"Mein Vater und ich" von Maung Aye Mya

<<< Vorherige Seite

 

„Man sagt, es gibt zwei Arten von Kamma, Vater, das vergangene und das gegenwärtige. Das Kamma aus der Vergangenheit ist so, wie du sagst. Richtig. Aber das Kamma der Gegenwart wird wohl zu einem Teil auch von unseren jetzigen Willensregungen und unseren Anstrengungen bestimmt. Dass Tin Nyunts Familie jetzt arm ist, hat nicht allein mit ihrem Kamma aus der Vergangenheit zu tun. Es werden auch ihr jetziges Tun und Lassen eine Rolle spielen, nach dem, was ich darüber gelesen habe.“
Bei allem, was ich sagte, passte ich auf, dass ich nicht vergaß, am Ende „habe ich gelesen“ hinzuzufügen.
„Aber nein, Junge! Sie strengen sich doch an, sogar mehr als wir. Aber es kommt einfach nichts dabei heraus. Du kennst doch den Spruch: Ohne gutes Kamma hilft auch der hellste Kopf nicht aus der Armut.“
Vater wollte offensichtlich nicht nachgeben. Er hatte seine Argumente und war entschlossen, sein Weltbild wasserdicht zu halten. Ich sagte, nicht ganz ernst gemeint:
“Wenn die vier Grundlagen der Existenz Kamma, Denken bzw. Bewusstsein, Physis und Nahrung sind, dann ist es eben nicht nur Kamma, sondern auch noch Verstand, Physis und Nahrung. Nehmen wir das Denken. Ein Beispiel aus einem Buch: Dass du jetzt hier nach Yangon gekommen bist, liegt doch nicht am Kamma. Ist es nicht viel mehr, weil du in deinem Innern kommen wolltest? Wenn du nicht gewollt hättest, wärst du natürlich nicht gekommen.“ Vater wollte dieses Argument eigentlich nicht gelten lassen. Aber es war kaum zu leugnen, und ich sah ihm an, dass ich ihn damit ein Stück weit erwischt hatte. Er überlegte eine Weile und sagte dann:
„Wie sehr ich auch hätte kommen wollen, wenn das Kamma dagegen gestanden hätte, wäre ich kurz vorher krank geworden, oder es wäre unterwegs etwas mit dem Bus oder dem Zug passiert. Allein das Kamma ist entscheidend!“
Mir schien, er wollte einfach nicht nachgeben. Er war wohl überzeugt, dass es keinen Sinn hatte, wenn wir zwei uns noch weiter gestritten hätten. Zu einem späteren Zeitpunkt sollte die Gelegenheit kommen zu beweisen, dass seine Horoskope nicht immer richtig waren. Allerdings war diese Gelegenheit mit einem Ereignis verbunden, welches ich mein Leben lang nicht werde vergessen können.

Es war zur Zeit des Wasserfestes im April 1997, als mich meine Schwester anrief und sagte, dass Vater krank sei und ich so schnell wie möglich kommen sollte. Ich nahm den nächsten Zug nach Hause. Es hieß, Vater hätte ein Geschwür im Darm. Zu jener Zeit gab es nur wenige Ärzte bei uns im Ort. Und keiner machte Hausbesuche. Meist musste man zum Krankenhaus fahren. Die Zeit ums Wasserfest ist besonders heiß und trocken. Vater litt unter Darmblutungen, und es tat mir weh, ihn so unter der Hitze und der Erkrankung leiden zu sehen. Er sah etwas niedergeschlagen aus. Wegen der inneren Blutungen war sein Blutdruck sehr niedrig. Das Fieber pendelte zwischen 39 und 40 Grad. Aber meine Ankunft gab ihm etwas Kraft.

Nächste Seite >>>