Wer ist Burmane, wer Burmese?
Myanmar ist eine willkürliche Schöpfung burmesischer Könige und britischer Kolonialherren, die sich über bestehende natürliche, kulturelle, religiöse oder ethnische Zusammenhänge wenig Kopfzerbrechen machten. Die britische Kolonie Burma war der direkten Herrschaft Britisch-Indiens unterstellt. Während Burma Proper, also Nieder- und Oberburma, der strengen Aufsicht der britischen Kolonialverwaltung unterlagen, genoss das Outer Burma, nämlich die Grenzgebiete, in denen die zahlreichen Minderheiten lebten, eine begrenzte Autonomie. Aus diesen Minderheiten rekrutierte die Kolonialarmee ihre Soldaten, mit deren Hilfe sie Burma Proper und die Burmanen kontrollierte.
Mit dieser Politik des Divide and Rule schürten sie geschickt die Feindseligkeiten zwischen der burmanischen Mehrheit und den ethnischen Minderheiten in den umliegenden Grenzgebieten. Heute verfügt das Land über vierzehn Verwaltungsbezirke, davon sieben divisions, in denen die Volksgruppe der Burmanen vorherrscht, und sieben states, die – so ist es jedenfalls gedacht – die sieben größten ethnischen Minderheiten repräsentieren: Die Shan, Kachin, Mon, Chin, Rakhine, Kayin (Karen) und Kayah (Karenni).
Die sieben Divisionen haben eine gemeinsame Basis, was die Kultur, die Sprache, die Religion, die Tradition und die königliche Geschichte anbelangt, die insgesamt als „burmanisch” gelten. Hinsichtlich der Staaten besteht ein wesentliches Problem darin, daß es viele ethnische Splittergruppen gibt, die keinen eigenen Staat besitzen.
Die Shan beispielsweise, die in der Union of Myanmar eine Minderheit darstellen, sind in ihrem eigenen Staat zwar in der Mehrheit, müssen ihn aber mit anderen Minderheitengruppen wie den Pa-O oder den Wa teilen, die weder Burmanen noch Shan sind. Eine Übersicht im Kartenteil des Buches zeigt den Anteil der wichtigsten ethnischen Gruppen an der Gesamtbevölkerung von Myanmar (siehe letzter Farbteil).
Die Gelehrten streiten noch über die Kriterien zur Standardisierung ethnischer Definitionen, die in der Tat ein ziemlich kompliziertes Thema sind. Ich bin jedoch überzeugt, daß die raschen Fortschritte auf dem Gebiet der Genforschung, etwa bei der Möglichkeit von DNA-Analysen, in der nächsten Zukunft erlauben
werden, die Ursprünge ethnischer Gruppen und ihre Verwandtschaft mit anderen Gruppen zu identifizieren. Heute machen wir die Klassifikation ethnischer Gruppen gewöhnlich an Sprachmerkmalen fest. Doch die Schwierigkeiten der Zuordnung werden dadurch noch erhöht, daß jede ethnische Gruppe aus mehreren Untergruppen bestehen kann und es viele geographische Überschneidungen der Siedlungsräume gibt. In Myanmar beispielsweise leben zahlreiche Karen in den burmanischen Bezirken, mehrere Shan-Gruppen sind im Kachin Staat zu Hause, und viele Kachin haben sich im nordöstlichen Shan Staat niedergelassen. Obgleich man annehmen könnte, der Gedanke unterschiedlicher Ethnien wäre eine einfache Angelegenheit, bekommt man auf Fragen wie „Woran erkennt man einen Kachin?” oder „Welche lokalen Stämme sind Kachin?” jedes Mal eine andere Antwort. Stämme bestehen oft aus verschiedenen Clans, und die Loyalität des Einzelnen gilt zunächst seinem Clan, dann vielleicht seinem Stamm und zuletzt dem Zentralstaat. Der örtliche Führer entscheidet, wem sich der Clan verpflichtet fühlt. Unter ethno-linguistischen Gesichtspunkten werden in Myanmar siebenundsechzig anerkannte einheimische Volksgruppen mit rund zweihundert Sprachen und Dialekten unterschieden, die jedoch alle den folgenden vier großen Sprachfamilien angehören:
• der sinotibetischen Sprachfamilie, die sowohl Chinesisch als auch die tibetoburmanischen Sprachen umfaßt;
• der Dajak-Sprachgruppe, einschl. die Thai- und Shansprachen;
• der austroasiatischen Sprachfamilie mit Mon-Khmer-Sprachen;
• der austronesischen Sprachfamilie, die in Myanmar nur durch eine sehr kleine ethnische Minderheit, die im Süden lebenden Moken (auch sea gypsies genannt), vertreten ist.
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