Wie Worthülsen im Tourismus und in Reiseführern die Sinne vernebeln
Die Sprache des Versprechens – und der Täuschung
Ob in Reiseführern, Blogs oder Instagram-Posts: Touristische Texte überschlagen sich mit Superlativen. Orte sind nicht einfach schön, sondern atemberaubend, zauberhaft oder phantastisch. Jede Reise wird zum unvergesslichen Erlebnis, jedes Hotel zur Oase der Ruhe, jeder Strand ein Geheimtipp – auch wenn er längst überlaufen ist.
Diese Form der Schönfärberei ist kein Zufall, sondern Methode. Sie knüpft gezielt an romantisierte Sehnsüchte an – nach Entschleunigung, Exklusivität und echtem Erleben. Dabei wird mit Sprachklischees gearbeitet, die kaum noch Inhalt, dafür aber maximale emotionale Aufladung bieten. Es ist eine kalkulierte Illusion der Perfektion.
Zynismus im Reiseverkauf
Was nach freundlicher Werbung klingt, ist oft Ausdruck eines zynischen Mechanismus: Die Industrie spekuliert darauf, dass viele Konsumenten lieber glauben wollen, was schön klingt – selbst wenn es mit der Realität wenig zu tun hat. Wer vom Alltag erschöpft ist, sehnt sich nach einem Ort, der „verzaubert“. Dass die Hotelterrasse lärmig, das „versteckte Juwel“ längst in jedem Flugmagazin zu finden und das Frühstücksbuffet enttäuschend ist, wird erst vor Ort offenbar – zu spät.
So wird die emotionale Anfälligkeit von Konsumenten ausgenutzt. Man verkauft ihnen mehr Gefühl als Substanz – und nennt das dann Storytelling. Diese Strategie funktioniert, solange der schöne Schein nicht bricht.
Katalog der Floskeln
Einige Begriffe sind besonders auffällig – nicht nur durch Häufigkeit, sondern durch ihre Suggestivkraft.
Eine Auswahl überstrapazierter Formulierungen:
- Zauberhaft: Beliebig verwendbar – von Dorf bis Dinner. Klingt nach Magie, liefert selten mehr als Postkartenidylle.
- Atemberaubend: Oft bemüht, wenn Bildern die Worte fehlen – oder es tatsächlich an Sauerstoff mangelt (siehe Bergtouren).
- Phantastisch: Nichts Konkretes, alles Gefühl. Ein schwammiges Etikett für Beliebigkeit.
- Unvergesslich: Wird jede Woche tausendfach versprochen. Bleibt selten haften – es sei denn, es war wirklich schlimm.
- Abseits der ausgetretenen Pfade: Ironisch, da kaum ein Ort, der so beschrieben wird, wirklich unentdeckt ist.
- Kristallklares Wasser: Wird auch bei Sichtweiten von 1,5 m gerne verwendet.
- Nachhaltig: Inzwischen fast wertlos, wenn ohne Nachweis. Greenwashing lässt grüßen.
Die Enttäuschung ist programmiert
Je schöner das Bild, desto tiefer oft der Fall. Wer ein Paradies erwartet, wird vom Müll am Strand doppelt irritiert. Wer eine Boutique-Oase bucht und in einem umgebauten Wohnblock landet, fühlt sich betrogen. Die Diskrepanz zwischen Werbung und Wirklichkeit erzeugt nicht nur Frust, sondern auch Vertrauensverlust – gegenüber Marken, Reiseführern, Plattformen.
In sozialen Medien verstärken sich diese Erfahrungen: „Online Negative Destination Experiences“ verbreiten sich rasant. Ein enttäuschter Post erreicht mehr Menschen als jede Hochglanzkampagne – ein Risiko, das vielen Werbern bewusst ist, aber billigend in Kauf genommen wird.
Greenwashing und die Lüge vom ökologischen Gewissen
Besonders perfide ist die sprachliche Beschönigung im Bereich Nachhaltigkeit. Viele Hotels und Anbieter schmücken sich mit grünen Etiketten, obwohl weder Prozesse noch Lieferketten nachhaltig sind. Worte wie „umweltfreundlich“, „klimaneutral“ oder „nachhaltig geführt“ sind längst Teil eines Marketings, das gezielt auf das gute Gewissen der Reisenden zielt – oft ohne inhaltliche Substanz.
Ab 2026 gelten strengere EU-Regeln, die vage Umweltaussagen verbieten und Nachweise verlangen. Doch bis dahin bleibt der Wildwuchs ungebremst.
Künstliche Intelligenz – Verstärker oder Korrektiv?
KI kann Inhalte effizient produzieren – auch im Tourismus. Die Gefahr: Wenn sie mit denselben Worthülsen gefüttert wird wie Menschen, wird sie diese millionenfach vervielfältigen. Ohne redaktionelle Kontrolle entstehen automatisierte Schönfärbereien im industriellen Maßstab. Umgekehrt kann KI auch dabei helfen, Übertreibungen aufzudecken und faktenbasierte Empfehlungen zu formulieren – wenn sie entsprechend programmiert und eingesetzt wird.
Ein Plädoyer für Ehrlichkeit
Was bleibt, ist ein Appell – an die Branche und an jeden, der Inhalte für Reisende erstellt: Worte haben Macht. Wer sie leichtfertig oder strategisch manipulativ verwendet, verspielt Vertrauen. Was heute als zauberhaft angepriesen wird, soll morgen bitte auch genau das sein – nicht nur in der Sprache, sondern in der Erfahrung.