Bram Stoker, Der Zorn des Meeres - Erzählung

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Der irisch-englische Schriftsteller Bram Stoker (1847 – 1912) war ein produktiver, fast rastloser Autor, dem aber nur mit seinem Hauptwerk, dem Tagebuchroman "Dracula" (1897) der langersehnte literarische Erfolg und die entsprechende Würdigung zuteilwurde. Stoker arbeitete sieben Jahre an seinem stilbildenden Werk über den Archetypus aller Vampire, dessen Name und Mythos im 20. Und 21. Jhd. fester Bestandteil der Popkultur wurde. Die Zahl der Übersetzungen und Adaptionen für die Bühne und den Film ist nahezu unüberschaubar.

 

Bram Stoker kann mehr als "Dracula"; (c)mare Verlag

Es wäre aber schade, den großen, wiewohl nicht unbedingt brillanten Autor, auf diesen einzigartigen, bis heute faszinierenden Roman zu beschränken. Es ist das Verdienst von Übersetzer und Herausgeber Alexander Pechmann, dass 125 Jahre nach der Erstausgabe von Stokers maritimer Erzählung The Watter's Mou dieses literarische Kleinod zum ersten Mal in deutscher Übertragung unter dem vorausdeutenden Titel Der Zorn des Meeres bei Mare erscheint. Dazu in einer bibliophilen gebundenen Edition mit 173 kleinen Seiten im Duodezformat, (davon 149 Erzähltext), mit bedrucktem Leineneinband im offenen Schuber samt Lesebändchen.

„Es drohte eine stürmische Nacht zu werden.“ Der 1. Satz dieser spannenden Erzählung ist Programm und böses Omen zugleich, wobei die Naturgewalten Sturm und Meer die auf die Probe gestellten Protagonisten im Verlauf zunehmend in ihre Schranken weisen. Da ist ein Happy Ending, auch wenn der mitfiebernde Leser es sich gegen alle Vernunft herbeisehnt, bereits zu Beginn ausgeschlossen… Stoker webt einen melodramatischen Plot um ein junges Paar im Fischer- und Schmuggler-Ambiente der zerklüfteten schottischen Nordseeküste von Cruden Bay nördlich von Aberdeen am Ende des 19. Jhd. Dort in „Watter´s Mou“, einer schmalen Bucht mit kleinem Hafenort, leben Sailor Willy, ein Unteroffizier der Küstenwache und Muster an Tugendhaftigkeit und Pflichtbewusstsein, und seine couragierte Verlobte Maggie McWhirter, die hin- und hergerissen ist zwischen der Loyalität und Liebe zu ihrem hochverschuldeten Vater, der sich in seiner Verzweiflung zum Schmuggeln verleiten lässt, und ihrem moralischen Gewissen, das ihr Verlobter in makelloser Standhaftigkeit verkörpert.

Dieser klassische Konflikt zwischen Pflicht und Neigung lässt Maggie letztendlich zur tragischen Heldin werden, indem sie ihren Vater rettet, aber selbst im Zorn des tobenden Meeres zugrunde geht und den moralischen Musterknaben Willy somit ebenfalls zwangsläufig zu Fall bringt.

Stoker gelingt es, naturalistische Beschreibungen, vor allem der rauen Naturgewalt des Meeres, mit spannenden Handlungselementen überzeugend zu verknüpfen. Und auch die kongeniale Übersetzung von Alexander Pechmann macht es dem Leser schwer, das schöne kleine Buch vor dem Ende der Lektüre aus der Hand zu legen. Mögen die Charakterzeichnungen Stokers insgesamt etwas zu undifferenziert erscheinen und sein Pathos zuweilen die Geduld des Lesers auf die Probe stellen, so tut all dies dem packenden Leseerlebnis keinen Abbruch.

Bram Stoker, Der Zorn des Meeres – Erzählung, übersetzt und herausgegeben von Alexander Pechmann, Mare Verlag, 173 Seiten (inklusive Anhang), bibliophile Ausgabe mit bedrucktem Leineneinband im offenen Schuber, 20€*