Gefahren an der Ostsee: Ein Sicherheitsratgeber für Urlauber

| von if

Die deutsche Ostseeküste bleibt ein Sehnsuchtsziel – ruhig, familienfreundlich und malerisch. Doch unter ihrer friedlichen Oberfläche verbergen sich zahlreiche, teils lebensgefährliche Risiken. Viele davon sind unsichtbar und werden gerade deshalb unterschätzt. Die Ostsee ist keine trügerisch harmlose Badewanne, sondern ein Binnenmeer mit eigenem Charakter, das Respekt verlangt – insbesondere im Sommer in dem Klimawandel, Wetterextreme und biologische Gefahren zunehmen. Dieser Beitrag klärt über die wichtigsten Risiken auf und bietet konkrete Hinweise für einen sicheren Aufenthalt.

Gefahren an der Ostsee: Ein Sicherheitsratgeber für Urlauber
Bei Wind aus Norden oder Osten kann auch die Ostsee leicht in Wallungen kommen; Bild von Jürgen auf Pixabay

Unsichtbare Kräfte: Strömungen und Wind

Die größte Gefahr für Badende an der Ostsee geht nicht von hohen Wellen, sondern von unsichtbaren Strömungen aus – insbesondere in Bereichen mit auflandigem Wind oder nach Stürmen. Brandungsrückströme, Rippströmungen und küstenparallele Abflüsse können Schwimmer selbst bei vermeintlich ruhigem Wetter aufs offene Meer ziehen. Wer versucht, dagegen anzuschwimmen, erschöpft sich rasch. Die Empfehlung lautet: ruhig bleiben, parallel zum Ufer aus der Strömung schwimmen und dann zurückkehren.

Ein besonderer Gefahrenherd ist die Lübecker Bucht – speziell der Abschnitt bei der „Scharbeutzer Kammer“. Dort kamen bereits mehrfach Menschen ums Leben, zuletzt 2019 an einem einzigen Tag gleich drei. Die trichterartige Form der Bucht, in Kombination mit Nordostwind, erzeugt starke Unterströmungen – oft genau dann, wenn das Wasser besonders warm und einladend erscheint. Hier ist das Beachten der DLRG-Beflaggung lebenswichtig.

Auch ablandiger Wind ist gefährlich. Aufblasbare Luftmatratzen, SUP-Boards oder Schlauchboote werden binnen Minuten aufs Meer hinausgetrieben. Immer wieder müssen Wasserschutzpolizei, DLRG und Seenotretter abgedriftete Urlauber retten – vor allem Kinder. Die DLRG warnt eindringlich davor, solchen Geräten bei ablandigem Wind zu trauen. Der Rückweg ist meist unmöglich.

Kälteschock statt Badespaß

Selbst im Hochsommer bleibt die Ostsee kühl. Oberflächlich gemessen werden zwar gelegentlich 21 bis 23 Grad, doch wenige Zentimeter tiefer fällt die Temperatur rasch ab – auf Werte, die den Körper in wenigen Minuten auskühlen lassen. Besonders gefährlich ist der sogenannte Kälteschock: Ein Sprung ins Wasser unter 15 Grad kann zur unkontrollierten Schnappatmung (Gasp-Reflex), Hyperventilation und im schlimmsten Fall zum sofortigen Ertrinken führen – lange bevor eine tatsächliche Unterkühlung einsetzt. Auch trainierte Schwimmer sind betroffen.

Steilküsten: Schönheit mit Risiko

Die hohen Ufer an der deutschen Ostseeküste – wie die Kreidefelsen auf Rügen oder die Steilufer bei Brodten, Hohwacht oder Stolpe – sind landschaftlich reizvoll, aber geologisch instabil. Starkregen, Frostsprengung und Sturmfluten führen regelmäßig zu Abbrüchen, bei denen tonnenschwere Erd- und Gesteinsmassen ins Meer stürzen. Spaziergänger unterhalb der Klippen riskieren, verschüttet zu werden; Wanderer oberhalb können mit dem brüchigen Küstenrand abrutschen.

Tragische Unfälle – wie der Tod eines Mädchens 2011 an der Kreideküste Rügens – belegen, wie real diese Gefahr ist. Warnhinweise und Absperrungen sollten unbedingt beachtet werden, besonders nach Regen oder Stürmen.

Biologische Risiken: Von Vibrionen bis Quallen

Die Ostsee beherbergt einige unangenehme und teils gefährliche Meeresbewohner. Durch die Erwärmung des Wassers nehmen diese Begegnungen spürbar zu.

Vibrionen – wärmeliebende Bakterien, die sich bei über 20 Grad explosionsartig vermehren – dringen über kleinste Wunden in den Körper ein. Die Folge können schwere Wundinfektionen, Nekrosen und Sepsis sein, vor allem bei älteren, kranken oder immungeschwächten Personen. Für sie gilt: Bei warmem Wasser und offenen Hautstellen lieber nicht baden.

Cyanobakterien (umgangssprachlich: Blaualgen) treten nach Hitzeperioden in massenhaftem Umfang auf. Sie bilden grünlich-blau schillernde Teppiche auf der Wasseroberfläche, die toxisch sein können. Der Kontakt führt zu Hautreizungen, das Verschlucken kann Übelkeit, Durchfall und Fieber auslösen. Besonders gefährdet sind Kleinkinder.

Zerkarien, die Larven von Saugwürmern, lösen die sogenannte Badedermatitis aus – einen juckenden Hautausschlag, der lästig, aber harmlos ist. Sie treten bevorzugt in warmem, flachem Wasser nach Hitzeperioden auf.

Feuerquallen – insbesondere die Gelbe Haarqualle – sind wieder häufiger in der Ostsee gesichtet worden, besonders nach Nordwestwind. Ihre Tentakel verursachen schmerzhafte Hautreizungen, ähnlich wie Brennnesseln. Wichtig: Kontaktstellen nicht mit Süßwasser abwaschen, sondern mit Meerwasser oder Essig und Rasierschaum behandeln.

Petermännchen, ein giftiger Bodenfisch, ist ebenfalls in flachen Sandzonen aktiv. Ein Stich kann extrem schmerzhaft sein, ist aber mit Wärmebehandlung (z. B. heißem Wasser) und ärztlicher Hilfe gut behandelbar.

Munitionsaltlasten und Chemikalien

Die Ostsee ist stark belastet durch versenkte Weltkriegsmunition. Rund 300.000 Tonnen Waffenmaterial lagern am Meeresboden – darunter TNT und weißer Phosphor. Letzterer wird gelegentlich an Land gespült und kann sich bei Trocknung selbst entzünden. Verwechslungsgefahr besteht mit Bernstein. Gefundene Klümpchen keinesfalls anfassen.

Pilotprojekte zur Bergung wurden 2024 gestartet, u. a. in der Lübecker Bucht. Doch die Menge ist enorm, und die chemische Belastung durch TNT-Abbauprodukte ist längst messbar – auch in Fischen.

Ebenfalls bedenklich: PFAS, sogenannte „Ewigkeitschemikalien“, wurden im Meeresschaum an Stränden wie Kühlungsborn und Boltenhagen in extrem hoher Konzentration gefunden – bis zum 3700-Fachen des dänischen Grenzwerts. Die Substanzen haften an organischem Material und reichern sich im Schaum an. Besonders Kinder und Hunde sollten nicht damit in Kontakt kommen.

Prävention durch Infrastruktur: Flaggen und Wachtürme

An den meisten Stränden überwachen die DLRG und andere Rettungsdienste während der Hauptsaison das Badegeschehen. Zentrale Bedeutung hat das Flaggensystem:

  • Rot-gelb: bewachter Strand, sichere Badezone
  • Gelb: Warnung – nur für geübte Schwimmer
  • Rot: Badeverbot – akute Gefahr
  • Schwarz-weiß kariert: Wassersportzone – Baden verboten
  • Oranger Windsack: ablandiger Wind – Luftmatratzen tabu

Diese Zeichen sollten zwingend beachtet werden. Die meisten tödlichen Unfälle geschehen außerhalb der bewachten Zeiten oder an ungesicherten Naturstränden.

Auch digitale Hilfsmittel wie regionale Strand-Apps mit Live-Infos zur Beflaggung können hilfreich sein – etwa in der Lübecker Bucht.

Baderegeln: Wissen rettet Leben

Die wichtigsten Verhaltensregeln bleiben zeitlos:

  • Nur schwimmen, wenn man sich gesund fühlt und nicht überhitzt ist
  • Nie mit vollem oder leerem Magen baden
  • Aufblasbare Schwimmhilfen bieten keine Sicherheit
  • Bei Gewitter das Wasser sofort verlassen
  • Nicht zu weit hinausschwimmen
  • Nicht aus Spielerei um Hilfe rufen – aber anderen helfen

Diese einfachen Regeln sind für Kinder wie Erwachsene lebenswichtig – nicht nur an unübersichtlichen Stränden, sondern gerade an scheinbar ruhigen Tagen.

Die Ostsee – ein Meer mit Charakter und Risiken

Die Ostsee bleibt ein lohnendes Reiseziel, aber auch sie verlangt Aufmerksamkeit. Die größte Gefahr geht von der Sorglosigkeit aus, mit der viele ihre Risiken unterschätzen. Gerade weil sie so sanft wirkt, ist sie gefährlicher als viele glauben – das zeigen auch die Zahlen: 2022 starben an der Ostsee 16 Menschen, an der Nordsee nur zwei.

Ein vorsichtiger, informierter Umgang mit diesem besonderen Meer – und die Bereitschaft, auf Warnhinweise und Rettungssysteme zu vertrauen – machen den Unterschied zwischen Sorglosigkeit und verantwortungsvoller Erholung. Wer diese Balance wahrt, wird die Ostsee auch 2025 mit Freude und in Sicherheit erleben.

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