Wie überall im Südeuropa gehört auch auf den Kanaren ein Glas Wein (vaso oder copa de vino) zu jedem Essen. Dabei wird in den dörflichen Tapa Bars oder einfachen Lokalen (Guachinches) der örtliche Tropfen immer noch direkt aus dem Fass (barril) ins schlichte Wasserglas gezapft. Ist man bei uns zu zweit oder dritt, wird aus einem »Gläschen« schnell ein »Fläschchen«. Der Südländer aber bleibt oft bei seinem einen vasito (Gläschen). Das gilt weniger für die mehr zum Bier tendierende jüngere Generation.

Auf Speisekarten mit Ledereinband und Büttenpapier suchte man bis vor zehn, zwanzig Jahren vergebens nach kanarischen Weinen. Bekannte spanische Festlandsmarken beherrschten die heimische Gastronomie. Die kleinen dörflichen Weinbauern produzierten in ihrer Bodega (Weinkeller) nach Gutdünken nur kräftige Tropfen zu deftigen Gerichten. Heute sind Inselweine auch in den feinsten kanarischen Restaurants selbstverständlich. Einige Marken erhielten gar spanische Auszeichnungen.

Sie kommen abgebottelt mit Gütesiegeln (Denominación de Origen Calificada/ DOC) und peu à peu entwickelt sich Teneriffa, wo der meiste kanarische Wein angebaut wird, zur Weinregion. Im Museo del Vino (El Sauzal) oder Bodegas (z.B. Monjes, Cumbre de Abona/Arico) können Besucher bei einer Weinprobe die kanarischen Spitzenweine kosten, ob nun rot (tinto), rosé (rosado) oder weiß (blanco). Die insulare Weinwirtschaft hat es Dank vulkanischer Böden und idealer Klimata geschafft, ihren Agrarland-Anteil gegenüber der Banane (21%) mit 42% zu verdoppeln.

Vor 350 Jahren fehlte der kanarische Malvasier auf keiner Tafel der europäischen High Society. Anders als etwa in der Toskana, Provence oder auf dem spanischen Festland hat der dann folgende fast 300-jährige Weinboom aber keine verwurzelte Weinkultur auf dem Archipel begründet. Wie alle kanarischen Monokulturen (Zuckerrohr, Koschenille, Tomate, Banane) wurde auch der Weinhandel von Großgrundbesitzern und ausländischen Handelsgesellschaften initiiert, aufgebaut und kontrolliert. Dieselben wirtschaftlichen Kräfte waren es wieder, die beim Zusammenbruch des Zuckerrohrmarktes auf den Rebensaft als neuen Exportschlager setzten.

Schon 1496, gleich nach der Eroberung Teneriffas, kam die süße Malvasia-Rebe aus Kreta auf die Inseln. Getreu der Devise »keine Taufe eines Wilden ohne Meßwein« wurde der 12-15%ige Malvasia dann beim letzten Stopp auf dem Weg zu den südamerikanischen Missionen geladen. Auch die dort stationierten spanischen Herrschaften fanden an dem schweren Tropfen Gefallen. Dies paßte den andalusischen Weinhändlern nicht ins Geschäft. Neidvoll beäugten sie die dicken Gewinne der von ihnen als Kolonien betrachteten kanarischen Inseln. Die Casa de Contracción y el Consejo de Indias in Sevilla kontingentierte daraufhin die kanarischen Fässer, die ab sofort nur noch über den Hafen von Sevilla gehandelt werden durften.

Das wiederum öffnete den Schmugglern Tür und Tor. Das Mutterland war weit und die Beute leicht gemacht. Sie ging nicht nur über den Atlantik nach Amerika, sondern auch über die Biscaya nach Großbritannien, wo man just unter Malvasier-Entzugserscheinungen litt. Schon im Mittelalter hatten die Engländer den süffigen Wein schätzen gelernt. Aber seit das mediterrane Herkunftsland Kreta zur Mitte des 17. Jahrhunderts in türkische Hände gefallen war, darbten die Briten mit trockenen Kehlen.

Ein großer Malvasier-Markt waren auch Englands Besitzungen in Nordamerika und in der Karibik. Dem Bostoner Geldadel des späten 17. Jahrhunderts waren die Kanaren als »Wein-Inseln« wohlbekannt. Und so entwickelte sich ein reger Dreiecks-Handel zwischen England, Amerika und dem kleinen Archipel, bei dem zwar nicht alles mit rechten Dingen zuging, aber vieles unter Mithilfe der spanischen Handelsflotte. Kanarische Schiffe fuhren Schmuggelware nach Südamerika und bekamen dafür begehrtes Silber und exotische Waren. Die tauschten sie mit ihrem Wein gegen Luxusgüter wie feine englische Tuche. Und die Briten machten mit Wein, Silber und dem südamerikanischen Exoten zu Hause gut Kasse. Ein cambuyonero (auch: cambullón) ist seit dieser Zeit auf den Inseln das kanarisierte Wort für »come buy on« (Los, zugreifen!), was man sich hinter vorgehaltener Hand zuraunte, wenn Schmuggelware eingetroffen war. Seither nennt man auch fliegende Händler und kleine Kaufleute cambullones und dunkle Geschäfte bisne (business).

Viel politisches Hin und Her innerhalb der europäischen Königshäuser machte diesem erfolgreichen Treiben ein Ende. Charles II. legte mit seinen Navigationsakten (1662 und 1663) den merkantilistischen Grundstein für strikte Regulierungen beim Handel zwischen England und seinen Kolonien. Der Export kanarischer Weine nach Amerika wurde zollpflichtig und durfte nur von englischen Häfen und unter britischer Flagge erfolgen. Den Portugiesen war weiterhin der direkte Weinhandel erlaubt; Charles war schließlich mit einer portugiesischen Prinzessin verheiratet. Und da damals die Adelshäuser noch zu den Trendsettern zählten, wurde bei Königs und Gefolge alsbald Madeira aus Portugal statt des Malvasiers aus Spanien kredenzt.

1665 hatten englische Kaufleute zur Rettung der festgefahrenen Geschäfte die Compañía de Canarias gegründet. Sie erlaubte es, die tenerifeñischen Preise und Transportkonditionen festzulegen. Der Protest der kanarischen Weinbauern gegen die fremden Handelsherren ließ nicht lange auf sich warten. Dievon Garachico (1666), eine Art kanarische »Boston Teaparty« führte zur Auflösung der britischen Compañía.

Doch die goldenen Zeiten, in denen der Malvasia bare Münze war, mit der sogar ein Shakespeare entlohnt wurde und den er in seinen Dramen gebührend würdigte, waren vorbei. Die Konkurrenz von Madeira und Sherry machte dem Malvasier schwer zu schaffen. Durch Überproduktion ausgelaugte Böden erbrachten zudem nur minderwertige Kreszenzen. 1675 wurden die Anbauflächen beschränkt, da die Produzenten inzwischen auch ungeeignete Böden nutzten. Dazu kam eine Reblaus- und Mehltau-Plage, die dem flauen Handel spätestens Mitte des 19. Jahrhunderts den endgültigen Garaus machte.

Da die Canarios, wie eingangs erwähnt, keine eigene Weinkultur entwickelt hatten, verlor der Anbau mit dem Ende des Exporthandels an Bedeutung.

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