"Die Nacht aus dem Meer ist eine Padaukblüte" von Zaw Zaw Aung

<<< Vorherige Seite

 

Ein Haus ist etwas zum Wohnen. Nach ihrer Meinung gibt es zwei beste Orte, ein Haus zu bauen. Der eine ist auf einem Berg, der andere auf dem Grund einer Schlucht. Ein in der Ebene gebautes Haus ist nicht interessant, sagt sie. Beim Haus auf dem Berg zum Beispiel ist es so: Nachdem man den ganzen Tag gearbeitet hat und abends heimgeht, kann man es von weitem sehen. Um es zu erreichen, muss man hinaufsteigen. Wenn man die Höhe erklimmt, wird man ein wenig außer Atem kommen. Es ist ein Genuss, auf einmal das stille, schöne Häuschen zu erreichen, nachdem man erst Erschöpfung durchlebt hat, sagt sie. Sich mit dem Bewusstsein des eigenen Heims unbeschwert und entspannt auf der untersten Stufe der Treppe niederzulassen, ist Genuss, sagt sie. Sie scheint zu glauben, dass es nötig ist, einen Berg zu besteigen, Anstrengung vorauszuschicken, um in den Genuss zu kommen, sich erschöpft im eigenen Heim niederzulassen.
Analog muss man, um das Haus im Grunde einer Schlucht zu erreichen, hinabsteigen. Obwohl es in die Erde gehauene Stufen geben mag, ist das Hinabsteigen anstrengend. Die Beine werden müde. Es ist zwar nicht sehr schwer, das Tempo beim Hinabsteigen zu kontrollieren und zu bremsen, aber man muss aufpassen. Nachdem man so angespannt hinabgestiegen ist, kann man schließlich drei-vier Schritte zum Haus frei laufen und sich wie oben beschrieben erschöpft auf der Treppe niederlassen. Das ist Genuss.
So wie das Hinaufsteigen auf den Berg ist auch das Hinabsteigen in die Schlucht anstrengend. Diese Erschöpfung steigert die Behaglichkeit des Hauses, erhöht seine Wirkung als Zuflucht, sagt sie. Dass dieses mehr als zwanzig Jahre jüngere Mädchen solche seltsamen, mir nie gekommenen Gedanken hegt, ist beachtlich. Wenn es auch nicht weiß, dass im Gedicht Reim unwichtig ist oder wer kürzlich als Träger des Literatur-Nobelpreises bekannt gegeben wurde, so weiß es doch, wo man ein Haus bauen sollte. Wenn es auch nicht weiß, dass die klassische Musik von Chopin und Tschaikowski keinen Text enthält, dass es in den Gemälden von Mondrian keine Berge, Wälder, Flüsse, Menschen und andere belebte und unbelebte Formen gibt, dass Dorfstatthalter Sein Beda, der den Ehrentitel Ney-myou-bala-kyo-thu (Der stärker ist als einer vom Stamm der Sonne) inne hat, einige Stücke ohne Gesang vorträgt, dass der Ananda-Tempel von Bagan ein Gedicht in Ziegel und Mörtel ist, so ist doch, dass sie über Häuser Bescheid weiß, eine Sache, die man der Welt mitteilen sollte, denke ich.

Eine Ausnahme nennt sie: Wenn sie mit mir zusammenleben würde, dann könnte ihr auch ein einstöckiges Häuschen am Meeresufer gefallen. Und dann sagt sie noch, dass sie so nachgeben kann, weil sie mich liebt. Sie ist mit mir zusammen. Wir treten wieder auf die Veranda an der Vorderseite des Bau-Bungalows und setzen uns. Der Mond steht ziemlich hoch. Obwohl mir der Wind vom Meer her warm erscheint, ist die Haut meiner Oberarme kühl. Dass der Duft des Orangenshampoos aus ihrem Haar mit der Zeit an Intensität nachlässt, gefällt mir. Ich höre ein Blatt vom Eukalyptusbaum auf den Sandstreifen in der Ferne fallen.
Wieder setzt sie vor meinen Namen die Anrede „U“ wie Onkel. Wir hatten von Anfang an einvernehmlich vereinbart, dass sie das tut. Aber ich möchte diese Vereinbarung abschaffen. Wenn ich genau überlege, ist es, als ob mir diese Anrede gefällt. Bei dem Altersunterschied zwischen diesem Mädchen, das seinen Kopf an meine Schulter lehnt und ununterbrochen redet, und mir, ist das vielleicht angebracht. Egal, wie unterschiedlich das Alter ist. Soll sie mich doch Onkel nennen, entscheide ich still für mich. Die kühle Brise trägt peinlichen Tratsch herbei. Ich schütze sie, indem ich sie mit meinem ganzen Körper umarme. Im Blumenkorb ist eine behaarte Raupe mitgekommen. Ihr Bauch ist grün, und ihre vielen Füße sind leuchtendrot und zart.

Nächste Seite >>>