I. Eutin und der Eutiner Dichterkreis
Eutin ist nicht nur geografisches, sondern auch geistiges Herz der Holsteinischen Schweiz. Im 18. Jahrhundert versammelte sich hier der sogenannte „Eutiner Kreis“, dem bedeutende Gelehrte und Dichter wie Johann Heinrich Voß und Friedrich Leopold Graf zu Stolberg-Stolberg angehörten. Diese Vereinigung verknüpfte die höfische Kultur des Fürstenhofs mit Idealen der Aufklärung und ließ eine Atmosphäre entstehen, in der Poesie, Übersetzungen und literarische Debatten florierten. Noch heute lässt sich dieser intellektuelle Geist im barocken Schlossgarten und in der benachbarten Landesbibliothek erahnen.
Das Eutiner Schloss und die umliegenden Parkanlagen bilden eine Kulisse, die einst hohe Gäste aus ganz Europa empfing. In ihren Mauern und Gärten entstanden zahlreiche Gedichte, Briefe und Übersetzungen, die bis heute in der Eutiner Landesbibliothek aufbewahrt werden. Der heutige Besucher kann in den Lesesälen Originalausgaben des Göttinger Musenalmanachs durchblättern und eine Originalstimme Voß’ in Form seiner Homer-Übersetzungen erleben.
Naturerlebnisse rund um Eutin: Schlossgarten und die mystische Bräutigamseiche
Entdecken Sie die Schönheit der holsteinischen Schweiz bei einem Besuch, der zwei faszinierende Orte verbindet: das Eutiner Schloss und die sagenumwobene Bräutigamseiche.
Beginnen Sie Ihren Ausflug am historischen Eutiner Schloss. Von dort führt ein Spaziergang durch den weitläufigen Schlossgarten hinunter zum Großen Eutiner See. Genießen Sie die idyllische Uferlandschaft und erkunden Sie den angrenzenden Seeschaarwald auf seinen ruhigen Pfaden. Hier lässt sich die Natur in vollen Zügen genießen.
Für ein weiteres schönes Naturerlebnis empfiehlt sich ein Abstecher zur berühmten Bräutigamseiche im Dodauer Forst. Dieser mystische Waldabschnitt, dessen moosbedeckte Baumriesen bereits Literaten wie Stolberg inspirierten, beherbergt einen hunderte Jahre alten Eichenbaum. Besucher können hier (Liebes-)Briefe in eine Baumhöhle legen und auf eine Antwort hoffen.
Hinweis
Während das Eutiner Schloss und der Seeschaarwald zu Fuß gut erreichbar sind, ist die Bräutigamseiche im Dodauer Forst am besten mit dem Auto oder Fahrrad zu erreichen. Eine direkte durchgehende Wanderung von Eutin zur Bräutigamseiche ist aufgrund der Distanz und der dazwischenliegenden Infrastruktur eine anspruchsvollere Tagestour, die eine genaue Routenplanung erfordert. Für kürzere Ausflüge empfiehlt es sich, diese beiden Highlights separat zu erkunden.
II. Lübeck: Architektur als Roman
Lübeck ist nicht nur Welterbe der UNESCO, sondern steht in besonderer Weise für den Wandel von Bürgerlichkeit und literarischem Ruhm. Mit Thomas Manns „Buddenbrooks. Verfall einer Familie“ wurde die alte Hansestadt zur literarischen Metropole Deutschlands. Obwohl das Buddenbrookhaus bis voraussichtlich 2029 umgebaut wird, lässt sich sein Schicksal als Architekturprojekt im öffentlichen Raum studieren.
Beim Spaziergang durch die Altstadt beginnt man am Markt, wo einst der unverblümte Romanbestseller zum Aufruhr führte. Die Fassade des Hauses in der Breiten Straße ist heute Aufnahmeort für Fotografen und Literaturinteressierte gleichermaßen. Von dort geht es weiter zur Mengstraße, die schon Thomas Mann als Ort familiärer Anekdoten diente. In ihrem Geflecht historischer Giebelhäuser lassen sich noch heute die Lebensentwürfe der Mannschen Figuren ablesen.
Weiter führt die Route durch enge Gängeviertel und entlang des Traveufers, die Kulisse für die Sensibilität von „Tonio Kröger“ bilden. Am Ende der literarischen Spurensuche lohnt ein Besuch des St. Annen-Museums, das in wechselnden Sonderausstellungen die Stationen der Mann-Dynastie dokumentiert, von frühen Kinderjahren bis zum Nobelpreis. Die städtischen Gassen werden so selbst zur offenen Foliantensammlung, in der Architektur und Topographie zu Erzählebenen avancieren.
III. Husum und Theodor Storms Nordsee
Husum, die „graue Stadt am Meer“, ist eng mit Theodor Storm verbunden, der hier 1817 geboren wurde und bis heute als literarischer Stadtführer fungiert. Das Theodor-Storm-Haus in der Wasserreihe 31 ist Zentrum eines kleinen, aber feinen Literaturmuseums, das Einblick in Leben und Werk gewährt.
Vom Storm-Haus aus führt ein Rundgang in den Schlosspark, wo die Kontraste zwischen üppigem Grün und norddeutschem Himmel beeindruckende Stimmungen erzeugen. An der St. Marienkirche vorbei zieht es weiter in den historischen Hafen, wo sich die Kulisse zum „Schimmelreiter“ erkennen lässt: Hafenanlagen, Deichbauten und Salzwiesen wurden in Geschichten und Novellen zu Protagonisten.
Den Abschluss dieser literarischen Runde bildet ein Café am Binnenhafen, in dem man eine Audiofassung des „Schimmelreiters“ hören kann, während man den Blick auf Segelboote und Kräne schweifen lässt. Die Verbindung von Stimmen aus dem 19. Jahrhundert mit den Geräuschen einer modernen Hafenstadt macht erfahrbar, wie bruchlos Storms Bildsprache in die Gegenwart ausstrahlt.
IV. Rendsburg im Schatten Arno Schmidts
Rendsburg mag auf den ersten Blick unscheinbar wirken, doch für Arno Schmidt bildete die Garnisonsstadt die Kulisse literarischer Rebellion. In den Kurzprosatexten seiner frühen Jahre wird die „schnarchnasige Garnisonsstadt“ zum Sehnsuchtsort einer Sprache, die sich der Konvention entzieht.
Ausgangspunkt ist das „Nordkolleg Rendsburg“, ein Ort gelebter Literaturvermittlung, in dem regelmäßig Lesungen und Workshops stattfinden. Von dort aus spannt sich die Route über die Hochbrücke und den darunterliegenden Fußgängertunnel, zwei Monumente der Ingenieurskunst, die in Schmidts Werk als Sinnbilder für Trennung und Verbindung gelten.
Weiter führt der Weg durch enge Altstadtpassagen, wo Zwischentöne aus Schmidts Prosa im Kopf nachhallen. Man verweilt an Hauswänden, von denen er eine „explosive Spracharchäologie“ fordert, und erlebt, wie die geborstenen Fassaden und modernen Renovierungen Spiegelbilder eines Romans werden, der nie geschrieben wurde, aber in jeder Ecke zu lauern scheint.
V. Wesselburen: Hebbels Marschlandschaft
In Wesselburen ist Friedrich Hebbel geboren worden, dessen Werke wie „Maria Magdalena“ und „Judith“ sich stark von seiner Herkunft aus der offenen Marsch beeinflussen ließen. Das Hebbel-Museum bietet eine Einführung in Leben und Dichtung des Dramatikers und kürt die Landschaft, in der der junge Hebbel seine Figuren entwarf.
Der Hebbel-Rundweg führt auf Wegen, die zwischen Gartendörfern und weiten Marschfeldern verlaufen. Unterbrochen wird die Wanderung immer wieder von Tafeln mit Zitaten aus Hebbels Dramen, die Flussläufe und Knicks in eine existenzielle Topographie verwandeln. Brücken werden zu Schwellen des Bewusstseins, Deichkronen zu Rednertribünen, und die Weite der Landschaft öffnet Räume für innere Dialoge. Diese poetische Lesart der marschigen Geographie macht deutlich, wie Natur und Text ineinandergreifen.
VI. Föhr und Theodor Fontane
Die friesische Insel Föhr ist auf den ersten Blick kein klassisches Reiseziel für Fontane-Kenner. Dennoch hat Theodor Fontane 1891 auf Föhr Station gemacht und seine Reisebeobachtungen in Briefen und Notizen festgehalten. In Nieblum und Wyk lassen sich Spuren dieser Texte erwandern.
Die Route beginnt am Sandwall in Wyk, wo eine kleine Gedenktafel an Fontanes Aufenthalt erinnert. Der Weg entlang der Nordseeküste führt über alte Deichwege, Salzwiesen und vorbei an Goting, einem Fischerdorf, das in seinen lakonischen Beschreibungen zu neuem Glanz erwacht. Nieblum mit seiner malerischen Kirche, den Friesenhäusern und dem örtlichen Friesendom kann so im Geiste Fontanes erschritten werden.
Fontanes nüchterne, doch eindringliche Perspektive auf die Insellandschaft verleiht dem Spaziergang eine literarische Spannung: Die allgegenwärtigen Nordseewinde und das Spiel von Licht und Schatten in den Reetdächern werden zum Prolog eines imaginären Reiseberichts, den jeder Teilnehmende selbst weiterschreiben kann.
VII. Digitale und analoge Begleiter
Zu jeder Etappe können ergänzende Materialien hilfreich sein. In der Eutiner Landesbibliothek existiert eine umfassende Forschungsstelle für historische Reiseliteratur, die Originalberichte aus fünf Jahrhunderten bereithält. Auf der Webseite des Holsteinischen Schweiz Tourismus lassen sich GPX-Daten und Streckenpläne herunterladen, um GPS-gestützt die Wanderungen nachzuzeichnen. Für Lübeck existieren digitale Stadtpläne, die historische Gebäude mit literarischen Textauszügen verknüpfen. Audio-Guides und Hörbuch-Apps stellen Passagen aus „Schimmelreiter“, „Buddenbrooks“ und „Tonio Kröger“ zur Verfügung, während sich in Husum und Wesselburen thematische Veranstaltungen – etwa die Storm-Tage oder Hebbel-Feste – mit Vorträgen und Lesungen abwechseln.
Die literarische Reise durch Schleswig-Holstein macht deutlich, dass Lesen nicht nur im geschlossenen Buch stattfindet, sondern in Landschaft, Architektur und urbanem Raum weiterwirkt. Indem man Schlösser, Stadtviertel, Deiche und Inselpfade beschreitet, wird Literatur selbst zum begehbaren Text. Die vorgeschlagenen Routen lassen sich flexibel kombinieren und erweitern; jede Etappe kann als Ausgangspunkt für neue literarische Entdeckungen dienen. So bleibt die Reise ein lebendiges Unterfangen, bei dem die persönliche Erfahrung den Seiten gleichberechtigt Bedeutung verleiht.