Reiseführer Rudolstadt

Blick auf Rudolstadt
Blick von der Burg auf Rudolstadt. Foto: www.quermania.de CC0

In den althergebrachten Straßenkarten findet man unterschiedliche Markierungen bei Städtenamen. Mit Fettbuchstaben im Großdruck kennzeichnet das „Papier-Navi“ die Metropolen. Zwei Sterne und rote Unterstreichung bescheinigen, der Ort sei „eine Reise wert“. Allemal einen Stern und die rote Unterstreichung unter seinem Namen verdient Rudolstadt. Diese Kleinstadt an der Saale „lohnt einen Umweg“. Kapitäne und Beifahrer sollten sich auf der A4 einig sein und bei Jena-Göschwitz nach Süden abbiegen. Für die Erkundung Rudolstadts mag ein halber Tag ausreichen. Wer aber das Saaletal, eine der schönsten deutschen Flusslandschaften, wirklich kennenlernen möchte, sollte sich dafür eine Woche vornehmen.

 

 

In der Fußgängerzone werden Söhne und Töchter der Stadt sowie Personen, die mit ihr in Verbindung stehen geehrt. © Balhuber/Reisebuch.de

Ein Städtchen in Thüringen

Sachsen-Coburg-Saalfeld, Sachsen-Coburg-Gotha, Sachsen-Weimar-Eisenach, Schwarzburg-Sondershausen, Sachsen-Meiningen und ein paar mehr: Nirgendwo in Deutschland brachte jahrhundertelange Kleinstaatlichkeit mit vielfachen Erbteilungen so viele Fürstentümer auf engstem Raum hervor wie in Thüringen. Diese Zustände galten bis 1920, wo nach der Abdankung der vielen gekrönten Häupter aus dem drolligen Flickenteppich der Freistaat Thüringen entstand. Was damals als ein Schritt ins moderne Deutschland weitgehende Zustimmung fand, wird heute mit einem lachenden und weinenden Auge empfunden. Die Nachbarschaft so vieler Mini-Länder auf engem Raum beflügelte schließlich auch eine schöpferische Rivalität. Jedes dieser Gemeinwesen wollte auf seine Art glänzen, und die meisten von ihnen haben der Nachwelt eine kulturelle Vielfalt beschert, die dem heutigen Bundesland nicht nur touristisch zugute kommt.

Auch die Hauptstadt des einstigen Herzogtums Schwarzburg-Rudolstadt zeigt das typische Ambiente. Bürgerhäuser, über deren Dächern eine leicht überdimensionierte Residenz thront. Winklige Gassen mit Fachwerkhäusern enden am Fuße des Schlossbergs oder münden in einen Marktplatz . In dessen Mitte erhebt sich das Standbild eines bedeutenden Herrschers aus dem Fürstenhaus. Das Städtchen hat selbstverständlich ein Residenz-Theater. Für die verklärte Welt von Thomas Manns Roman „Königliche Hoheit“ fehlt dann nur noch eine unrentable Lokalbahn. Durch Rudolstadt rollt zwar nicht mehr der ICE, das Saaletal verbindet aber weiterhin wichtige Fernbahnhöfe.

Ruhig und beschaulich geht's vor dem Rathaus auf dem Marktplatz zu, wenn nicht gerade die Einwohnerzahl durch Festivalbesucher verdoppelt wird. © Balhuber/Reisebuch.de

Weltstadt für vier Tage

Die günstige Anbindung an Regionalexpresse und die A4 bewährt sich alljährlich aufs Neue: Anfang Juli verlagert sich der Nabel der Welt für vier Tage nach Rudolstadt. Es steht damit in einer Reihe mit anderen eher unscheinbaren Orten, denen ein alljährliches Kultur-Event weltweite Aufmerksamkeit schenkt. Das „TFF Rudolstadt“ begann einst als offizielles Volkstanz-Festival der DDR und modelte sich nach der Wende zu einem Treffpunkt der Weltmusik um, der nun Jahr für Jahr an Zuspruch gewinnt. Heute erscheinen an jedem Tag des Festivals bis zu 25 000 Besucher, was ziemlich genau der Einwohnerzahl Rudolstadts entspricht. Die gesamte Altstadt wird zur Bühne, an den Straßenecken findet sich die vielfältige Künstlerschar gern zu spontanen Sessions zusammen. Der Innenhof der Heidecksburg bietet das geräumigste Forum, auf dem auch große Namen wie Amy Macdonald oder Graham Nash auftreten. Aber weniger die Gesänge von Singer-Songwritern als viel mehr die exotischen Klänge der interkontinentalen Folklore sind hier angesagt. Seit zwei Jahrzehnten blüht das Streben nach Fusion, thüringisch „Fjuschn“ ausgesprochen. Wenn beispielsweise Reggaemusiker aus der Karibik mit trommelnden Berbern aus Nordafrika zusammenarbeiten, ist das ganz und gar im Sinne von „Rudolstadt“. Ebenso belebt das sommerliche Markttreiben rund um den schattigen Heine-Park die Folklorefans, viele Stände werden dabei mit unermüdlichem Engagement von nicht-kommerziellen Anbietern betrieben. Wer bisher den Weg zum TFF nocht nicht gefunden hat, kann zumindest akustisch dabei sein. Seit einigen Jahren schneidet das Deutschlandradio Konzerte mit oder überträgt sie sogar live.

Das Schillerhaus in Rudolstadt. Foto: www.quermania.de

Das Heim der Familie Lengefeld

Eigentlich wollten die Schwestern Lengefeld und ihre verwitwete Mama die Herren Goethe und Schiller in ihrem Hause auf einer Abendgesellschaft einander näher bekannt machen. Stattdessen stifteten sie eine Ehe. Denn während das erste Unterfangen zunächst eher im Sande verlief, blieben Charlotte von Lengefeld und Friedrich Schiller ein Paar bis zu Schillers frühem Tod. Das Anwesen der Lengefelds ist auch heute noch ein gastliches Haus. Mit seinem stilvollen Garten und einer ständigen Ausstellung ist es Station auf der Klassikerstraße durch Thüringen. Auf dieser Route erlebt man stets aufs Neue, wie viele sehenwerte Plätze das Land auch jenseits des Dichterolymps in Weimar vorweisen kann. Schiller mietete sich nach seinem ersten Besuch bei den Lengefelds im Nachbarort Volkstedt als Sommergast ein. Beinahe täglich traf er sich mit den Damen Lengefeld zum Plausch. Aus ihrem erhalten gebliebenen, regen Briefwechsel wird nach Ansicht der Biografen eigentlich nicht klar, welcher der beiden jungen Lengefelderinnen der unverheiratete, aber seit langem suchende Schiller schließlich einen Heiratsantrag machen würde. Von diesen Begegnungen und ihren Folgen erzählt der Kinofilm „Die geliebten Schwestern“ von 2013, für den auch Originalschauplätze in Rudolstadt genutzt wurden. Der Spaziergang, der die beiden Schwestern Lengefeld und den Dichter auf halbem Wege am Ufer der Saale zusammenführte, bietet nun­ Platz für den Radweg im Flusstal.

Die Heidecksburg ist das ehemalige Residenzschloss der Fürsten von Schwarzburg-Rudolstadt. ©Balhuber/Reisebuch.de

Die Heidecksburg

Wir kennen diesen Ausflugsablauf von vielerlei Orten in Deutschland und anderswo. Zunächst geht der Weg zickzack einen steilen Hügel hinauf über Treppenstufen, und irgendwann verhaspelt man sich beim Zählen. Dann steht man vor einem Torhaus mit Wappen über dem Portal, wenn man nicht gleich vor der Schaufront des Schlosses, der Festung oder Burg angekommen ist. Dann kann eine Führung gebucht werden, zu der man sich aus einer Truhe in der Ecke ein Paar großformatige Filzpantoffeln entnehmen soll. Dann wird die Gruppe durch den Audienzsaal geschleust, es folgen das grüne, blaue und gelbe Zimmer mit Seidentapeten und Meißner Porzellan. Über den Erläuterungen des Führungspersonals gerät man allmählich ins Dösen, dann entpuppt sich einer in der Gruppe als Experte und stellt kleinliche Fragen. So kann auch der Besuch auf der Heidecksburg in Rudolstadt verlaufen. Er muss es zum Glück aber nicht. Zunächst bleibt den Gästen der individuelle Rundgang unbenommen. Desweiteren kann die Heidecksburg immerhin mit einem Schmuckstück prunken, das in Deutschland so häufig nicht vorkommt. Übertroffen wird die Pracht des Thronsaals von wenigen Schmuckstücken seiner Art. Es verblüfft, wie viel Steuergeld ihrer Untertanen einem Thüringer Kleinfürsten seine angemessene Inneneinrichtung zum Imponieren der Gästen wert war. Von der grandios ausgemalten Decke schauen die olympischen Götter aus ihrem Rat herab auf die staunenden Sterblichen.

Der Thronsaal erstrahlt in barocker Pracht. ©Balhuber/Reisebuch.de
Die Decke des 12 Meter hohen Thronsaals. ©Balhuber/Reisebuch.de
Auch das Parkett ist sehenswert. ©Balhuber/Reisebuch.de
Die Ausstellung umfasst insgesamt etwa 2000 winzige Figuren und Einrichtungsgegenstände in prunkvollen Residenzen. © Balhuber/Reisebuch.de


Rokoko aus der Streichholzschachtel

Höfe des Barock beanspruchten für die Repräsentation fürstlicher Macht eine Vielzahl von Räumen in großdimensionierten Schlössern. Liegenschaften wie die Heidecksburg heute sinnvoll zu nutzen bleibt eine Herausforderung für das Land Thüringen. Im Idealfall lassen sich hier wie anderswo kunstgeschichtliche Sammlungen und Archive einlagern und präsentieren. So beherbergt die Heidecksburg nicht nur aktuelle Kunstausstellungen, sondern zudem auch die Schätze aus den naturhistorischen und völkerkundlichen Raritätenkabinetten des einstigen Herrscherhauses.

2007 zogen das Landesmuseum Thüringen und der Landkreis Saalfeld-Rudolstadt einen großen Fisch an Land und gaben dem Fang mit der Heidecksburg dazu noch einen würdigen Rahmen. Rococo en miniature ist seitdem der Name einer weiteren Attraktion Rudolstadts – ein spektakuläres Alleinstellungsmerkmal im 1:50 –Format. Entführt werden die Besucher in eine Spielwelt aus der Streichholzschachtel. Sie entdecken die phantastischen Hofstaaten von Pelarien und Dyonien und dürfen dabei herabschauen auf ein putziges Gewimmel, wie Gulliver auf die Insel der Liliputaner.

Gerhard Bätz und Manfred Kiedorf hatten als Lehrlinge in der DDR-Spielwarenindustrie ein Rollenspiel erdacht und fünf Jahrzehnte lang in kunsthandwerklicher Präzision weiterentwickelt. Diese Spielwelt schmiedete eine Art Geheimbund zwischen den beiden Designern, die für ihren Spleen ansonsten eher Kopfschütteln oder Argwohn ernteten. Der Lebensgrundsatz der Hofstaaten auf dem Planeten Centus: „Prunket!“ schien Lichtjahre entfernt vom Alltag im real existierenden Sozialismus. Die Besucher ihrer Kollektionen dürfen heute ihre beharrliche Feinarbeit bewundern, bei der sogar die Schubladen der Rokoko-Kabinette mit winzigsten Utensilien gefüllt wurden. Jede Figur, die in den Residenzen und Lustschlössern von Dyonien und Pelarien lebt oder im Mausoleum ewige Ruhe hält, erhielt von ihren Schöpfern einen Namen, ein Gesicht und eine Geschichte. Mit Schmunzeln und Staunen erlebt man beim Rundgang die Welt einer „Herzogin Ikedilla von Lidento, erste Palastdame der Prinzessin“ und unzähliger anderer Rococo-Winzlinge. Bei dieser Annäherung verwandelt sich, dank der grenzenlosen Vorstellungskraft ihrer Schöpfer, eine ferne Traumlandschaft in lebendige Wirklichkeit.

 

 

© Balhuber/Reisebuch.de
© Balhuber/Reisebuch.de

 

Tipps für den Besuch in Rudolstadt

 

• Übernachtung
Das Hotel Adler ist seit Jahrhunderten das erste Haus am Marktplatz.

• Essen und Trinken
Das Hotel Adler beherbergt auch das Restaurant Da Meli, einen Edel-Italiener mit großzügiger Terrasse zum Marktplatz und Blick auf das Rathaus und die Heidecksburg.

Wenzel
Diese gepflegte Café-Konditorei gleich nebenan ist wie das Hotel Adler eine Rudolstädter Institution und bietet neben unzähligen süßen Sachen auch eine kleine Mittagskarte an.

Zeitlos
Das Café im Innenhof des historischen Handwerkerhofs hat sich mit seiner Auswahl an selbst hergestellten Kuchen Respekt verschafft.
Stiftsgasse 21

Brummochse
Hier wird thüringische Küche serviert, man beachte die Öffnungszeiten.
Alte Straße 12

Café Zur Heidecksburg
Äußerlich unscheinbar, bei den Einheimischen aber wohlgelitten, auch mit thüringischen Gerichten.
Stiftsgasse 16

Kiedorf
Urige Kneipe in der Nähe des Schillerhauses, benannt nach einem der beiden Schöpfer von „Rococo en Miniature“.
Schillerstraße 44

Brauhaus Rolschter
Braustube, Biergarten und Kegelbahn auf dem Gelände der größten Rudolstädter Bierproduktion.
Am Brauhaus 1, im Ortsteil Cumbach

• Shoppen
Porzellanmanufaktur von Seltmann-Weiden mit Werksverkauf
Breitscheidstraße 7, im Ortsteil Volkstedt

Porzellan-Kämmer ist spezialisiert auf edles Zierporzellan, Manufaktur mit Werksverkauf:
Breitscheidstraße 98, im Ortsteil Volkstedt

Die Ankerstein-GmbH führt die Tradition der Rudolstädter Baukästen fort, mit Stolz auf das „älteste Systemspielzeug der Welt“.
Verkauf: Breitscheidstraße 148, Rudolstadt-Schwarza

Das Kunst-Auktionshaus Wendl führt in jedem Quartal an drei Tagen Versteigerungen von mehreren Tausend Objekten durch.
August-Bebel –Straße 4, www.auktionshaus-wendl.de

• Kultur
Rudolstadt ist Sitz eines Schauspielhauses und der Thüringer Symphoniker, nach irreparablen Flutschäden wird ein Neubau an alter Stelle unweit der Saale vorbereitet. Der Betrieb läuft an Ersatzspielstätten weiter.
www.theater-rudolstadt.de

• Festkalender
Erstes Wochenende im Juli: Rudolstadt-Festival (TFF Rudolstadt) : Weltstadt für vier Tage

Mitte August: Rudolstädter Vogelschießen, „der größte Rummel in Thüringen“

 

Georg Balhuber