Typisch tschechisch!

Bier © Leonhard Niederwimmer-pixabay.com
Na zdraví! - Zum Wohl! © Leonhard Niederwimmer-pixabay.com

 

Was ist typisch tschechisch? *

Zu Besuch bei Honza

Fragt man einen Deutschen, woran er bei „Tschechien“ denkt, tauchen schnell die üblichen Vorurteile auf: Tschechien? Klar, da gibt es vor allem Bier und Knödel, schöne Frauen, überall fahren nur Škodas herum und irgendwie ist das doch einfach „Ostblock“. Wie soll man jemandem diese Ansichten verübeln, der noch nie im Nachbarland war oder nur zum Einkaufen billiger Zigaretten und zum Tanken hinüberfährt. Vorurteile sind normal – und ja auch nicht selten irgendwo begründet. Es stimmt halt einfach: Die Knödel sind fester Bestandteil der tschechischen Küche, welche für Vegetarier nicht wirklich einladend ist, und die Tschechen trinken mit jährlich 143 Litern pro Kopf am meisten Bier in Europa. Schon ab den Morgenstunden kann man in den Cafés ein Bier vom Fass bekommen. In der Mittagspause oder am Nachmittag trifft man sich hier eben nicht auf einen Kaffee, sondern auf ein pivo.

Allerdings ist Tschechien noch viel mehr. Doch was genau macht Tschechien zu Tschechien und Tschechen zu Tschechen – was ist so wirklich „typisch tschechisch“? Dieser Frage nachzugehen, kann eigentlich nur misslingen: Entweder man tappt in die alte Vorurteilsfalle oder man beschreibt eben seine Sicht der Dinge, eine subjektive, die es in keinem Falle vermag, das Wesen einer gesamten Nation abzubilden. Hier soll sich nun also für die zweite Variante entschieden werden. Als erster Anhaltspunkt für diese Frage können Sprichwörter dienen, die häufig Fremd- sowie Selbstwahrnehmung von Nationen widerspiegeln. Im Deutschen wird mit einem „böhmischen Dorf“ etwas Fremdes und Unbekanntes bezeichnet (im Tschechischen übrigens das „spanische“ Dorf). Und wie sehen die Tschechen sich selber? Als fleißig und arbeitsam (nicht selten wird von den „goldenen, tschechischen Händchen“ gesprochen) und als großes Musikervolk, denn: „Co Čech, to muzikant“ („Wer ein Tscheche, der ein Musikant“). Letzteres hat sicher auch seine Berechtigung. Sitzt man am Abend in der Kneipe, passiert es nicht selten, dass sich eine Kapelle zusammenfindet, jemand die Gitarre von der Wand nimmt und gemeinsam musiziert wird. Darüber hinaus gibt es in Tschechien ein großes Liedergut, das allen bekannt ist.

O. K. Die Tschechen machen also gern Musik, sind fleißig und für uns einfach nur fremd. Aber ansonsten? Wie sind sie, diese „Tschechen“? Schauen wir uns unseren Homo bohemicus, unseren Proto-Tschechen, einmal genauer an. Unser typischer Tscheche heißt Adam oder Jakub – das sind die beliebtesten Männernamen. Oder vielleicht auch einfach Jan – ebenfalls ein sehr beliebter Name. Jan Novák also. Natürlich nennen ihn seine Kollegen nicht etwa ganz normal wie hierzulande bei seinem Namen, sondern nutzen abstruse Verniedlichungsformen wie etwa Honza, und so wollen auch wir uns dem hier anschließen. Honza also ist 42,2 Jahre alt und mit Eva Nováková verheiratet. Sie haben 1,67 Kinder. Diese heißen Karel, Anna oder nein, vielleicht Tereza und Jiří. Honza, Eva, Tereza und Jiří – beziehungsweise Evča, Terezka und Jirka – wohnen in Prag, kommen aber aus Mähren, dem östlichen Teil der Republik. Terezka studiert hier in der Hauptstadt, lebt aber noch bei den Eltern. Die Wohnung haben sie sich vor einiger Zeit gekauft. Natürlich wohnt auch der Hund der Familie hier. Max ist bei allen Unternehmungen der Familie mit dabei und hat sich mittlerweile gut an das Prager Stadtleben gewöhnt. Jirka geht noch zur Schule. Gerade absolviert er den üblichen Tanzkurs, bei dem einmal die Woche seine Eltern zuschauen, während er den Anweisungen des Tanzlehrers Folge leistet. Bereits während der Tanzstunden ist Jirkas Klasse in kompletter Abendgarderobe auf dem Parkett unterwegs. In seiner Freizeit ist Jirka außerdem bei den Pfadfindern aktiv.

Gasthaus in Prag © efwa-pixabay.com
Es sind noch Plätze frei © efwa-pixabay.com

Honza arbeitet und verdient dabei monatlich 31.851 Kronen, also ungefähr 1.250 Euro. Nach dem Frühstück mit Kümmelbrot macht er sich mit der Straßenbahn auf den Weg zur Arbeit. Meistens setzt er sich gar nicht erst hin: Hier in Tschechien gehört es sich, Älteren und Gebrechlichen seinen Sitzplatz in der Tram zu überlassen. Nach der Arbeit sitzt Honza mit seinen Freunden in der Kneipe. Dort trinkt er Bier und isst einen panierten Käse. Natürlich wird auch reichlich gelacht, denn Honza hat einen ausgeprägten český humor: Als 2005 in einer Fernsehserie der „größte Tscheche“ gewählt werden sollte, stimmte auch Honza für Jára Cimrman ab. Dieser erfand ja schließlich mit Edison gemeinsam die Glühbirne, schlug der amerikanischen Regierung den Bau des Panama-Kanals vor, erfand den Joghurt und schuf darüber hinaus noch ein beeindruckendes Dramen-Œuvre. Das Problem: Cimrman gab es eigentlich gar nicht, er ist lediglich eine Erfindung zweier tschechischer Theatermacher. Naja, český humor eben. Unser Honza sitzt also in seiner Kneipe und redet dort über Gott und die Welt – nun vielmehr wohl über Letzteres, ist er doch wie auch 80 Prozent seiner Landsleute konfessionslos. Erst am frühen Abend kommt er nach Hause.

Und am Wochenende? Geht Honza liebend gern mit Freunden zum Eishockey, manchmal nimmt er auch Jirka mit. Wenn die wärmeren Monate angebrochen sind, werden die Wochenenden gerne genutzt, um zur chata, zum Wochenendhäuschen, zu fahren. Das alte Haus steht im Šumava-Wald an der Grenze zu Bayern und gehört schon seit Generationen den Nováks. Hier gibt es immer etwas zu tun. Und natürlich begibt man sich nicht nur zum Wandern in die Natur nicht nur zu Wanderungen, sondern bevorzugt auch zum Pilze-Sammeln. Drei Kilo jährlich sammeln Honza und seine Familie im Schnitt pro Kopf. Natürlich ist auch Max bei all dem dabei. „Haf, haf“, hallt es immer wieder durch den Wald – denn tschechische Hunde bellen anders als deutsche.

Honza ist stolz darauf, Tscheche zu sein, klar. Im Vergleich mit den im Norden angrenzenden Polen mag sein Nationalstolz aber doch eher winzig erscheinen. Man ist eben nur ein kleines 10-Millionen-Einwohner-Land irgendwo zwischen West und Ost. Die Nationalhymne – die Honza natürlich auswendig kennt – preist nicht etwa das Militär oder die Größe des Landes, sondern spricht von der Schönheit der tschechischen Natur. Tscheche zu sein, bedeutet für Honza auch, sich mit der Geschichte seines Landes auseinanderzusetzen. Die schicksalhaften Achterjahre kann er aus dem Effeff aufzählen: 1918 die Gründung der Tschechoslowakei, 1938 das Münchner Abkommen, nach dem das Sudetenland ans Dritte Reich angegliedert wurde, 1948 der kommunistische Putsch, 1968 der Prager Frühling. „Die Russen“ kann Honza heute immer noch nicht leiden. Alle. Schließlich waren sie es ja, die im August 1968 mit ihren Panzern durch die Hauptstadt brausten und den Prager Frühling, die Phase eines etwas freieren Sozialismus „mit menschlichem Antlitz“, zunichtemachten. Natürlich ist auch die Samtene Revolution 1989 für Honza wichtig – er war damals dabei, auf dem Prager Wenzelsplatz, und einer der Zehntausenden, die die Revolution gemeinsam lostraten mit den in die Höhe gereckten, schüttelnden Schlüsselbunden. „Seinem“ Präsidenten, dem 2011 verstorbenen Václav Havel, der nach der Revolution 1989 Präsident der Tschechoslowakei und ab 1993 der Tschechischen Republik war, hat Honza vor einigen Jahren ein Denkmal gesetzt: So wie in den vielen Cafés der Hauptstadt hängt seither auch in der Küche der Familie Novák ein Porträt des Dichterpräsidenten. Ein echtes Idol eben.

Karlsbrücke © lubos_houska-pixabay.com
Die Karlsbrücke in Prag © lubos_houska-pixabay.com

Honza ist also Tscheche. Das Ding dabei ist: Honza und auch Evča, Terezka und Jirka gibt es eigentlich gar nicht – ganz so wie es auch den Fußball schauenden, Lederhose tragenden, Bratwurst essenden Herrn Müller-Meier-Schulze mit Gartenzwergen im Vorgarten nicht gibt. Honza sind 10 Millionen Menschen, jeder ist anders, keiner ganz so wie Honza. Vermutlich ist das auch gut so, oder? Honza, wie wir ihn hier kennenlernen konnten, ist ein Querschnitt einer Gesellschaft und deshalb möglicherweise auch entsprechend langweilig. Honza ist Tschechien, irgendwo zwischen Menschen, die an einem Ende der Republik junges Theater machen und am anderen Kohle aus der Erde fördern. Menschen, die moderne Musik produzieren, vielleicht ein Café leiten oder sich in der Umweltbewegung engagieren oder die einfach einen „ganz normalen Job“ haben, so wie wir in Deutschland auch.

Honza ist ein David Černý, der bildender Künstler ist, Panzer pink anmalt und riesige Stinkefinger in der Moldau installiert, die gegen den Sitz des Präsidenten auf der Prager Burg gerichtet sind. Honza sind Sportler wie Jaromír Jágr und Petr Čech, Musikerinnen wie Nikola Muchová, Schriftsteller wie Jaroslav Rudiš. Und eben all die vielen spannenden Menschen von nebenan.

Sie wollen Honza gern einmal kennenlernen? Leider kann ich Ihnen keinen Kontakt zu ihm geben. Aber fahren Sie doch einfach mal rüber, in unser Nachbarland im Osten! Dort treffen Sie ihn gewiss. Ein Ausgangspunkt für Ihre Suche könnte die Hauptstadt Prag sein.

(Ferdinand Hauser, Autor des Reiseführers Prag - am Puls der Stadt))

Gut zu wissen!

Tschechien und „Tschechei“

Von der Nutzung des weit verbreiteten Begriffs „Tschechei“ sollte dringend abgesehen werden. Die Bezeichnung entstammt dem Nazi-Jargon. Als „Rest-Tschechei“ wurde der Teil der Tschechoslowakei bezeichnet, der noch nicht ans Deutsche Reich angeschlossen war (ab März 1939 Protektorat Böhmen und Mähren).

 „Tschechien“ (beziehungsweise „Česko“) ist heute die offizielle Kurzform zu Tschechische Republik/Česká republika. 2016 trat erneut eine Änderung im offiziellen Namensgebrauch in Kraft. Die offizielle internationale Kurzform lautet nun „Czechia“. Allerdings nahmen dies Englisch sprechende Tschechen und die Medien kaum an und sprechen weiter von der „Czech Republic“.

 

Auszug aus: Ferdinand Hausers Reiseführer (vor allem und insbesondere für junge Leute): Prag - Am Puls der Stadt

 

 

Prag Weihnachtsmarkt©maatcheck-pixabay.com
Der beliebte Weihnachtsmarkt auf dem Prager Platz des Friedens © maatcheck-pixabay.com

Gewusst? „Co je český, to je hezký“ – „Schön ist, was tschechisch ist“, so lautet ein tschechisches Sprichwort. Und Tschechien gilt zwar als das ungläubigste Land in Europa und trotzdem versorgt nicht der kommerzielle Weihnachtsmann die Kleinen mit Geschenken, sondern Jezísek: das Jesuskind. Das von Martin Luther erfundene Christkind ist in Tschechien ein Relikt des Protestantismus, dieser war bis zum Ausbruch des Dreißigjährigen Kriegs in Böhmen und Mähren nämlich fest verankert. 1620 mussten sich die böhmischen Stände aber den Katholiken geschlagen geben, was ein Verbot des Protestantismus mit sich zog. Zwar wurde die katholische Kirche dann zur einzigen zugelassenen Religion erklärt, allerdings wanderten viele Protestanten aus und die Bauern, denen das nicht möglich war, entfernten sich bald völlig vom Glauben. Und das unterstützten natürlich wiederum die Kommunisten. Etwas aber blieb erhalten: die Freude am Weihnachtsfest und der kindliche Glaube an das Christkind. Außerdem kommt Eishockey in Tschechien ein weitaus größerer Stellenwert zu als Fußball – so wurden sie in dieser Sportart bereits mehrmals Weltmeister und erreichten einen Olympiasieg. Und übrigens war es ein Tscheche, der weiche Kontaktlinsen erfunden hat: nämlich Otto Wichterle, 1959. Außerdem kommt das Wort Roboter aus Tschechien: aus einem Theaterstück und Kurzroman des Dramatikers Karl Čapek – das Stück aus dem Jahre 1920 war mit R.U.R. betitelt, was für Rossums Universal-Roboter steht. Sigmund Freund und Gregor Mendel sind zwar Österreicher, aber wurden in Tschechien geboren. „Strc prst skrz krk“ – das bedeutet übersetzt ungefähr: „Steck den Finger durch den Hals“: Im Tschechischen sind nämlich nicht unbedingt Vokale erforderlich, um ein Wort zu bilden. Und zu Ostern ziehen Jungs vielerorts mit dekorierten Weidenruten durch die Ortschaften, um die Mädchen damit zu hauen – dafür schenken diese ihnen hübsch bemalte Ostereier.

 

Typisch tschechisch! ist ein Auszug aus:

Länderklischees
Alle Iren haben rote Haare