Typisch tongaisch!

Südsee © gerhard_gellinger-pixabay.com
Südsee-Klischee © gerhard_gellinger-pixabay.com

Was ist typisch tongaisch?

Als ein Elternpaar aus dem Kindergarten meines Sohnes beruflich nach Tonga zog, um dort tropische Vögel, die hier in Volieren lebten, wieder in die alte Natur auszusetzen und zu beobachten, platzte ich vor Neid. „So ein interessantes Land!“, dachte ich.

Sie schickten mir öfters Bilder und erzählten von ihrem Haus unter Palmen am Strand. Da wollte ich auch mal hin. Ich dachte, dass das Königreich Tonga eine einzige Südseeidylle sei. Ich hörte schon, dass die Kinder in der Schule geschlagen wurden, aber wollte dieses Traumland unbedingt einmal sehen. Im Jahre 2006 erfuhr ich aus den Nachrichten, dass es gewalttätige Auseinandersetzungen auf Tonga gibt. Ich bekam Sorgen, dass das Land vielleicht bald nicht mehr so sein könnte, wie ich es mir vorstellte. Nun wurde es in meinen Reiseplanungsgedanken ganz vorne platziert. Bei meiner Weltreise stand schon von der ersten Vorplanung an fest: Tonga muss dabei.

Doch Tonga – genauer die Hauptinsel Tongatapu – ist nicht mehr das, was man sich unter einem Südseeparadies vorstellt. Schon beim Anflug aus der Luft erschreckt das eintönige Grün, nicht tropische Vielfalt, sondern Palmenmonokultur breitet sich aus. Hier ist eine Plantagenwelt zur Palmölgewinnung aufgebaut worden. Von lebendiger tropischer Flora ist allenfalls noch in manchen Gärten etwas zu finden. Auch wer tropische Früchte oder Gemüsesorten in den Lebensmittelläden zu kaufen versucht, wird enttäuscht sein. Kokosmilch beispielsweise gibt es in keinem Laden im Land der vielen Kokospalmen zu kaufen, sondern vor allem chinesische Tütensuppen. Die Lebensmittelläden Tongas sind samt und sonders in chinesischer Hand. Seit der frühere König die tongaische Staatsbürgerschaft an Chinesen verkauft hatte (wo das Geld gelandet ist, lässt sich nur vermuten, die chinesische Botschaft ist jetzt in einem prächtigen Gebäude an der Küste untergebracht), bestehen die großen Spannungen im Lande, die sich dann explosiv niedergeschlagen haben.

Tonga Königssitz © Astrid Kaiser-reisebuch.de
Tonga, der ehemalige Königssitz © Astrid Kaiser-reisebuch.de

Nicht nur die Natur widerspricht den Erwartungen, auch die Architektur ist nicht das, was man von Bildbänden oder Museumsbildern kennt.

Die schmucken historischen Häuser und Läden im Ort wurden bei den Auseinandersetzungen zwischen oppositionellem Volk und königsnaher Herrschaftsschicht zerstört, zerschlagen oder verbrannt – meist waren es hölzerne Villen und Geschäfte. Was Menschenhand nicht schaffte, riss das Erdbeben 2010 sowie der zwei Tage später wütende Zyklon René nieder. Man muss schon sehr weit aus der Stadt hinausfahren, um noch vereinzelte Häuser im Kolonialstil mit den farbigen Glaseinlagen zu sehen. Traditionelle Häuser findet man überhaupt nicht. Während auf Samoa überall noch schön bemalte und verzierte Versammlungshäuser der Sippen zu entdecken sind, ist auf Tonga nichts von der ursprünglichen Architektur übriggeblieben. Das viktorianische alte Königsschloss und einige Kirchen sind die letzten Überbleibsel wenigstens von der Jahrhundertwende um 1900.

Wenn man weiter im Land herumkommt und aufmerksam ist, findet man aber sehr wohl noch kulturelle Relikte. Dies gilt besonders für die Trauerkultur. Nirgendwo auf der Welt sieht man derart bunt auf Korallensand gestaltete Gräber mit großflächigen farbigen textilen Aufbauten. Auch der Traueralltag ist von außen zu beobachten. Das Trauerhaus ist am Zaun mit Flaggentüchern gekennzeichnet. Wer auf dem Weg davor abwarten kann, sieht die Nachbarn und Nachbarinnen im Bastrock traditionell gekleidet ihren Trauerbesuch abstatten.

Am Sonntag in den Kirchen tragen die Männer ebenfalls Baströcke, während die Frauen mit eleganter Hutmode und gerafften Kleidern die Mode der Jahrhundertwende vorführen. Die Gesänge und instrumentalen Darbietungen geben eine Ahnung davon, wie viel Lebensfreude und -lust in den Herzen der Menschen auf Tonga noch heute zu finden ist. Wenn man das ursprüngliche Tonga erleben will, sollte man aufs Fährschiff steigen und auf die kleinen zu Tonga gehörigen Inseln fahren wie Eua, Vava’u oder Haapai, zwar existieren auch Flugverbindungen, doch die Fluglinie des Landes – in chinesischer Hand – gilt als sehr unsicher. Dort auf den entlegenen Inseln des Königreichs Tonga kann man auf die Intrigen zwischen den Sippen stoßen und wird sicher auf offene Gastfreundschaft treffen. Dabei spürt man sicher etwas von der früheren Bezeichnung Tongas als „Freundschaftsinseln“. Emotional ist man dann wirklich in eine exotische Kultur eingetaucht.

(Astrid Kaiser)

Gewusst? Das Pazifik-Archipel Tonga umfasst insgesamt 177 Inseln, wovon allerdings nur 36 dauerhaft bewohnt sind. „Mahalo pei a pongi pongi“ – das bedeutet übersetzt: „Morgen vielleicht“ und ist eine tongaische Weisheit – Müßiggang ist hier nämlich eine Tugend. Die erfolgreichste Exportware von Tonga ist die Top-Level-Domain .to: Sie kostet 50 Dollar jährlich und ist deshalb so beliebt, weil der Käufer anonym bleibt – das nutzen auch Streamingdienste wie kinox.to.

 

Typisch Tongaisch ist ein Auszug aus:

Länderklischees
Alle Iren haben rote Haare