Eleganz, Heilwasser und Belle Époque
Wer zum ersten Mal nach Karlsbad kommt, spürt sofort den eigenwilligen Rhythmus der Stadt: In gemächlichem Tempo flanieren Kurgäste mit Porzellantassen in der Hand durch die Kolonnaden, trinken das berühmte Thermalwasser aus zwölf öffentlich zugänglichen Quellen – und folgen damit einem Ritus, der hier seit Jahrhunderten praktiziert wird. Das Kurwesen ist in Karlsbad keine Folklore, sondern gelebte Realität. Trotzdem ist die Stadt kein reines Sanatorium, sondern eine lebendige touristische Destination mit saisonalen Höhepunkten und einer beeindruckenden Architekturkulisse.
Ein Stadtbild wie gemalt
Das Zentrum Karlsbads erstreckt sich entlang des Flusses Teplá, der sich durch ein schmal eingeschnittenes Tal schlängelt. Links und rechts reihen sich Jugendstilvillen, klassizistische Bauten und neobarocke Hotels, deren Fassaden detailverliebt restauriert wurden. Die bekanntesten Bauten sind die fünf Kolonnaden – allen voran die prachtvolle Mühlbrunnenkolonnade, die wie ein antiker Tempel wirkt. Auch die Marktkolonnade aus weißem Holz im Schweizer Stil, die zwischen 1882 und 1883 errichtet wurde, gehört zu den markanten Wahrzeichen.
Ein Spaziergang entlang der Kurpromenade ist eine Reise in eine andere Zeit. Die prunkvollen Fassaden erzählen von den goldenen Jahren des Kurbetriebs, als ganze Sommerfrischen mit Butlern, Ärzten und Opernsängern hier eintrafen. Der mondäne Grandhotel Pupp – Schauplatz des James-Bond-Films Casino Royale – dokumentiert diese Vergangenheit in Stein gemeißelt.
Trinken – und verstehen
Im Zentrum des Kurprogramms steht die innerliche Anwendung des Heilwassers. Jede Quelle hat eine leicht unterschiedliche chemische Zusammensetzung und Temperatur – von rund 30 °C bis über 70 °C. Die bekannteste Quelle, der Sprudel (Vřídlo), schießt mit fast 15 Metern Höhe in einer Glaskuppel empor und dient auch zur Gewinnung des berühmten Sprudelsalzes.
Kurgäste trinken das Wasser in kleinen Mengen über den Tag verteilt – oft begleitet von ärztlicher Überwachung. Wer das Wasser probiert, wird überrascht sein: Es schmeckt deutlich mineralisch, manchmal gar rostig oder salzig. Trotzdem gehört der Trinkbecher – eine spezielle Tasse mit Schnabel – fast zum Pflichtgepäck für Karlsbad-Besucher. Auch wer keine Kur macht, darf probieren – aber es lohnt sich, sich über die Wirkungen zu informieren.
Zwischen Kur, Kultur und Kommerz
Karlsbad lebt nicht nur vom Wasser. Seit 1946 findet hier jährlich das Internationale Filmfestival Karlovy Vary statt – eines der bedeutendsten in Mittel- und Osteuropa. Dann verwandelt sich die Stadt in eine glamouröse Bühne für Schauspieler, Regisseure und Cineasten aus aller Welt. Wer zur Festivalzeit anreist, sollte unbedingt vorbuchen – und sich auf überhöhte Preise einstellen.
Darüber hinaus bietet die Stadt zahlreiche Museen und Galerien, etwa das Jan-Becher-Museum, das dem berühmten Kräuterlikör Becherovka gewidmet ist. Der Likör wird seit 1807 in Karlsbad hergestellt und war ursprünglich als „Karlsbader Magenbitter“ bekannt. Auch das Glasmuseum von Moser zeugt von einer weiteren regionalen Spezialität: In der Manufaktur Moser wird seit über 160 Jahren hochwertiges Bleikristall in aufwändiger Handarbeit gefertigt.
Kulinarik und Kaffeehauskultur
Die Gastronomie in Karlsbad ist vielfältig und reicht von klassischen böhmischen Gerichten wie Svíčková (Rinderlende in Sahnesauce) über Wild und Fisch bis zu feiner Patisserie. Besonders beliebt sind die Karlsbader Oblaten – dünne Waffelscheiben, oft warm serviert, mit Nuss- oder Vanillefüllung. Sie sind auch ein beliebtes Souvenir.
Wer sich eine Pause gönnen möchte, findet entlang der Promenade stilvolle Cafés mit nostalgischem Flair. Das Café Elefant, das Savoy oder das Café Pupp im gleichnamigen Hotel bieten gepflegte Salonatmosphäre – nicht selten mit Live-Klaviermusik am Nachmittag. Preise sind moderat bis gehoben, das Ambiente oft filmreif.
Praktische Hinweise für Erstbesucher
Karlsbad liegt etwa zwei Stunden westlich von Prag und ist von Deutschland aus über die A93 und E48 gut erreichbar. Busverbindungen existieren aus Prag, Eger (Cheb) und Marienbad. Die Anreise mit dem Zug ist zwar landschaftlich reizvoll, aber umständlich. Vor Ort lässt sich vieles zu Fuß oder per Taxi erreichen; das Stadtzentrum ist weitgehend verkehrsberuhigt.
Die beste Reisezeit ist zwischen Mai und Oktober, wobei Juli und August Hochsaison bedeuten. In den Wintermonaten ist die Stadt ruhiger – der Kurbetrieb läuft dennoch weiter. Viele Hotels bieten ganzjährig Kurarrangements, oft inklusive ärztlicher Betreuung und Anwendungen. Empfehlenswert sind Aufenthalte ab einer Woche, um vom Wasser und dem entschleunigten Rhythmus zu profitieren.
Ein Ort für alle Sinne
Karlsbad ist kein Ziel für Eilige. Die Stadt entfaltet ihre Wirkung am besten, wenn man sich ihrem Tempo anpasst. Zwischen Kolonnaden, Trinkkuren und Spazierwegen durch die waldreiche Umgebung vergisst man leicht, dass man in einem EU-Mitgliedsstaat mit Highspeed-Internet und moderner Infrastruktur unterwegs ist. Karlsbad bietet ein Stück kontinentaleuropäischer Kurkultur in Reinform – mit authentischem Charme und einer Prise Grandezza, die anderswo längst verloren ging.
Weiterführende Websites:
- www.karlovyvary.cz – offizielles Tourismusportal
- www.filmfestival.cz – Filmfestival Karlovy Vary