"Ein lebender Leuchtturm" von Thwin Hsan Maung

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Das sonst heitere Gesicht der Lehrerin Aye Thidar wirkte bewegt. Während sie über die Krücken auf ihrem Schoß strich, suchte sie nach Worten.
„Herr Soe Chit und Frau Nyo Ma, seien Sie so lieb und hören Sie bitte genau zu: Das Leben meiner Schüler ist mein Leben. Ich habe immer alles vermieden, was sie betrüben könnte. Ich bin nicht Lehrerin geworden, weil ich zufällig gestolpert und vom Weg abgekommenbin.“
Innere Bewegung ließ ihre Stimme vibrieren und schnürte ihr die Kehle zu. Mühsam hielt sie die Tränen zurück. Waing Chit nahm die Worte und das Tun seiner Lehrerin mit ganzem Herzen auf. Dass ihm vom Waschen fröstelte, hatte er vergessen.
„Waing Chit, geh und zieh dir ein Hemd an!“
„ Nein, ich möchte hören, was die Lehrerin sagt!“
Die Lehrerin registrierte zufrieden und erfreut seinen besonderen Charakter. Waing Chit würde sich so entwickeln, wie sie es ihm wünschte, ohne ihn mühsam erziehen zu müssen.
„Geh, Söhnchen, ich werde warten, ohne zu reden.“
Die Lehrerin hatte nicht darüber sprechen wollen. Aber nur, wenn die Eltern über sie Bescheid wüssten, werden sie mehr Verständnis haben.

„Frau Lehrerin, da bin ich!“
Er hatte ein noch ungewaschenes Hemdchen angezogen und kam heran, um dem Gespräch zuzuhören.
„Eigentlich möchte ich über diese Sache nicht reden. Aber nur, wenn ich es sage, wird Ihnen klar werden, was ich meine. Ich weiß, dass es Leute gibt, die als Lehrer arbeiten, weil sie Schwierigkeiten haben, einen anderen Job zu finden. In meinem Leben aber war es genau andersherum.“
Die Lehrerin blickte gedankenverloren zu den Reisfeldern hinüber. In ihren Augen war eine Spur von Traurigkeit.
„Als ich in der zehnten Klasse war, hatte ich einen Lehrer, wie man ihn nur selten trifft; später ist er dann zu meinem Förderer geworden. In jenem Jahr kam ein neuer Mitschüler in unsere Klasse. Ich, die ich mich sonst ruhig auf den Unterricht konzentrierte, sah ihn, und mein Gemüt geriet in Aufruhr. Von allen Jungen, die ich je gesehen habe, ist er der schönste, dachte ich. Seit jenem Tag schämte ich mich dafür, dass ich mit Krücken zur Schule kommen musste. Ich wollte nicht mehr zur Schule gehen. Ich war am Boden zerstört. Noch schlimmer machte es ein Satz, den er zu mir sagte: „Ich hatte ein Auge auf dich geworfen, aber ich wusste nicht, dass du an Krücken gehst.“
Ich war drauf und dran, mein passables Gesicht mit dem Messer zu zerschneiden. Wenn der Lehrer, mein Wohltäter, von derSache nichts mitbekommen hätte, wäre ich nicht Lehrerin geworden. Mein Leben hätte schon sehr früh zu Ende sein können. Seine Ermahnungen und Ermutigungen haben mir Kraft gegeben. Dahabe ich den außerordentlich großen Wert guter Lehrer begriffen, gleichsam lebende Leuchttürme. Er hat mich aus der bitteren Finsternis meiner unglücklichen Liebe wieder ans Licht geholt. Nach Abschluss der zehnten Klasse habe ich mich dann bewusst – obwohlich dank guter Noten auch etwas anderes hätte werden können – für den Lehrerberuf entschieden.“

 

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