Dmitrij Leltschuks Fotoband Hamburg – Eine authentische Liebeserklärung im Mare Verlag

| von if

Der neue Fotoband Hamburg von Dmitrij Leltschuk, erschienen im Mare Verlag, ist weit mehr als eine Sammlung stimmungsvoller Schwarz-Weiß-Bilder. Er ist ein künstlerisches Dokument, das die Hansestadt jenseits gängiger Postkartenmotive porträtiert – authentisch, vielschichtig und atmosphärisch dicht. Der mehrfach ausgezeichnete Fotograf, unter anderem Träger des Deutschen Fotobuchpreises und des Lead Awards, erweist sich erneut als Meister des dokumentarischen Blicks, der Nähe schafft, ohne aufdringlich zu wirken.

Hamburg
Hamburg: Fotografien von Dmitrij Leltschuk
Cover: mare.de

Leltschuks Hamburg ist kein geschöntes, farbiges Touristenparadies. Vielmehr präsentieren seine Bilder eine Stadt der Kontraste, die im Spannungsfeld von Hafen, Wasser, Witterung, Architektur, Menschen und urbanem Alltag lebt. Wer bereit ist, genauer hinzusehen, entdeckt in diesem Band eine eindringliche und zugleich einfühlsame Annäherung an eine Metropole, die hier mehr ist als bloße Kulisse.

Bildsprache und Konzept

Im Mittelpunkt steht ein fotografischer Stil, der das Dokumentarische mit dem Poetischen vereint. Leltschuk nähert sich den Menschen, Orten und Momenten mit Respekt und stiller Aufmerksamkeit. Hafenarbeiter im Dämmerlicht, Verkäuferinnen auf dem Markt, Passanten zwischen Regenschauern und Sonnenstrahlen – es sind Szenen des Alltags, die repräsentativ und deshalb voller Bedeutung wirken.

Die fotografische Dramaturgie in Schwarz-Weiß lebt vom Wechselspiel der genannten Kontraste und von den Graustufen dazwischen: Weite Hafenpanoramen treffen auf intime Straßenszenen, die Elbe mit ihren Schiffen und Kränen wird durch kleine Gesten von verschiedensten Menschen im urbanen Raum ergänzt. Der Band führt den Betrachter vom Rhythmus des Hafens bis in die kulturellen Quartiere, vom Zentrum bis nach St. Pauli, von Möwen über den Dächern bis hin zu vertrauten Plätzen. Gerade diese Balance macht den besonderen Reiz aus: Hamburg wird nicht nur als abstrakte Architektur und Stadtlandschaft, sondern als alltägliche Lebenswelt sichtbar.

Die Bildsprache ist bewusst ungeschönt. Leltschuk verzichtet auf Effekthascherei, arbeitet nicht glatt harmonisirend, sondern zeigt auch das Raue, Trübsinnige. Für manche mag das wie ein Verzicht auf „schöne“ Postkartenmotive wirken – für andere ist es genau das, was diese Arbeit besonders macht: Sie zeigt Hamburg, wie es en detail ist, und nicht, wie es im farbfrohen Prospekt erscheint. Die Fotos sollen für sich sprechen und werden nicht durch Texte oder Untertitel ergänzt.

Essay

Der vorangestellte kleine Essay Neue Liebe Elbe von Dimitri Ladischensky interpretiert die Stadt persönlich-poetisch als Ort zwischen Elbe und Alster, zwischen Hafen, Urbanität und Meeressehnsucht. Mit subjektiven Momentaufnahmen und leichter ironischer Distanz beleuchtet er Hamburgs Lebensgefühl zwischen Melancholie, Fernweh und rauem Charme. Der Text verbindet Vergangenes und Gegenwärtiges, Alltägliches mit Besonderem und zeigt Hamburg als Projektionsfläche für kollektive und individuelle Sehnsüchte – was die vielen folgenden Fotos mosaikartig dann visualisieren.

Gestaltung und Verlag

Dass dieses Projekt im Mare Verlag erscheint, ist nur folgerichtig. Mare hat sich seit Jahren einen Namen gemacht mit hochwertig produzierten Bildbänden, die den Spagat zwischen künstlerischer Freiheit und verlegerischer Notwendigkeit meistern.
Die Aufmachung von Hamburg unterstreicht diesen Anspruch, einem Kunstdruck von hoher Qualität, der die Tiefe und Nuancen der Fotografien wahrt.
So entsteht ein Band, der sowohl Sammler als auch Hamburg-Kenner anspricht. Er wirkt schlicht, aber edel, schwer, ohne überladen zu sein, und fügt sich nahtlos ein in die lange Reihe der anspruchsvollen Publikationen des Hauses.

Abwägungen

Dieser Bildband richtet sich nicht in erster Linie an Besucher, die die klassischen Sehenswürdigkeiten der Stadt in ästhetisch ansprechenden Perspektiven suchen. Wer die Elbphilharmonie, die Landungsbrücken oder das Rathaus in ikonischer Überhöhung erwartet, wird nur am Rande fündig oder gar enttäuscht.

Doch gerade darin liegt vermutlich seine Stärke: Hamburg ist ein Werk für jene, die tiefer in das Wesen einer Stadt eintauchen wollen. Es ist kein Reiseführer in Bildern, sondern eine fotografische Erzählung. Sie lebt von Gegensätzen und Zwischentönen, manchmal von Melancholie, oft aber auch einfach von der Kraft des Unverstellten.

Wer bereit ist, Hamburg als vielschichtige, nicht immer perfekte, aber stets lebendige Stadt wahrzunehmen, wird hier bedient. Der radikale Verzicht auf Erläuterungen, Stichwörter oder Untertitel zu den Fotos ist allerdings riskant, weil der interessierte Betrachter mit dem Bild allein gelassen wird und beispielsweise eine stadtgeographische Zuordnung gelegentlich schwerfällt.

Der Fotograf und sein Verlag

Dmitrij Leltschuk, geboren 1964 in Minsk (Belarus) und seit vielen Jahren in Hamburg tätig, gehört zu den prägenden Reportagefotografen im deutschsprachigen Raum. Seine Arbeiten sind in zahlreichen (inter-)nationalen Medien erschienen und mehrfach ausgezeichnet worden. Kennzeichnend für sein Werk ist die Verbindung von dokumentarischer Klarheit mit erzählerischer Bildkraft.

Der Mare Verlag in Hamburg, gegründet von Nikolaus Gelpke, gilt als eines der führenden Häuser für maritime Literatur, Kultur und Bildkunst. Mit Bildbänden, Reportagen und der Zeitschrift mare hat sich der Verlag einen festen Platz in der literarisch-journalistischen Landschaft erarbeitet. Hamburg setzt diese Tradition konsequent fort – und schließt sie leider ab (siehe unten!).

Empfehlung

Hamburg ist ein Bildband von besonderer Qualität. Dmitrij Leltschuk verbindet journalistische Genauigkeit mit künstlerischer Sensibilität und verleiht der Hansestadt eine „fotografische Stimme“, die über Klischees und Inszenierung hinausgeht, den Betrachter aber auch fordert.

Für Hamburg-Liebhaber ist dieses Buch eine Bereicherung, für nachdenkliche Reisende eine Einladung, die Stadt neu und tiefer kennenzulernen. In einer Zeit, in der Bilder oft in Sekunden konsumiert und vergessen werden, setzt Leltschuk auf Substanz und Dauerhaftigkeit.

Eine klare Empfehlung für alle, die Hamburg in seiner Vielschichtigkeit verstehen möchten – und ein Werk, das auch in anspruchsvollen Reisebibliotheken seinen festen Platz verdient.

Mit diesem Buch endet die Reihe von 22 Bildbänden aus dem mare-Verlag, die dort seit 2004 mit großem Aufwand und viel Engagement veröffentlicht wurden. Die Produktion ud der Vertrieb solcher „Liebhaberprojekte“ seien laut Herausgeber Nikolaus Gelpke heutzutage nicht mehr kostendeckend realisierbar. Der Strukturwandel am Buchmarkt fordert seinen Tribut.

Hamburg

Fotografien von Dmitrij Leltschuk
Mit einem Text von Dimitri Ladischensky
fadengeheftet
Leinenband mit Schutzumschlag

204 Seiten

ISBN: 978-3-86648-764-2

65,00€

Hartmut Ihnenfeldt, reisebuch.de

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