
Schweizer Freiheitstradition und Sprache
Die Schweizer Eidgenossen: Warum sie sich so nennen? Das geht zurück auf den Rütlischwur, einen Eid, den die ersten Eidgenossen 1271 leisteten, indem man sich gegen die Habsburger Landesherren verbündete. Jedes Jahr am Nationalfeiertag, dem 1. August wird des Rütlischwurs gedacht. Generationen von Schülern wurde das Ereignis durch Friedrich Schillers Wilhelm Tell nahe gebracht.
Das Schweizerdeutsch als eine von vier Amtssprachen: „Grüezi mitenand.“ Wohl jedes noch so kleine Örtchen hat seinen eigenen Dialekt – die Einheimischen können durch ihre Mundart sofort ihre Herkunft ziemlich genau identifizieren. Hochdeutsch hat in der deutschen Schweiz den Rang einer Fremdsprache. Übrigens sagt man in der Schweiz grillieren und nicht grillen und das Auto wird parkiert. Na dann: „Uf Wiederluege.“
Schweizer Literatur: Ihre erste Begegnung mit der Schweiz hatten viele Nicht-Schweizer bereits im zarten Kindesalter durch Johanna Spyris Heidi, entweder als Buch oder durch eine der zahlreichen Verfilmungen. Heidi ist die Alpensaga schlechthin, in 50 Sprachen übersetzt und `zig Millionen Mal verkauft. Weitere Schriftsteller, die über die Schweizer Grenzen hinaus Ruhm erlangt haben, sind Friedrich Dürrenmatt, Max Frisch, Urs Widmer, Martin Suter, Peter Bichsel und Annemarie Schwarzenbach. Der Stern am Komödiantenhimmel ist seit den 1970er Jahren Emil Steinberger.

Die schweizerische Mentalität: Die Schweiz existiert als älteste Demokratie der Welt friedlich vor sich hin – dank der Kompromissfähigkeit der Bevölkerung und des Konkordanzsystems. Eidgenossen gelten als pragmatisch, nüchtern und fleißig. Dementsprechend ist das Land eher bekannt für hervorragende Geschäftsleute und gute Architekten, Freundlich und hilfsbereit, aber etwas distanziert – so seien die Schweizer. Ein starker Föderalismus ist dafür verantwortlich, dass in der Schweiz alles aus der lokalpolitischen Perspektive wahrgenommen wird: So mag die als überheblich und vorlaut geltenden Zürcher niemand so wirklich, vor allem die Basler nicht; Bernern sagt man nach, etwas träge und bedächtig zu sein, und die Aargauer sind das schweizerische Pendant zu den Ostfriesen in Deutschland, während die italienisch parlierenden Tessiner als ausnehmend temperamentvoll gelten. Der „Röstigraben“ meint eine Art kulturelle Grenze, welche die deutsch- (eher konservative) und die französischsprachige (mehr urban und kosmopolitisch angehauchte) Schweiz voneinander trennt. Überall in der Schweiz gelten die Bewohner als sehr pünktlich und kommt ein Zug auch nur eine Minute zu spät, steht wildes Fluchen an der Tagesordnung. In der Regel kann man aber seine Uhr nach der Abfahrt der Züge stellen.

Schweizer Brauchtum: Schwingen ist der inoffizielle Nationalsport der Eidgenossen, dabei handelt es sich um eine Variante des Ringens – im Rahmen des alle drei Jahre stattfindenden Schwing- und Älplerfests kann man dieser Tradition, bei der nach absolviertem Ringen eine überdimensional große Kuhglocke herumgetragen wird, beiwohnen. Ein weiterer Nationalsport ist das Hornussen, eine schweizerische Abwandlung des Baseball-Spiels. Bekannt ist auch das von den Engländern importierte Eispolo in St. Moritz. Das Zürcher Sechseläuten findet im April statt und soll den Winter austreiben, beim Morgestraich zum Auftakt der Basler Fasnacht wird nach dem Aschermittwoch montags um vier Uhr frühmorgens die Innenstadt komplett dunkel.
Schweizer Symbol: Das weiße Kreuz auf rotem Grund war ursprünglich ein eidgenössisches Erkennungszeichen und wurde später als Wappen übernommen. Seit 1889 ziert es offiziell die Schweizerfahne (hier heißt es nicht „Flagge“). Das Rote Kreuz auf weißem Grund als Symbol des internationalen Rettungsdienstes ist ebenfalls Schweizer Ursprungs. Henry Dunant hat es 1983 in seiner Heimatstadt Genf gegründet. Auch viele schweizerische Produkte erkennt man an dem Fahnenmotiv, wie zum Beispiel das Schweizer Offiziersmesser von den Firmen Victorinox oder Wenger. Die bedeutendsten Hersteller hochwertiger Uhren findet man in der Schweiz. Die bekannteste Marke ist Rolex.
Die direkte Demokratie: In der Schweiz regiert das Volk, de jure verfügt sie über keinen Regierungschef und auch keine Hauptstadt. So wird selbst über Einzelfragen wie über die Müllsackfarbe abgestimmt. Dies täuscht aber nicht darüber hinweg, dass das Wahlrecht für Frauen erst 1971 eingeführt worden ist.
Schweizer Neutralität: Die Schweiz hat sich seit über 200 Jahren an keinem bewaffneten Konflikt zwischen anderen Staaten mehr beteiligt. Bekannter als das Schweizer Militär ist daher eher die Schweizer Garde, die im Vatikan so etwas wie die Hauspolizei darstellt, und das schon seit über 500 Jahren.

Schweizer Küche: Kulinarisch hat die Schweiz bis weit über ihre Grenzen Berühmtheit erlangt. Für die Schweizer stellt ihr Nationalgericht, das Käsefondue, eine ausgewogene Mahlzeit dar. Traditionell werden dazu diverse Käsespezialitäten wie Appenzeller, Emmentaler, Greyerzer und Tilsiter, eingeschmolzen und mit darin eingetauchten Brotstücken verzehrt. Genauso beliebt ist das Raclette. Riesige Käselaibe werden auf einem Tischgrill angeschmolzen und der flüssige Käse heruntergeschabt. Oder man nimmt einen Racletteofen, in den man kleine Pfännchen mit Käsescheiben schiebt. Dazu gibt es Kartoffeln und Silberzwiebeln und Pfeffer. Eher etwas für die nicht-vegetarische Fraktion ist das Bündner Fleisch, luftgetrocknetes, mageres Rinderfleisch aus der Keule, das hauchdünn geschnitten wird. Berner Rösti und Züricher Geschnetzeltes sind ebenso verbreitet. Als Nachspeise mundet dann ein Stückchen Schokolade von einem der bekannten Schweizer Schokoladenhersteller, zu deren bekanntesten Lindt und Toblerone gehören. Wer an Husten leidet, greift aber besser zu Ricola, den würzigen Kräuterbonbons aus der Schweiz. Das Birchermüsli aus Nüssen, Getreide und Jogurt stammt ursprünglich ebenfalls aus der Schweiz, Dr. Bircher hat dieses heilende Rohkostgericht einst kreiert.
(Elisabeth Pfurtscheller)

Gewusst? Ein beträchtlicher Teil der Schweizer Berge ist ausgehöhlt: Über 8.000 Bunker dienen für Armee und Zivilschutz im Falle eines Kriegsereignisses. Diese sind raffiniert in die natürliche Umgebung integriert: Sie sehen aus wie altmodische Wohnhäuser oder verstecken sich hinter Felsen. Per Gesetz müssen alle Schweizer einen eigenen Luftschutzraum mit Luftfilter oder wenigstens Zugang zu einem solchen Raum haben – mit über 300.000 Schutzräumen sind alle Einwohner bei einem Angriff geschützt. Außerdem gibt es mehr als 1.500 Seen im Land und so ist man niemals mehr als 16 Kilometer von einem entfernt. Deshalb generiert die Schweiz auch 60 Prozent des Stroms mittels Wasserkraft. Und übrigens steht die Schweizer Luftwaffe ausschließlich zu den üblichen Bürozeiten zur Verfügung – ein Angriff vor acht Uhr am Morgen ist also nicht erwünscht. Übrigens gibt weltweit lediglich zwei quadratische Landesflaggen, neben dem Vatikan hat die Schweiz eine solche: Bei den Olympischen Spielen ist aber eine rechteckige Ausgabe davon zu sehen, auch wenn eine Handelsflotte unter Schweizer Flagge in internationalen Gewässern fährt, wird die spezielle rechteckige „Schweizer Flagge zur See“ verwendet. Außerdem verzeichnet sie den weltweit höchsten Konsum an Cannabis: Schätzungsweise werden jährlich an die 100 Tonnen Haschisch verraucht. In der Schweiz ist es per Gesetz verboten, Meerschweinchen einzeln zu halten – es müssen mindestens zwei sein. Aus diesem Grund gibt es auch spezielle Meerschweinchen-Vermittlungsagenturen, die für ein verwitwetes Tier einen Partner findet, wenn man kein neues kaufen möchte. Sollte das zweite Meerschweinchen auch sterben, ist es möglich, das gemietete wieder zurückzubringen. In der Schweiz befindet sich zudem der kleinste Rebberg der Welt – stolzer Besitzer der drei Reben des 1,67 Quadratmeter umfassenden La Vigne à Farinet im Wallis ist der Dalai Lama. Nur zwei Prozent des in der Schweiz konsumierten Weines wird exportiert. Die Mutter von James Bond stammt aus der Schweiz. Als Albert Einstein seine Relativitätstheorie publizierte, war er beim Patentamt Bern angestellt. In Bern gibt es einen Brunnen, den man als Kindlifresserbrunnen bezeichnet – den genauen Grund kennt man nicht.
Was ist typisch schweizerisch? II *
Direkte Demokratie und Meinungsäußerungsfreiheit sind die wichtigsten Grundsäulen der Schweiz. Nur gehen manchmal auch andere Prinzipien vor. Dies musste eine Holländerin erfahren, welche sich gegen Kuhgeläute gewehrt hatte, weshalb ihr in der Gemeinde zweimal die Einbürgerung verwehrt wurde. Daraus abzuleiten, Kuhglockengeläute gehe den erwähnten Grundprinzipien vor, wäre allerdings zu vermessen.
Zum besseren Verständnis der schweizerischen Eigenart seien folgende geschichtlichen Ereignisse hervorgehoben:
Die verlorene Schlacht bei Marignano am 14. September 1515 in der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen den Eidgenossen und dem Königreich Frankreich um das Herzogtum Mailand, das von den Eidgenossen zeitweise beherrscht wurde, beendete die Expansionsbestrebungen der Eidgenossenschaft. Deren Doktrin war fortan, sich „nicht mehr in fremde Händel“ einzumischen.
1803 wurden im Zuge der Napoleonfeldzüge durch die Schweiz alle Untertanengebiete zu gleichberechtigten Kantonen erhoben.
1815 wurden im Wiener Kongress die äußere Grenze der Schweiz und deren Neutralität anerkannt.
1848 erhielt die Schweiz eine Bundesverfassung, welche erst vor einigen Jahren erneuert wurde.
Föderalismus, Neutralität und die Doktrin, sich nicht in fremden Ländern einzumischen und sich bis zu einem gewissen Grad zu isolieren, sind die Doktrin der Schweizer Politik bis zum heutigen Tag geblieben. Die Schweiz ist ein Mehrvölkerstaat. Deutsch-, Französisch-, Italienisch- und Romanischsprachige leben in einem Staat zusammen. Gemeinden und Kantone sind relativ autonom. Kontinuität und Stabilität zeichnen die Schweiz seit 1848 aus. Erst 1971 wurde das Frauenstimmrecht eingeführt.
Vor diesem Hintergrund sind viele Eigenarten erklärbar, so, dass die Schweiz außenpolitisch neutral bleiben will, dem „principe de l’oportunité“ treu bleibt, der EU fernblieb und teils langwierige Entscheidprozesse erleiden muss, weil die einzelnen Regionen und die sprachlichen Minoritäten Entscheidungen mitzutragen haben. Sie ist relativ bewahrend und konservativ – Eigenschaften, welche ihre Stärken und zugleich ihre Schwächen ausmachen. So ist sie absolut kein Experimentierlabor und Neues darf sich durchaus vorerst im Ausland bewähren, bevor es in der Schweiz für gut befunden wird. Andererseits sind die Verlässlichkeit der Schweiz, ihre Kontinuität und Stabilität und die Tatsache, dass sie vor Unruhen und Kriegen verschont blieb, Hauptgründe für den sprichwörtlichen Wohlstand dieses ursprünglich sehr armen Landes ohne Bodenschätze. Dabei mag ihre geostrategische Lage im Zentrum Europas ebenso eine Rolle für ihre Prosperität gespielt haben, wie auch eine hohe Produktivität und das verhältnismäßig reibungslose Funktionieren von Staat und Wirtschaft. Es darf aber nicht heruntergespielt werden, dass in der Schweiz debattiert und gestritten wird wie in anderen Ländern auch.
Bei alledem ist festzustellen, dass das Klima dieses Landes durchaus fruchtbar ist für das Wachstum von freiem Geist, Kreativität und Entdeckertum. So hat schon die Reformation wesentliche Impulse durch den Genfer Calvin und den Zürcher Zwingli und die Französische Revolution durch Jean-Jacques Rousseau erhalten. Henry Dunant war der Gründer des Roten Kreuzes. 28 Nobelpreisträger vorwiegend aus Chemie und Medizin waren Schweizer. Das Land rangiert laut Statistik des EPA bei den Patentanmeldungen weltweit auf dem sechsten Platz, nach den viel größeren Nationen USA, Deutschland, Japan, Frankreich und China. Piccard war der erste Weltumfahrer mit einem Heißluftballon, sein Großvater Träger des Tiefseetauchrekordes, und Bertarelli hat mit seiner Alinghi einige Male den America’s Cup, die prestigeträchtigste Hochseeregatte der Welt, gewonnen, obwohl die Schweiz ein Binnenland ist. Sie produziert mithin nicht nur „Kuckuck clocks“, aber auch solche nebst Rolexuhren und Swatches. Die chemische und die Präzisionsindustrie sind Weltspitze. Der längste Eisenbahntunnel der Welt führt durch den Gotthard, ist 57 km lang und in nur 17 Jahren, ein Jahr früher als geplant, fertiggestellt worden. Die Schweiz ist in Sachfragen sowie im administrativen Bereich durchaus zupackend und pragmatisch. Deutsche Politiker haben angesichts der Probleme mit dem neuen Flughafen Berlin oder dem Bahnhof Stuttgart 21, mittlerweile heißt es Stuttgart 25, die Eröffnung des Gotthardtunnels wehmütig zu Kenntnis genommen.
All dies sind die Gründe, weshalb die Schweiz im Ausland manchmal bewundert, mitunter aber auch belächelt wird. Hin und wieder spürt man auch einen gewissen Neid durchschimmern.

Die Deutschschweizer sind ähnlich wie die Deutschen und doch anders. Sie sind Südalemannen und sprechen Schweizerdeutsch, einen südalemannischen Dialekt. Die französischsprechenden Welschschweizer verwenden ein Französisch wie die Franzosen jenseits des Jura, allerdings mit gewissen Abweichungen im Wortgebrauch, die Tessiner sprechen wie die Italiener in der Lombardei und im Piemont, wobei selbst ihr Dialekt jenen Mundarten gleicht. Im Rätoromanischen gibt es vier Hauptdialekte, die alle mit den Dialekten im Friaul und den Dolomiten verwandt sind. Doch im Gegensatz zu jenen in Italien sind sie als vierte offizielle Landessprache der Schweiz, Rätoromanisch, anerkannt, werden in der Schule unterrichtet und haben eine eigene Presse, eigenes Radio und Fernsehen. Diesbezüglich ist die Schweiz das Land der feinen Unterschiede und dies streichen ihre Bewohner auch gerne hervor. „Es ist in jedem Kanton verschieden“, erklären Schweizer als Erstes auf die Frage, wie etwas in der Schweiz läuft.
Vereinfacht gesagt ist das Land eine direkte Demokratie auf drei Stufen, Gemeinden mit relativer Gemeindeautonomie, Kantonen und Bund. Gewählt werden auf Bundesebene nur die zwei Legislativkammern des Parlamentes, nicht aber die Minister, oder ein Präsident. Erstere werden von den zwei Bundeskammern gewählt. Den Bundespräsidenten wählen die Minister unter sich im Einjahresturnus. Die Minister, Bundesräte genannt, werden proportional zu den Parteistärken gewählt, möglichst aus allen Regionen der Schweiz, aus möglichst allen Sprachgebieten und neu sollen möglichst gleich viele Frauen wie Männer Bundesrätinnen und -räte werden, was bei sieben Mitgliedern allerdings nicht gelingen kann. So lautet die sogenannte Zauberformel. Damit sollen jede Partei, jedes Sprachgebiet, jede Region und jedes Geschlecht an der Regierung beteiligt sein und es soll zur Zufriedenheit aller regiert werden. Populistische Regierungen werden somit faktisch verunmöglicht. Aber es gibt auch keine starke Oppositionspartei. Widerstand erfolgt meist nur von kleinen, nicht an der Regierung beteiligten Splitterparteien. Das Schweizervolk stimmt auf kommunaler, kantonaler und selbst auf Bundesebene über viele Sachfragen direkt ab. Auf Bundesebene ist in der letzten Zeit über „Grundlohn für alle“, das „Recht der Kühe, Hörner zu tragen“, den Bundesbeschluss über die Velo- sowie Fuß- und Wanderwege, die „Fairfoodinitiative“, über „für Schweizer Recht statt fremde Richter“ usw. abgestimmt worden. Man sieht, es geht dabei nur zum Teil um Weltbewegendes.
Meist funktioniert der Staat so gut wie die Schweizerischen Bundesbahnen oder eine Omega Uhr. Sand im Getriebe scheut der Schweizer wie der Teufel das Weihwasser. Und das wissen auch viele Ausländer zu schätzen. Sie betrachten die Schweiz als „safe haven“, für sich und ihr Geld. Arbeitnehmer aus dem Ausland sehen, dass die Schweizer Lohntüte, oder das „Lohnsäckli“, wie der Schweizer sagt, besser gefüllt ist als jene in ihrem Heimatland. Später, nach der Übersiedlung merken sie dann, dass die Lebenskosten auch viel größere Löcher ins „Säckli“ hineinreißen als da, wo sie herkommen. Trotzdem bleibt die Schweiz auch ein Immigrationsland. Sie hat weltweit einen der höchsten Ausländeranteile überhaupt. Hier wohnen bei einer Totalbevölkerung von neun Millionen über zwei Millionen Ausländer, das sind gegen 25 Prozent, wovon auch ein guter Teil aus Deutschland stammt.

Für Deutsche erscheint die Schweiz besonders attraktiv, weil sie sprachlich und kulturell sehr ähnlich ist. Der Einwanderer aus Deutschland darf aber die Unterschiede doch nicht unterschätzen. Zwar spricht jeder Schweizer einigermaßen Schrift-, wenn auch nicht Hochdeutsch, aber selbst sprachlich gibt es Missverständnisse. Wenn der Schweizer sich der Schriftsprache bemüht und bei seiner samstäglichen Einkaufstour in Konstanz oder Lörrach (D) die Verkäuferin fragt: „Könnt ich noch en Sack haben?“, weiß diese nicht, was gemeint ist, und antwortet nach langem Zögern und Zaudern: „Ach so, ne Tüte.“ Für den Schweizer gibt es mehr Säcke als für den Deutschen, so ist das Taschenmesser ein „Sackmesser“, die Hosentasche „dä Hosesack“. Deutsche in der Schweiz verstehen am Anfang nichts, wenn der Schweizer sagt: „I gang go poschte“, oder sie meinen, der Schweizer gehe auf die Post, aber dieser will sagen, er gehe einkaufen. „Kittel“ ist für den Schweizer kein Übergewand für die Arbeit, sondern ein Sakko. Aber das sind noch die kleineren Probleme, die dem Deutschen in der „Diaspora“ widerfahren. Viele Deutsche mögen ihre neue Wahlheimat, aber häufig hört man sie auch klagen, die Schweizer seien nicht so offen und direkt, sie seien verklemmt, duckmäuserisch und sie laden Gäste aus dem Ausland nicht schnell zu sich ein, sie seien nicht großzügig und blieben lieber unter sich. Dies mag zum Teil zutreffen. Sicher sind die Schweizer nicht so direkt wie die Deutschen, sie sind vielleicht auch sprachlich gehemmter, weil Deutsch für sie fast so etwas wie eine Fremdsprache ist und sie sich auf Hochdeutsch schwerfälliger ausdrücken. Sie sind oftmals auch eher bescheiden und zurückhaltend, was negativ aufgefasst werden kann. Dafür zeigen sie, wenn sie das nötige Kleingeld dafür besitzen, ihre extravertierte Seite am Sonntagmorgen, beim Ausführen der Pferde ihrer Kutschen auf den nicht temporegulierten süddeutschen Autobahnen oder bei ihren samstäglichen Einkaufsorgien in deutschen Supermärkten zum Leidwesen der Einheimischen. Seit einiger Zeit nimmt die Kaufkraft des Schweizer Frankens allerdings wieder etwas ab, die Schweizer sind endlich weg, aber schon vermissen die Deutschen sie.
Schweizer duzen sich schnell und manch ein Deutscher ist überrascht, wenn ihm plötzlich das Du angetragen wird. Richter und Anwälte duzen sich, manchmal selbst in Gerichtspausen. Allgemein ist der Umgang mit Ämtern eher formloser als in Deutschland. Ämter sind oft kooperativer und kundenfreundlicher und entwickeln häufig einen Helferinstinkt, was bei Übersiedlern gut ankommt. Besondere Ämter, wie die Wirtschaftsförderungs- und Steuerämter, welche Steuererleichterungen für Neuinvestoren gewähren, leisten dazu einen wesentlichen Beitrag.
Der Schweizer liebt, vielleicht, weil sein Land so klein ist, den Diminutiv: „Hüüsli“ für Toilette; „Gärtli“ für Garten; „mini Chli“, meine Kleine, benannten sie früher oft ihre Freundin.
In den Halbkantonen Appenzell besteht ein Nacktwanderverbot. Der Straftatbestand ist „unanständiges Benehmen“. Der Kanton Appenzell-Innerroden ist gut katholisch und eben kein FKK-Strand.
Bis vor Kurzemkurzem musste in jedes neugebaute Einfamilienhaus ein Atombunker eingebaut werden.
Der militärpflichtige Schweizer nimmt nach dem jährlichen Wiederholungskurs sein halbautomatisches Sturmgewehr mit Munition in einer bierdosenähnlichen Verpackung nach Hause und stellte bis vor einigen Jahren beim Warten auf den Zug sein Gewehr vor das Bahnhofbuffet, während er drinnen mit Kollegen sein Bier genoss.
Wanderwege werden mit Luftgebläse gereinigt.
Auf dem Land ist in Hofläden der Selbstzahlungsverkauf ohne Kontrolle basierend auf Vertrauensprinzip üblich.
Die Schweizerfahne ist quadratisch und nicht rechteckig wie die Flaggen sonst überall in der Welt.
Die Schweiz ist verbunden mit dem weiblichen Artikel, wie z. B. die Türkei und die Mongolei.
Volksabstimmungen auf Gemeindeebene und in einigen Kleinkantonen erfolgen in der Vollversammlung des Volkes durch Handerheben.
Im Kanton Appenzell-Innerrhoden weist sich der Stimmbürger für die sogenannte Landsgemeinde, die auf dem Dorfplatz in Appenzell stattfindet, mit dem Säbel (Degen) aus.
Diese anekdotische Kurzliste zeigt vieles über den Charakter dieses Landes und dessen Bewohner auf, es gäbe darüber noch vieles zu berichten. Hier wurde nur ein kurzer Überblick gegeben.
Der einleitend beschriebenen Holländerin ist die Einbürgerung in der Schweiz dann doch noch gelungen. Sie feierte ihren Sieg gegen die Engstirnigkeit, indem sie sich, jetzt Schweizerin, eine Kuhglocke umhängte und an ihrem Hals baumeln ließ und stolz den Schweizerpass in der Hand hielt. Sie wurde damit zur richtigen Schweizerin. Ihre Meinungsäußerungsfreiheit war also doch gewährleistet.
(Jürg Kugler)
Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch:

Alle Iren haben rote Haare
Länderklischees und die Wirklichkeit
von Elisabeth Pfurtscheller und Hartmut Ihnenfeldt
Herausgeber: Reisebuch Verlag
Taschenbuch: 290 Seiten
ISBN-10: 3947334389
ISBN-13: 978-3947334384
Preis Taschenbuch: 13,80 Euro
Preis E-Book: 6,99 Euro
Online bestellen als Taschenbuch bei*:
amazon.de
Online bestellen als E-Book bei*:
amazon.de
thalia.de
hugendubel.de
geniallokal.de
Dieses Buch enthält für jedes der 24 ausgewählten Länder ein Kapitel über dessen traditionelle Gerichte sowie ein bis zwei einfache Rezepte zum Nachkochen.
* Diese Links sind Partnerlinks – Sie bestellen und bezahlen den ganz normalen Preis, wir bekommen eine kleine Vermittlingsprovision.
Diese hilft uns, die Seite weiter zu betreiben.