Nellie Bly, Around the World in 72 Days – Die schnellste Frau des 19. Jhds

| von if

Weltberümt ist der Abenteuerroman von Jules Verne, "Reise um die Erde in achtzig Tagen" von 1873, was damals lange vor der Aufnahme des globalen Luftverkehrs als utopisch schnell galt. Eine junge Frau aus Pitsburgh war sechzehn Jahre später sogar eine Woche schneller als der fiktive Held Phileas Fogg in Vernes Roman. Ihr lesenswerter Bericht ist nun in deutschsprachiger Erstausgabe bei AvivA erschienen.

Around the World in 72 Days - schönes Reisebuch von Nellie Bly
Around the World in 72 Days – schönes Reisebuch von Nellie Bly

Nellie Bly war der Autrenname von Elizabeth Jane Cochrane (1864 – 1922), einer sozial engagierten Journalistin und Unternehmerin. Sie ging vor allem auf Grund von zwei bemerkenswerten oder sogar spektakulären Aktionen in die Geschichte ein. 1887 ließ sich die damals 23-jährige Reporterin in eine  New Yorker „Irrenanstalt“ einweisen. Ihr Erfahrungsbericht über den „menschenverachtenden Umgang mit den Insassinnen“  sorgte für einen Skandal. Nebenbei begründete sie eine neue Art von Undercover-Journalismus, in dessen Tradition man die Enthüllungsreportagen z.B. von Günther Walraff im späten 20. Jhd. sehen kann.
Den großen Coup aber landete sie, als sie zwei Jahre später ihre Zeitung davon überzeugen konnte, ihr eine Weltreise mit Startpunkt New York von West nach Ost zu finanzieren, von der sie dann unterwegs berichten und ihre Erlebnisse später in einem Sammelband herausgeben sollte. Der besondere Anreiz, den mancher ihrer Zeitgenossen mehr als spleenig empfand, bestand darin, den fiktiven Geschwindigkeitsrekord von Jules Vernes Romanheld in der Realität zu unterbieten.
So macht sie sich (die noch nie an Bord eines Schiffes gewesen war) an einem trüben Novembertag des Jahres 1889 in New York an Bord des Dampfschiffes Augusta Victoria die auf weite, ungewisse Reise, nach 45.000 km die Welt zu umrunden. Als „Ausrüstung“ nimmt sie  neben ihrem  neuen robusten Reisekleid nur eine zum Bersten überfüllte „Handtasche“ mit – und entsprechende finanzielle Mittel. Auf einen Revolver (!) verzichtet sie im Vertrauen darauf, überall auf der Welt, ehrenwerte Menschen zu treffen, die einer alleinreisenden Lady Schutz gewähren würden.

Und so ist es denn auch. Nelly Bly kehrt nach nur 72 Tagen, sechs Stunden und elf Minuten wohlbehalten nach New York zurück, hat einen Weltumrundungsrekord aufgestellt und eine Menge zu erzählen..
Stationen ihrer Reise sind u.a. London, Paris, Brindisi, Port Said, Aden, Colombo, Penang, Singapur, Hongkong, Yokohama, San Francisco und Chicago. Ihr durchschnittliche Reisegeschwindigkeit betrug immerhin gute 36 km/h inklusive der Aufenthalte.
Das meiste, was Nellie Bly erlebt, ist völlig unspektakulär, ein Höhepunkt ziemlich zu „Beginn“ der Reise ist ein kunstvoll arrangiertes Treffen mit Jules Verne und seiner Frau.
Neben viel Landeskundlichem gibt die Autorin in plauderdem, unprätentiösen, (selbst-)ironischen Stil ihre persönlichen Eindrücke von den Mitreisenden und den Bewohnern der von ihr durchstreiften Regionen wieder. Da spielt viel Zeitgeist des späten 19. Jhd mit hinein:  sie aber gleich in überzogener Political Correctness, die dem heutigen heuchlerischen Zeitgeist geschuldet ist, mit der Rassismuskeule zu schlagen, weil sie sich an einigen Stellen sehr despektierlich über Chinesen und deren Alltagskultur äußert, erscheint nicht nur historisch ungerecht, sondern auch einer sympathischen und sozial engagierten Person gegenüber unfair. Bislang hat sich z.B. niemand ernsthaft daran gestört, dass George Sand, die französische Erfolgsautorin des 19. Jhd in ihrem Dauerbestseller „Ein Winter auf Mallorca„, die ländlichen Inseleinwohner als „Affen“ denunziert, über die sie und ihr Begleiter Chopin sich nicht nur ärgerten, sondern auch heftigst spotteten..
Around the World in 72 Days ist der leider unübersetzte Titel dieses schönen klasssischen Reisebuchs, das Josephine Haubold ordentlich und einfühlsam aus dem Amerikanischen übertragen hat. Es gibt eine merkwürdig erhellende Einleitung des verdienstvollen Herausgebers Martin Wagner und viele (nicht zu viele!) informative Anmerkungen sowie eine Inhaltsübersicht und weiterführende biobliographischen Angaben.
Dieses historische Reisebuch bereitet echtes Lesevergnügen und ist eine klare Empfehlung, leider aber noch nicht als E-Book erhältlich.

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