Tan Twan Eng – Das Haus der Türen

| von Hartmut Ihnenfeldt

Mit Das Haus der Türen legt der malaysische Autor Tan Twan Eng nach Der Garten der Abendnebel erneut einen historisch-literarischen Roman vor, der sich vielschichtig mit der kolonialen Vergangenheit Südostasiens auseinandersetzt. Der Schauplatz: Penang im Jahr 1921 – eine Insel, die einst strategischer Knotenpunkt britischer Interessen war, heute ein Ort verblassender Erinnerungen.

Ein literarischer Blick hinter die Fassaden des kolonialen Malaysias

Tan Twan Eng – Das Haus der Türen; Cover: amazon.de

Im Mittelpunkt des Geschehens stehen Robert und Lesley Hamlyn, Freunde des berühmten britische Schriftstellers W. Somerset Maugham, der zusammen mit seinem „Sekretär“, aber de facto Lebensgefährten Gerald Haxton auf Einladung des Juristenpaares nach Malaya reist. Was als gesellschaftlich motivierter Besuch beginnt, entpuppt sich bald als vielschichtiges Kammerspiel über Schuld, Begehren und unglückliche Beziehungen: zwischen Lesley und Robert sowie zwischen „Willie“ und Gerald… .

Die Erzählerin Lesley Hamlyn gewährt Maugham nach und nach Einblick in ihre eigene tragische Geschichte – und damit auch in die Risse der kolonialen Fassade. In Gesprächen, Rückblenden und indirekten Geständnissen offenbart sie ihre persönliche Verstrickung in einen historischen Justizskandal: den Mordfall Ethel Proudlock, der seinerzeit die koloniale Gesellschaft erschütterte. Auch die Anwesenheit des chinesischen Revolutionärs Sun Yat-sen in Penang wird in die Erzählung eingebettet – nicht als bloßes Detail, sondern als Symbol für die brüchige Ordnung einer von Fremdherrschaft, Nationalismus und Dekadenz geprägten Epoche.

Ein Roman über Masken und Enthüllungen

Tan Twan Eng nutzt den historischen Maugham – dessen Homosexualität ein offenes Geheimnis war – als literarisches Medium, um über das Schreiben selbst nachzudenken. Maugham wird nicht nur zum Zuhörer, sondern zum literarischen Spiegel, in dem sich Leben und Dichtung gegenseitig beleuchten. Das titelgebende „Haus der Türen“ wird zur vieldeutigen Metapher: für Geheimnisse, für Schwellen zwischen Innen- und Außenwelt, aber auch für soziale Grenzziehungen zwischen Rassen, Klassen und Geschlechtern.

Der Stil des Romans ist bewusst ruhig, elegant, stellenweise geradezu hypnotisch. Leserinnen und Leser dürfen keine rasante Handlung erwarten, sondern eine psychologisch feingesponnene Erzählweise, die sich Zeit nimmt – für Beobachtungen, Zwischentöne, atmosphärische Details. Es ist ein literarisches Erforschen, kein lineares Vorantreiben.

Stärken und Herausforderungen

Die Verbindung historischer Ereignisse mit fiktiven Figuren gelingt in weiten Teilen überzeugend. Tan Twan Eng konstruiert seine Erzählwelt mit literarischer Raffinesse: Die historischen Versatzstücke wirken nicht aufgesetzt, sondern eingebettet in ein Geflecht von Beziehungen, Erinnerungen und Perspektiven. Gleichzeitig wird genau dies streckenweise problematisch: Die Vielzahl der Themen – Kolonialismus, kulturelle Identität, Geschlechterrollen, künstlerisches Schaffen, politische Umbrüche – kann gelegentlich zu einer gewissen Unübersichtlichkeit führen, vor allem für Leser ohne vertiefte Kenntnis der malaysischen Geschichte.

Aber gerade diese Komplexität macht Das Haus der Türen zu einem Werk, das mehr ist als ein historischer Roman. Es ist eine literarische Reflexion über die Macht der Erzählung selbst – darüber, wer Geschichte erzählt, wie Erinnerung funktioniert und welche Rolle Literatur im Prozess kultureller Selbstvergewisserung spielt.

Empfehlung für Leser mit Anspruch

Das Haus der Türen ist kein Buch für die schnelle Lektüre am Strand, wohl aber für alle, die sich auf ein vielschichtiges literarisches Panorama einlassen möchten. Wer sich für die Zwischentöne kolonialer Machtverhältnisse interessiert, für die Rolle von Frauen in repressiven Gesellschaften, für die Ambivalenzen von Moral und Wahrheit – der wird in diesem Roman fündig. Auch Leserinnen und Leser mit Interesse an südostasiatischer Geschichte, an der Biografie Maughams oder an postkolonialer Literatur werden auf ihre Kosten kommen.

Tan Twan Eng – Das Haus der Türen, 352 Seiten, gebundenes Buch, Dumont Buchverlag, 24€


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