Der Eindruck von Transparenz – eine trügerische Sicherheit?
Unterkunftsbewertungen gehören heute zur Standardroutine bei der Reiseplanung. Wer ein Hotel, ein Apartment oder ein Ferienhaus buchen möchte, klickt sich durch die digitalen Bewertungsspiegel von Plattformen wie Booking.com oder Airbnb. Die Erwartung ist klar: Die Bewertung soll ein verlässlicher, objektiver Indikator für Qualität, Komfort und Seriosität sein. Doch in der Praxis ist dieses System längst alles andere als verlässlich. Was auf den ersten Blick wie demokratischer Verbraucherschutz aussieht, ist bei genauerem Hinsehen ein komplexes Zusammenspiel aus Psychologie, Plattforminteressen, kulturellen Unterschieden – und strategischer Täuschung.
Booking.com 2025: Neues Bewertungssystem, alte Probleme
Seit Anfang 2025 hat Booking.com das Berechnungsverfahren für den Gesamtbewertungsscore verändert. Neuere Bewertungen fließen deutlich stärker in den Score ein als ältere. Der Schritt soll nach Unternehmensangaben die Aktualität und Relevanz der Bewertungen verbessern. In der Praxis führt dies jedoch zu stärkeren Schwankungen und einer verzerrten Wahrnehmung, da wenige jüngste Bewertungen über Jahre alte Erfahrungswerte hinweg dominieren.
Ein weiteres Problem: Die quantitative Skala von 1 bis 10 ist zwar differenziert, wird aber inflationär gebraucht. Der durchschnittliche Score liegt heute laut Booking selbst bei etwa 8,6 von 10 – eine Zahl, die auf dem freien Markt bereits als „sehr gut“ empfunden wird. In Wahrheit handelt es sich aber oft nur um durchschnittliche Mittelklasse-Unterkünfte. Eine künstlich verschobene Bewertungsskala mit zu wenig Spielraum nach unten ist die Folge.
Airbnb: Emotion statt Objektivität
Airbnb bewertet mit fünf Sternen, ergänzt durch offene Textkommentare. Anders als bei Booking.com bewerten hier beide Seiten: Gäste und Gastgeber. Was ursprünglich als fair gedacht war, hat zu einer sozial aufgeladenen Rückkopplungsschleife geführt. Wer als Gast Kritik äußert, riskiert selbst eine negative Bewertung. Die Folge ist eine gewisse Schere im Kopf: Gäste geben milde Bewertungen ab, um keine Revanche zu provozieren. Umgekehrt verhalten sich Gastgeber strategisch, um den „Superhost“-Status zu halten, der für bessere Sichtbarkeit und Buchungszahlen sorgt.
Zudem zeigt sich auf Airbnb eine deutlich emotionalere Sprache: Häufige Begriffe in Fünf-Sterne-Bewertungen sind „herzlich“, „liebevoll“, „süß“, „gemütlich“ – nicht selten unabhängig von der realen Ausstattung. Man bewertet die Person, nicht das Produkt. Das Ergebnis ist eine Romantisierung der Realität, die für objektive Reisende schnell zur Enttäuschung wird.
Manipulation ist kein Einzelfall, sondern strukturell verankert
Beide Plattformen betonen regelmäßig, dass sie aktiv gegen Fake-Bewertungen vorgehen. In der Praxis ist das schwierig umzusetzen. Gerade bei privaten Unterkünften – und hier vor allem auf Airbnb – werden nach wie vor Bewertungen zwischen Bekannten getauscht, gegen kleine Geschenke „gekauft“ oder durch wiederholte Eigenbuchungen getarnt. Auch bei Booking.com existieren Fälle, bei denen nicht angereiste Gäste trotzdem bewerten konnten – oft mit verheerenden Folgen für kleine Anbieter.
Ein weiterer Aspekt: Negative Bewertungen verschwinden häufiger als man denkt – nicht durch direkte Löschung, sondern durch algorithmisches Verstecken. Bewertungen, die als „nicht hilfreich“ markiert wurden oder als „veraltet“ gelten, werden seltener angezeigt. Das Ranking favorisiert Anbieter mit guter Performance, langen Antwortzeiten und schnellen Reaktionen auf Beschwerden – selbst wenn deren reale Qualität zweifelhaft ist.
Der kulturelle Bias: Bewertet wird unterschiedlich – je nach Herkunft
Ein unterschätzter Aspekt sind kulturelle Unterschiede beim Bewertungsverhalten. Amerikaner und Südeuropäer neigen zu großzügigen Bewertungen und verwenden gern emotionale Superlative. Deutsche, Skandinavier oder Niederländer bewerten nüchterner, präziser – oft auch kritischer. Das verfälscht den Gesamteindruck bei international frequentierten Objekten. Eine „9,3“ auf Booking.com in Italien kann ein völlig anderes Niveau bedeuten als dieselbe Zahl bei einer Unterkunft in Finnland. Die Zahlen vergleichen sich nicht grenzübergreifend – ein strukturelles Problem für Reisende.
Warum schreiben Gäste (außer notorischen Querulanten) oft geschönte Bewertungen?
1. Soziale Rücksicht und Höflichkeit
Viele Gäste wollen Gastgebern – vor allem bei persönlichem Kontakt (Airbnb, kleinere Pensionen) – nicht schaden. Aus Mitgefühl oder Höflichkeit wird Kritik entschärft oder ganz weggelassen.
2. Psychologischer Selbstschutz
Nach dem Motto „Wenn ich viel bezahlt habe, muss es gut gewesen sein“ deuten Gäste ihre Erfahrung positiv um, um Fehlentscheidungen nicht eingestehen zu müssen (kognitive Dissonanz). Das betrifft übrigens alle Aspekte des Urlaubs, oft an erster Stelle das Wetter.
3. Angst vor Gegenreaktionen
Bei Airbnb bewerten sich Gast und Gastgeber gegenseitig. Das führt zu Selbstzensur, um negative Rückbewertungen oder Reputationsverluste zu vermeiden.
4. Plattform-Design und Bewertungspraxis
Plattformen wie Booking.com gestalten die Bewertungsaufforderungen emotional positiv, was Gäste unterbewusst zu milderen Urteilen verleitet. Negativbewertungen werden zudem algorithmisch benachteiligt.
5. Scham und Subjektivitätsdruck
Gäste vermeiden oft Kritik an „persönlichen“ Problemen (z. B. Lärm, Geruch, Sauberkeit), weil sie sich nicht kleinlich oder empfindlich geben wollen – oder weil sie glauben, solche Probleme beträfen nur sie selbst. Und wenn diese Punkte (zurecht) erwähnt werden, folgt häufig eine sofortige Relativieren wie „das machte aber nichts“ oder „das hat uns aber nicht wirklich gestört“, was jedoch nicht der Wahrheit entspricht, denn sonst hätte man es nicht geschrieben.
6. Harmoniebedürfnis
Viele Menschen scheuen Konflikte – auch in digitalen Bewertungen. Kritik zu äußern wird als Angriff empfunden und daher lieber unterlassen.
Die dunkle Seite der Superhosts und Preferred Partner
Sowohl Booking.com als auch Airbnb kennzeichnen „besonders zuverlässige“ Anbieter mit Labeln wie Preferred Partner oder Superhost. Diese Auszeichnungen verbessern die Sichtbarkeit, erhöhen das Vertrauen – und steigern die Buchungszahlen. Doch was nach Qualitätssiegel aussieht, ist oft rein algorithmisch definiert: Wer viel Umsatz generiert, gute Bewertungen erhält (aus welchen Gründen auch immer) und schnell auf Nachrichten reagiert, wird belohnt. Technische Professionalität ersetzt echte Gastfreundschaft. Die Folge ist ein rein kommerziell geprägtes Ökosystem, in dem die reale Wohnqualität zunehmend zweitrangig wird.
Was können Nutzer tun? Strategien gegen Täuschung
Angesichts dieser systemischen Verzerrungen empfiehlt sich ein bewusster und kritischer Umgang mit Bewertungen. Wichtiger als der Gesamtscore sind:
- Die Lektüre zunächst der negativen Bewertungen (und wie Gastgeber darauf reagieren)
- Wiederholte Kritikpunkte (z. B. „hellhörig“, „schimmeliger Geruch“, „schlechter Wasserdruck“)
- Realistische Erwartungen bzw. gesunde Skepsis bei extremen Topwertungen
- Der Abgleich mit anderen Plattformen (z. B. Google Maps, HolidayCheck, Tripadvisor)
- Nutzung von Streetview zur Prüfung von Lage und Umgebung
- Suche nach Fotos in Foren und Reiseforen außerhalb der Plattformen
- Tipp: Unterkünfte mit Bewertungen unter 8 Punkten (bei booking.com) nur in begründeten Ausnahmen in Erwägung ziehen!
Die beste Bewertung bleibt am Ende immer noch die eigene Erfahrung. Doch wer sorgfältig liest, zwischen den Zeilen erkennt und Plattformlogik versteht, kann zumindest enttäuschende Fehlgriffe vermeiden.