zudem noch an ihrer zuvor erwanderten Strecke liegt. Damit endet „Der Salzpfad“, zu dessen unglaublicher Geschichte Raynor Winn in „Wilde Stille" immer wieder zurückkehrt.
Ihr erstes Buch ist inzwischen ein Bestseller, und es erreicht sie vielfaches Feedback. Eines Tages wird ihr von einem ihrer begeisterten Leser eine Farm angeboten. Er hatte sie eigentlich für sich und seine Familie erworben, dann aber doch die Großstadt als Wohnort vorgezogen. Allerdings wollte er seine Vorstellungen und Träume von der Renaturierung eines überweideten Landstrichs nicht dem Zufall überlassen und wandte sich gezielt an Raynor Winn und ihren Mann Moth. Nach reiflicher Überlegung nehmen die Winns das großzügige Angebot an. Es wird ihr neues Lebensprojekt. Es gelingt ihnen, die ursprüngliche Tierwelt und Vegetation wieder heimisch werden zu lassen, sie erwecken die alte Apfelmosterei wieder zum Leben und gewinnen zahlreiche neue Freunde.
Zwischen der fortlaufenden Schilderung schaut Raynor Winn zurück, wie sie sich und Moth kennengelernt und ineinander verliebt haben, wie ihr Leben weiterging bis zu dieser furchtbaren Diagnose. Sie ignorieren die Krankheit nicht gerade, lassen sie aber auch nicht Oberhand über ihr Leben gewinnen. Und schließlich wagen sie das scheinbar Unmögliche: Sie begeben sich zusammen mit dem befreundeten Ehepaar Dave und Julie auf den Laugavegur Trail in Island, ein relativ einfacher, allerdings je nach Wetterlage, Kondition und Alter nicht gerade anspruchsloser Wanderweg, und das vier Jahre nach dem von den Ärzten prognostizierten Lebenslimit von Moth. Es ist zwar das Ende der Saison, doch es sind noch große Scharen von Wanderern unterwegs, alle jedoch wesentlich jünger als das Quartett aus England. Moth hat auf der Tour oft seine Grenzen erreicht, doch wieder schien der Pfad ihm neue Lebenskraft verliehen zu haben. Sein Körper hatte „einen Weg gefunden, die Defekte zu umgehen und weiterzumachen“.
Als sein Geist nachließ und seine Erinnerung zu bröckeln begann, wollte Raynor es nicht zulassen, dass für ihn der gesamte Salzpfad im Nebel der Vergessenheit verschwinden sollte. Sie begann, mithilfe ihrer und seiner Tagebuchaufzeichnungen, alles niederzuschreiben. Durch ihre Kinder ermuntert, bot sie das Werk zur Veröffentlichung einem Verlag an. Der unerwartete Beginn eines Bestsellers. Ein Team von drei Übersetzerinnen hat den Text ins Deutsche übertragen.
„Wilde Stille“ ist ein Muss für alle Leser des „Salzpfads“, die wissen wollen, wie es dem Paar weiterhin ergangen ist. Man muss das erste Buch allerdings nicht gelesen haben, um in die Geschichte hineinzukommen, denn Raynor Winn klärt über ihre Zeit auf dem bekannten Trail auf, was sie zu der Tour veranlasst hat und wie es danach weiterging. Während es sich bei „Der Salzpfad“ um eine chronologisch durchgehende Geschichte handelt, setzt sich die „Wilde Stille“ aus einer Vielzahl von wechselnden Schauplätzen, Zeiten und Aktivitäten zusammen, ohne aber dadurch unübersichtlich zu wirken.
Raynor Winn, Wilde Stille, Tb 320 Seiten, 16,95 €, DuMont Reiseverlag, auch als E-Book für 14,99€ erhältlich!