Typisch albanisch!

Flagge © clker-free-vector-images-pixabay.com
Albanischer Doppeladler © clker-free-vector-images-pixabay.com

Was ist typisch albanisch? *

 

Nickt ein Albaner, meint er damit „nein“ und schüttelt eine Albanerin den Kopf, sagt sie damit „ja“ – und auch sonst läuft in Albanien so manches anders, als es der Durchschnittsmitteleuropäer gewohnt ist. Zwar ist das kleine Land, das lediglich außerhalb der Staatsgrenzen Albanien bzw. international Albania genannt wird, nur rund zwei Flugstunden von Mitteleuropa entfernt – und doch wissen so viele so wenig über „Shqipëria“ (wie die Albaner selbst ihr Land bezeichnen).

Maßgeblich dazu beigetragen hat wohl auch die kommunistische Diktatur unter Enver Hoxha, der das Land 41 Jahre lang regierte: Bis in die 1990er-Jahre war Albanien nämlich über mehrere Jahrzehnte hinweg von der Außenwelt gänzlich abgeschnitten. Das totalitäre Regime Hoxhas kappte schrittweise alle Kontakte zu sozialistischen Verbündeten wie der Sowjetunion und der Volksrepublik China und brachte Albanien die völlige Isolation. Im Zuge dessen ließ der zunehmend paranoide Diktator mehr als 700.000 Betonbunker im ganzen Land errichten – als Schutzmaßnahme für mögliche Angriffe. Nun erinnern sie überall verstreut an die Zeit des sogenannten Steinzeit-Kommunismus und sind eine landestypische Kuriosität – teilweise bunt verziert, oft auch direkt am Strand. 1967 war Albanien außerdem das erste Land der Welt, das Gott offiziell für nicht existent erklärte: Kirchen und Moscheen wurden geschlossen, zerstört oder zu Lagerhallen umfunktioniert.

Heute gilt der ehemals atheistische Staat aber als „wundervolles Beispiel der Harmonie zwischen den Religionen“, wie es Papst Franziskus ausdrückte – dazu gehören per Gesetz geschützte christliche und muslimische Feiertage und ein friedliches Nebeneinander der Religionen: Der Glaube ist in Albanien nämlich hauptsächlich Privatsache und im Alltag kein Thema, geschweige denn ein Anlass für Streitigkeiten. Staat und Religion sind streng getrennt. Und auch wenn 57 Prozent der Albaner sich als Moslems bezeichnen, trifft man nirgends auf verschleierte Frauen, selbst Kopftücher tragen nur wenige – der Großteil kleidet sich westlich.

Seit 2014 ist Albanien außerdem offizieller EU-Beitrittskandidat, allerdings leidet das Land unter den Folgen der Hoxha-Diktatur bis heute: In vielen Teilen des Landes gibt es nach wie vor kaum befestigte Straßen, vielerorts ist die Infrastruktur schlecht und es herrscht in gewissen Bereichen noch Korruption – dennoch verzeichnet Albanien ein kontinuierliches Wirtschaftswachstum und es besteht Aufbruchsstimmung. 

Albanien, Gjirokastra © ervingjata-pixaby.com
Die historische Hauptstraße von Gjirokastra © ervingjata-pixaby.com

Dafür sorgen auch die wachsenden Besucherzahlen: Denn immer mehr Reisende interessieren sich für den unbekanntesten Staat Europas – und haben erkannt, dass sie sich vor Kriminalität, Mafia und Blutrache nicht fürchten müssen. Lang gezogene Adriastrände, das quirlige Tirana, die albanische Riviera, 15 Nationalparks, der einmalige Ohrid-See, Ruinen aus der Römerzeit und das UNESCO-geschützte Berat und Gjirokastra, die „Stadt der Steine“, und viel unberührte Natur sind hingegen touristische Anziehungspunkte. Und auch die Albaner selbst sorgen dafür, dass sich Besucher willkommen fühlen: Gastfreundschaft wird hier ungewöhnlich großgeschrieben, dasselbe gilt für Neugier, Großzügigkeit und Offenheit gegenüber Fremden. Auf finstere Gestalten, wie sie Karl May in seinem Werk „Durch das Land der Skipetaren“ schildert, trifft man als Reisender kaum – hätte der berühmte Autor Shqipëria selbst besucht, hätte er dessen Bewohner wohl anders beschrieben.

Allerdings ist es in Albanien völlig normal, andere anzustarren – es gilt keineswegs als unhöflich und wird von Alt und Jung, Männern und Frauen eifrig praktiziert. Vor allem Reisende, die das Land zum ersten Mal besuchen, finden das zunächst gewöhnungsbedürftig – aber man gewöhnt sich daran und schließlich stört es auch keinen, wenn man selbst andere ausgiebig betrachtet. Und wie in vielen südlich gelegenen Ländern sind Kinder überall willkommen und werden nicht nur angestarrt, sondern gerne auch angefasst, in die Wange gekniffen und mit einem „Marshalla“ bedacht – diese islamische Redewendung verwenden die Albaner, wenn sie etwas als schön oder begehrenswert und von Gott gesegnet erachten und gleichzeitig beschützt haben wollen: Damit sollen nämlich auch der böse Blick und möglicher Neid ferngehalten werden. Gerne schlagen sie dabei auch die Hände vor der Brust zusammen.

Apropos Hände: Die Albaner sind generell ein sehr expressives Volk – ein Gespräch ohne ausschweifende Gestik und auch Mimik ist kaum zu beobachten. Und in der Regel weiß man, woran man ist, Albaner sind nämlich auch sehr direkt. Außerdem sprechen sie sehr laut: Was für sie eine völlig normale Konversation ist, klingt für Nicht-Albaner oft wie ein Streitgespräch zwischen verhärteten Fronten. Die albanische Sprache ist übrigens eine der ältesten Europas und vermutlich aus dem Illyrischen hervorgegangen, sie zählt zur indogermanischen Sprachfamilie und ist seit dem 15. Jahrhundert schriftlich belegt. Das albanische Alphabet umfasst 36 Buchstaben in lateinischer Schrift und hat somit einige Buchstaben und Laute mehr als das deutsche. Dialektal differenziert man vor allem das Gegische und das Toskische – wobei der mittelalbanische Fluss Shkumbin hier den Sprachraum in die nördliche gegische und die südliche toskische Zone unterteilt. Teilweise unterscheidet sich bei den beiden Hauptdialekten der Wortschatz, auch für Alltägliches, zudem gibt es morphologisch Unterschiede, phonetisch hingegen kaum.

Albanien Mittelmeer © Linda Saitos-pixabay.com
Strandspaziergang © Linda Saitos-pixabay.com

Doch egal ob Gegisch oder Toskisch – wer seinem Gegenüber zuhört, wiegt leicht den Kopf von einer zur anderen Seite: eine weitere typisch albanische Besonderheit, die Nicht-Albaner mitunter verwirrt. Hinzu kommt, dass Albaner generell sehr geräuschvoll kommunizieren – und zwar nicht nur hinsichtlich der Lautstärke, sondern auch mit räusperartigen oder murmelnden Tönen, die viele Gespräche begleiten und oft mit dem Wiegen des Kopfes kombiniert werden.

Das machen Albaner aber nur, wenn sie in ihrer Muttersprache kommunizieren. Bei Auslandsalbanern, die im Alltag größtenteils eine andere Sprache verwenden, ist das nicht zu beobachten. Übrigens leben mehr Albaner außer- als innerhalb des Landes: So gut wie jede Familie hat Verwandte im Ausland, viele in Italien und Griechenland, einige in Deutschland und der Schweiz. Mehr als vier Millionen Albaner leben dauerhaft im Ausland – nach der Wende in den 1990er-Jahren fand nämlich eine regelrechte Massenabwanderung statt. Unzählige Albaner sind außerdem nach wie vor große Amerikafans und versuchen jährlich ihr Glück bei der American Green Card Lotterie. Auch die EU an sich ist sehr beliebt. Und viele Albaner sprechen mehrere Sprachen – auch weil albanische Kinder quasi nebenbei mit dem Italienischen aufwachsen: Denn einige italienische Fernsehsendungen und -serien werden nicht synchronisiert und der Fernseher läuft eben, wie in vielen Haushalten weltweit, oft den ganzen Tag. Englisch ist dann meist die erste Fremdsprache in der Schule. Vor allem junge Menschen streben bis heute ins Ausland und lernen noch weitere Sprachen, auch Deutsch ist sehr beliebt – so wie Deutschland überhaupt. Für die albanische Wirtschaft ist das Geld, das im Ausland arbeitende Albaner ihren Familien überweisen, jedenfalls sehr wichtig – 2018 zum Beispiel machten die sogenannten Rücküberweisungen 9,68 Prozent des Bruttoinlandproduktes aus. Denn noch immer gehört Albanien zu den ärmsten Ländern Europa, das durchschnittliche Einkommen lag 2018 bei 343 Euro monatlich.

Doch das raubt den Albanern keineswegs die Lebensfreude – man hält eben zusammen, das gilt vor allem für die Familie. Und freut sich zum Beispiel über jeden Anlass, gemeinsam Hand in Hand, im Gleichschritt und im Kreis zu lauter Musik zu tanzen: etwa auf Hochzeiten, bei denen sich die Feierlichkeiten über mehrere Tage ziehen, aber auch bei anderen Festen. Generell nimmt man sich wann immer möglich Zeit für Freunde und Bekannte – bevorzugt für ein Pläuschchen bei einem unglaublich starken Kaffee. Unglaublich ist auch die hohe Dichte an Cafés, wo vor allem die männliche Bevölkerung gerne viele Stunden verbringt. Ältere Herren verlassen das Haus dazu gewöhnlich nur im Anzug. Alte Frauen hingegen tragen oft schwarz – der Grund: um verstorbenen Verwandten Respekt zu zollen, oft noch bis zu zehn, zwanzig Jahren nach dem Tod derjenigen Person. Auch das zeigt, dass die albanische Kultur eine Beziehungskultur ist. Und so ist es auch selbstverständlich, an der Beerdigung eines entfernten Verwandten eines Freundes teilzunehmen.

Der älteren Generation begegnet man in Albanien generell mit Ehrfurcht und Respekt. Im albanischen Alltag treffen Reisende auch öfters auf ältere Menschen als in Deutschland, Österreich oder der Schweiz – so auch bei einer der größten Traditionen des Landes: dem Xhiro. Das ist der allabendliche Spaziergang auf der Hauptstraße, egal wie groß oder klein der Ort, an dem ein Großteil der Einwohner teilnimmt. Häufig dürfen dann auch keine Autos mehr fahren und es herrscht ein fröhliches Treiben auf der Straße. Und wie überall in Albanien – etwa auf Wimpeln, Sonnenschirmen, Schlüsselanhängern, auf Geschirr oder Fußmatten – entdeckt man auch beim Xhiro immer wieder den landestypischen Doppeladler: auf T-Shirts und Schildkappen der flanierenden Passanten.

Skanderbeg © Ervin Gjata-pixabay.com
Skanderbeg-Denkmal © Ervin Gjata-pixabay.com

Dieser prangt nämlich auf der albanischen Nationalflagge und lässt sich auf den berühmten albanischen Landeshelden Skanderbeg (1405–1468) zurückführen, der auf dessen Familienwappen zu finden war – den Doppeladler erklärte man 1912 mit Albaniens Unabhängigkeit zum Staatswappen. Und den Fürsten Gjergj Kastrioti, Skanderbeg genannt, verehren die Albaner bis heute: Er war schließlich einer der wichtigsten Verteidiger des christlichen Europas gegen das Osmanische Reich im 15. Jahrhundert. Ihm ist es über 25 Jahre hinweg – von 1443 bis zu seinem Tod – gemeinsam mit seiner Armee gelungen, die osmanischen Heere ein ums andere Mal zu besiegen, auch wenn diese stets deutlich in der Überzahl waren. So war Skanderbeg maßgeblich daran beteiligt, den Einfall der Türken in Europa hinauszuzögern – wodurch die Italiener wiederum länger Zeit hatten, entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Ohne seinen Widerstand hätte sich das spätmittelalterliche Europa vermutlich völlig anders gestaltet.

Daran erinnert bis heute außerdem die Festung Kruja im gleichnamigen albanischen Ort: Sie thront dort hoch oben am Berg – gleichsam ein Symbol für den Unabhängigkeits- und Freiheitswillen der Albaner. Hier hielt Skanderbeg mit seinen Soldaten den Osmanen stand und schaffte es, die Burg gegen die damalige Weltmacht zu verteidigen – 1450 belagerte deren Sultan sogar mit einer 100.000 Mann starken Armee den Ort. Das heutige Burgmuseum widmet sich dem Nationalhelden, berühmt ist auch der Skanderbeg-Platz in Tirana. Außerdem hat ihm der erfolgreichste Schriftsteller des Landes, Ismail Kadare, 1969 mit einem Roman ein bedeutendes Denkmal gesetzt: „Die Festung“ behandelt die Belagerung Krujas durch die Osmanen und die Lektüre eignet sich, um den nach wie vor stark ausgeprägten Nationalstolz der Albaner, der auch auf einer Reise durch das Land spürbar wird, zu verstehen. Denn nicht umsonst heißt es auch: „Die einzige Religion des Albaners ist das Albanertum“ – was auf Pashko Vasa (1825–1892), den albanischen Schriftsteller und Vordenker des albanischen Nationalgedankens, zurückgeht, jedes albanische Schulkind gelernt hat und gewissermaßen wohl auch jeder bestätigen kann, der sich mit Albanien und seinen einzigartigen Menschen befasst, egal wo auf der Welt diese leben.

(Elisabeth Pfurtscheller)

Gewusst?

In Albanien ist es höflich, zu spät zu kommen – eine halbe Stunde nach der vereinbarten Zeit aufzutauchen, ist kein Problem. Selbst Arzttermine sind meistens als Vorschlag aufzufassen. Viele Albaner sind sehr abergläubisch – deshalb sind beispielsweise an unzähligen Häusern Stofftiere auf einer Außenwand angebracht: um böse Geister zu vertreiben.

Ein großer Albanienfan war Lord Byron: Er besuchte das Land 1809 im Rahmen seiner großen Mittelmeerreise und in einem Brief an seine Mutter berichtet er, dass die Albaner die „prächtigsten“ Kleider der Welt haben – ein Blick auf die rot-schwarz-weiße albanische Tracht aus Wolle, Baumwolle, Seide und mit Stickereien erklärt das. Und in Nordalbanien im Prokletije-Gebirge („Verwunschene Berge“) gibt es vereinzelt noch Frauen, die in entlegenen Dörfern der Tradition der Burrnesha, der Schwur-Jungfrauen, folgen: Um als Mann leben und die entsprechenden Privilegien im dort noch herrschenden Patriarchat genießen zu dürfen, schwören sie vor den Ältesten, für immer Jungfrau zu bleiben. Folglich kleiden sie sich wie Männer und arbeiten in Männerberufen, dürfen rauchen und Alkohol konsumieren. Das geht darauf zurück, dass einst beim Tod eines Familienoberhauptes dieses laut „Kanun“, dem archaischen Gewohnheitsrecht, ersetzt werden musste – gab es dazu kein männliches Familienmitglied, tat dies eine Frau und wurde zur Burrnesha. Manche entschieden sich aber für ein solches Leben, um einer arrangierten Ehe zu entkommen, ohne die Bräutigamfamilie bloßzustellen.

Mutter Teresa © wal_172619-pixabay.com
Mutter Teresa © wal_172619-pixabay.com

Die weltweit bekannteste Albanerin ist wohl Mutter Theresa (1919–1997): „Vom Blut her bin ich Albanerin, von der Staatsangehörigkeit her Inderin, nach dem Glauben Katholikin und ich gehöre der ganzen Welt“ – vereinnahmen lassen wollte sie sich Zeit ihres Lebens nicht, Tiranas Flughafen wurde jedenfalls nach ihr benannt und der 19. Oktober, der Tag der Seligsprechung Mutter Theresas, zum albanischen Nationalfeiertag erklärt. Viele albanische Geschäfte – außerhalb von Tirana – schließen in der Regel während der heißesten Tageszeit im Sommer zwischen 14 und 17 Uhr. Und albanische Großmütter statten Babys auch bei hochsommerlichen Temperaturen mit dicken Wollsocken und den Kinderwagen mit einer warmen Decke aus. Apropos Wagen: Die beliebteste Automarke scheint noch immer der Mercedes zu sein – nach der Massenemigration begannen viele Albaner später einen Mercedes ins Land zu bringen: Die verlässlichen Autos überstehen nämlich auch Fahrten auf schlechten Straßen unbeschadet. Während des Kommunismus war es übrigens nur Parteioffizieren vorbehalten, ein Auto zu fahren. Bis heute fährt man am liebsten Mercedes, schnell und rasant – ohne Rücksicht auf Verluste. Und oft noch immer, auch wenn offiziell nicht mehr erlaubt, mit mehr Mitfahrern auf der Rückbank als eigentlich vorgesehen. Wer in Albanien kein eigenes Auto hat, steigt in einen Furgon – das sind kleine Minibusse, mit denen man unkompliziert und günstig durch das ganze Land kommt, Berührungsängste darf man allerdings keine haben, denn auch in diesen Gefährten herrscht eine hohe Passagierdichte. 

 

Typisch albanisch! ist ein Auszug aus:

Länderklischees
Alle Iren haben rote Haare