"Die Nacht im Kanal" von Zeyya Linn
„Was ist denn, Junge?“
Mutter hielt ihn in den Armen und sprach leise buddhistische Verse vor sich hin. Er hatte vor Angst geheult wie ein Mädchen. Dafür schämte er sich nun.
„Ich traue mich auch allein zu schlafen.“
Sein unerklärliches Verhalten hatte ihn durcheinander gebracht. In den warmen Armen der Mutter fühlte er sich sicher.
„Ist schon gut, mein Kind. Mama schläft heute bei dir.“
Plötzlich sah er das Gesicht des Vaters. Eine weiße, harte Steinfigur.
„Papa so allein tut mir Leid.“
„Ist schon gut. Er ist ja erwachsen.“
Er war ein tapferer Junge. Er traute sich, allein zu schlafen. Er hatte keine Angst allein in der Dunkelheit.
„Mama.“ – „Ja?“
Er blickte zur Mutter auf und berührte mit seiner kleinen Hand ihre Wange. Mutter lächelte ihn liebevoll an.
„Wenn ich groß bin, werde ich nicht mehr weinen, ja?“
„Bestimmt.“
Als er am Morgen aufwachte, lag Mutter nicht mehr neben ihm. Er hörte Geräusche in der Küche. Er stand auf und ging in die Küche. Normalerweise machte Mutter Essen, und Vater saß da und trank Kaffee. Oft las er auch in der Zeitung. Vater schien nicht im Hause zu sein. Mutter sagte, er sei morgens ganz früh ins Büro gefahren. Er wusste nicht, was er Vater sagen wollte. Aber irgendwie wollte er ihn sehen.
Während er auf den Schulbus wartete, war aus dem Kanal nichts mehr zu hören. Noch bevor er aufgestanden war, hatten die Leute die Kuh aus dem Kanal geholt, hatte Mutter gesagt. Dann hatten sie der Kuh die Beine verbunden, und sie war nach Hause gelaufen, so hatte Mutter erzählt. Er wollte von dieser Sache, von dem ganzen Vorfall, nichts mehr hören und nichts mehr wissen. Er wollte es verdrängen und vergessen. Die Straße war sauber wie frisch gewaschen. Er beobachtete, wie Menschen und Autos sich darauf bewegten, als wäre überhaupt nichts geschehen.
Weitere Myanmar Kurzgeschichten:
"Moskitos" von Aung Nay Thway
"Der Notfall" von Gyo Zaw
"Der zu viel wollte" von Hpe Myint
"Traum auf einer Hängebrücke" von Ju
"Hässliche" von Khin Khin Htoo
"Ein Sitzplatz" von Lai Twin Thar Saw Chit
"Maung Maung Thans Geschäftsidee" von Ma Sandar
"Sein Horoskop" von Ma Wint (Myit Nge)
"Mein Vater und ich" von Maung Aye Mya
"Sehnsucht nach Meru" von Maung San Win (Bhamo)
"Die nutzlose Frau" von Min Lu
"Yurou tu thaun-sin" von Min Lu
"Hoffnungswolken" von Myu Myu
"Der Fluch" von Nay Win Myint
"Das ist doch nicht Vater" von Nu Nu Yi (Innwa)
"Kohle ist eben schwarz!" von Nyi Pu Lay
"Zu welcher Zeit auch immer" von Nyo Thi San
"Der Ruf des Tokkeh" von Pain Soe Way
"Die Zeitmaschine" von Thet Htun (Hsay Theippan)
"Das Ich-Versteh-Nicht Hemd" von Thitsar Ni
"Die Früchte der Bosheit" von Thu Maung
"Ein lebender Leuchtturm" von Thwin Hsan Maung
"Mitgefühl von 59 nach 13" von U Tin Oo (Tuition)
"Die Nacht aus dem Meer ist eine Padaukblüte" von Zaw Zaw Aung
"Die Nacht im Kanal" von Zeyya Linn