"Ein lebender Leuchtturm" von Thwin Hsan Maung
Die Lehrerin tupfte mit dem Taschentuch einige Tränen ab. Auch Waing Chit hatte Tränen in den Augen.
„Söhnchen, ich sage dir etwas Tolles. Ich habe ein Bild verkauft, das ich in meiner Freizeit gemalt hatte. Und ich habe mir überlegt, mit dem Geld euch Kindern ein Geschenk zu machen, an das ihr euch erinnern werdet. Was halten Sie davon, Frau Nyo Ma?“
Nyo Ma hatte das Rollen der Zigarren unterbrochen und den Worten der Lehrerin aufmerksam zugehört. Soe Chit war aufgestanden und hinter das Haus gegangen, um sich das Gesicht zu waschen. Es sah nicht mehr so aus, dass er den Jungen daran hindern wollte, mit der Lehrerin zu gehen. Bedauern über seine voreiligen Worte überkam ihn.
„Ich möchte, dass Waing Chit eine Geschichte vorträgt. Vorher werde ich in der Klasse Fragen ausgeben. Wer aufmerksam zugehört hat , wird sie beantworten können. Es sind natürlich Fragen, die zum Nachdenken anregen. Dann gebe ich ihnen Preise. Zumindestens bekommt jeder einen Bonbon. Ist das nicht eine gute Idee? Die Geschichten sind nicht schwierig. Du kennst sie ja schon – „Der Wettlauf zwischen Hase und Schildkröte“ und „Die kleine Htway“, die ich schon oft erzählt habe…“
Die Lehrerin Aye Thidar holte ein weißes Hemd und einen grünen Longyi aus ihrer Tasche. Dann rief sie Waing Chit herbei und zog ihn ordentlich an. Im Geiste jedoch blickte sie mit Anerkennung auf den kleinen großen Märchenerzähler. Ein vielversprechendes Juwel, von ihrer Hand poliert.
„So, jetzt bist du viel hübscher. Wenn wir in die Schule kommen, werden dich deine Kameraden nicht wiedererkennen. Ma Nyo, ich nehme ihn mit, ja? Die offenen Bücherrechnungen habe ich ausgelegt.“
Waing Chit und seine Lehrerin Aye Thidar gingen zur Schule hinüber. Waing Chits Füße berührten kaum den Boden – wie bei einem Fußballspieler, der das Siegtor geschossen hatte. Schön, dass der frischgestärkte Longyi so steif herunterhing. Aber was war nun wieder los? Seine Schritte wurden langsamer.
„Frau Lehrerin, wenn das Erzählen vorbei ist, muss ich den Longyi und das Hemd zurückgeben, nicht? Ich habe vergessen, etwas zum Wechseln mitzunehmen. Ich muss noch mal nach Hause, ja? Warten Sie bitte einen Augenblick?“
Waing Chits Worte versetzten der Lehrerin einen Stich ins Herz. Was für ein ehrliches Kind!
„Du brauchst sie nicht zurückzugeben, mein Junge. Sie sind ein Geschenk für dich.“
Waing Chit wird sicher vor Freude einen Luftsprung machen, dachte die Lehrerin. Aber der kleine Geschichtenerzähler überlegte angestrengt.
„Sie haben mal gesagt, dass man nichts umsonst bekommt… Ich möchte sie nicht umsonst. Das Hemd und der Longyi gefallen mir schon gut. Aber meine Eltern haben kein Geld.“
Im Innern von Aye Thidar wechselten Freude und Traurigkeit wie Licht und Schatten.
„Wenn das so ist, musst du mir etwas versprechen. Was es auch ist, machst du’s?“
„Ja, ich versprech’s. Ich werde fleißig lernen, um ein guter Lehrer zu werden wie Sie, wenn ich groß bin .“
Aye Thida sah auf Waing Chits kleinen Rücken und musste lächeln.
„Du bist noch jung. Um das zu sagen, ist es viel zu früh. Das Versprechen, das ich haben will, ist, dass du nicht wie der flinke Hase im Märchen faul bist und schläfst. Das ist alles.“
Von der Schule her klang die Melodie der Schülerstimmen, die den Lehrern Dank sagten, weit ins Land. Und die Schatten spendenden Bäume vor ihr schwankten, als ob sie sich im Takt der Melodie wiegen würden. Die Zukunft der Kleinen hing vom Himmel über ihren Köpfen ab. Möge das Wetter gut und frei von dunklen Schatten sein!
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