Vom Küstenputz zur Klimaanzeige
Die auffällige Zunahme von Seetang an den Stränden ist kein Zufall, sondern Ausdruck zweier sich überlagernder Entwicklungen: Zum einen gelangen durch die intensive Landwirtschaft sowie durch Kläranlagen erhebliche Mengen Nährstoffe ins Meer – Stichwort Eutrophierung. Zum anderen erwärmt sich die Ostsee durch den Klimawandel deutlich schneller als viele andere Meere. Beides zusammen bietet ideale Bedingungen für das Wachstum von Braunalgen wie dem weit verbreiteten Blasentang.
Während dieser Seetang im Wasser durchaus eine ökologisch wertvolle Rolle spielt – etwa als Sauerstoffproduzent, Filter, Lebensraum und Nährstoffbinder – kann ein Übermaß zur Belastung werden. Im flachen Uferbereich führt das dichte Algenwachstum nicht selten zu Sauerstoffmangel, Trübung und Veränderungen der heimischen Biodiversität und bei Anschwemmen an den Stränden zu starker Geruchsbildung.
Ärgernis oder Alarmsignal?
Für den durchschnittlichen Strandgast ist der Seetang vor allem eines: lästig. Er schwimmt im Badebereich, klebt an den Beinen, riecht unangenehm, wenn er in der Sonne zu faulen beginnt. Was viele nicht wissen: Der meiste angespülte Seetang ist nicht gesundheitsschädlich. Das gilt zumindest für klassische Braunalgen. Anders sieht es bei Blaualgen (Cyanobakterien) aus, die bei hoher Konzentration toxisch wirken und ernsthafte Gesundheitsprobleme verursachen können – allerdings handelt es sich dabei um eine ganz andere, meist durch grünlich-bläuliche Schlieren erkennbare Organismengruppe.
Nicht jede braune Tangansammlung ist also ein Grund zur Sorge. Vielmehr liefert sie einen Fingerzeig auf Veränderungen im ökologischen Gleichgewicht der Ostsee – Veränderungen, die längst messbar sind und inzwischen sichtbare Spuren an unseren Küsten hinterlassen.
Quallen und Seetang
Übrigens: Auch das vermehrte Auftreten von Quallen in Küstennähe steht mit denselben Ursachen in Verbindung – Nährstoffüberschuss, Erwärmung und Sauerstoffmangel fördern indirekt ihre Ausbreitung. Seetang und Quallen sind also keine Gegner oder Ursache-Wirkung-Kette, sondern Ausdruck derselben gestörten Meeresdynamik.
Was passiert mit dem gesammelten Tang?
Viele Ostseebäder haben in den letzten Jahren ihre Strandpflege professionalisiert. Frühmorgens rollen heute vielerorts Maschinen wie der Seacleaner oder BeachTech über den Sand, um angespülte Algenmassen zu entfernen, bevor sie faulen oder das Badeerlebnis beeinträchtigen.
In Schleswig-Holstein nutzen Orte wie Timmendorfer Strand, Grömitz, Laboe, Eckernförde und Schönberg Traktoren mit Siebgeräten oder spezielle Strandreinigungsmaschinen wie den BeachTech.
Auch in Mecklenburg-Vorpommern – etwa in Warnemünde, Boltenhagen, Binz, Sellin und den Kaiserbädern auf Usedom – werden täglich maschinelle Reinigungen durchgeführt, teilweise mit eigens errichteten Lager- und Trocknungsplätzen für das gesammelte Material. Der „Seacleaner“, eine innovative Absaugtechnik für Algen im Flachwasser, wurde in Schleswig-Holstein erprobt, kommt bislang aber nur vereinzelt zum Einsatz. Ziel aller Maßnahmen ist die Kombination aus Tourismuspflege, Umweltverträglichkeit und hygienisch einwandfreien Badestränden.
Doch was passiert mit dem gesammelten Material?
Zunehmend wird der Seetang sinnvoll weiterverwendet. In Projekten wie COASTAL Biogas wird er etwa in Biogasanlagen eingespeist – eine klimafreundliche Verwertung, die dem Tang einen Platz im Energiekreislauf verschafft. Auch die Forschung arbeitet an weiteren Nutzungsmöglichkeiten: etwa in der Naturkosmetik, als düngerähnlicher Bodenverbesserer oder sogar als Zusatzstoff in Lebensmitteln.
Darüber hinaus investieren einige Gemeinden entlang der Ostseeküste in Renaturierungsprojekte, etwa zur Wiederansiedlung von Seegraswiesen wie in der Hohwachter Bucht. Diese gelten als ökologische Stabilisatoren des Flachwassers, verhindern Erosion, binden CO₂ und fördern die Rückkehr mariner Arten. Seetang ist in dieser Perspektive kein Abfall, sondern Teil eines lebendigen Kreislaufs.
Zwischen Naturlehrpfad und Klimabotschafter
Einige Seebäder nutzen die Gelegenheit, den wachsenden Algenbesatz als Anlass zur Aufklärung. Lehrpfade und Umweltstationen machen die ökologischen Zusammenhänge greifbar, erklären den Unterschied zwischen Seetang und Cyanobakterien, zeigen die Rolle des Tangwaldes im Küstenmeer – und führen den Besuchern vor Augen, wie sensibel das Gleichgewicht der Ostsee reagiert:
• Boltenhagen: Naturpfad mit Infos zu Seegras, Algen und ökologischer Bedeutung von Treibsel.
• Graal-Müritz: Ostseelehrpfad mit Info-Tafeln und Audio-Guide zu Meeresökologie, Seetang und Cyanobakterien.
• Heringsdorf/Usedom: Baumwipfelpfad mit Lernstationen und Führungen zu Küstenlebensräumen und dem ökologischen Gleichgewicht.
Was also als Störung empfunden wird, ist in Wahrheit ein hochrelevanter, wenn auch oft lästiger Indikator. Der Seetang am Strand ist primär kein hygienisches Problem, sondern ein ökologisches Symptom – einerseits Ergebnis menschlicher Eingriffe, andererseits Chance für neue Lösungen. In Zeiten des Klimawandels wird er so zum vielleicht unbequemen, aber lehrreichen Botschafter.
