
Wir wissen nicht allzu viel über diese verschmitzte Person, Jemima Morrell, deren private Aufzeichnungen von der ersten von Thomas Cook noch persönlich begleiteten „Pauschalreise“ in die Schweizer Alpen nun in gelungener deutscher Übersetzung vorliegen.
Es war eine elitäre Gesellschaft privilegierter junger englischer Männer und Frauen, die sich tongue in cheek, abermit emanzipatorischer Tendenz zum United Alpine Club Junior zusammengefunden hatten, um sich auf den Spuren von Literaten und Künstlern diese atemberaubende Bergwelt ohne Seil- oder Zahnradbahnen zu erwandern. Und selbstverständlich konnte man Autoritäten wie Dante, Ruskin oder Longfellow zitieren, um die eigene romantische Begeisterung über die urgewaltige Natur zu spiegeln. Ihre dreiwöchige Grand Tour führte sie von London durch Frankreich nach Genf, ins Wallis und Berner Oberland und über Paris zurück in die Heimat.
Das war für heutige Verhältnisse sehr beschwerlich, und man staunt über die Selbstdisziplin und den Bildungseifer der achtköpfigen Reisegruppe. Nicht selten begannen sie ihren Tag um 4 oder 5 Uhr morgens und machten sich noch am Abend nach 20 – 30 km Wandern im Gebirge auf, um sich eine Sehenswürdigkeit am Zielort anzuschauen. Man nutze den „Reisekomfort“, der damals zur Verfügung stand, einfache Dampfschiffe, rußige Eisenbahnen, holprige Eselskarren und aufdringliche lokale Wanderführer. Hygienische Aspekte finden kaum Erwähnung, die sehr überschaubare Liste der Bestandteile des Wandergepäcks spricht seine eigenen Sprache.
Bemerkenswert und überraschend dürfte für die meisten Leser darüber hinaus sein, wie viele Touristen damals schon in Schweiz unterwegs waren und welch entwickelte Infrastruktur u.a. an Hotels und Gasthöfen bereits für die internationale Klientel zur Verfügung stand.
Das Matterhorn wartete noch zwei Jahre auf seine Erstbesteigung, aber die fidele Miss Jemima und ihre kecke Truppe kraxelten an der Jungfrau herum und stiegen wacker von Luzern auf die Rigi, wo sie ihre Zimmer im stark frequentierten Berggasthof telegraphisch vorgebucht hatten.
So ist die Lektüre dieses wunderbaren Reisebuches eine einzigartige Kombination aus sozialgeschichtlicher Lektion und amüsanter Unterhaltung.
„Jemima Morrell heiratete, bekam einen Sohn und starb im Alter von 77 Jahren. Ihr Reisebericht wurde erst Jahrzehnte nach ihrem Tod entdeckt“, heißt es im Klappentext.
Der vom Verlag Rogner & Bernhard liebevoll gestaltete Band hätte die viktorianische Miss mit Sicherheit hoch erfreut.
Moderne Leser können sich das Werk nach Erwerb auch „kostenfrei“ als E-Book herunterladen.
Jemima Morrell, Miss Jemimas Journal – Eine Reise durch die Alpen, Hardcover, 17,95€