"Sehnsucht" von Maung San Win (Bhamo)
Wenn es Zeit, ins Büro zu gehen gewesen wäre, pflegte Vater auf seinen krummen Gehstock gestützt mühsam zu unserem Haus herüber zu kommen. „Mein Sohn, die Sonne steht schon hoch am Himmel. Mach dich fertig, um zur Arbeit zu gehen!“ Er hatte es sich zur täglichen Aufgabe gemacht, mich daran zu erinnern, dass ich rechtzeitig losging. Manchmal traf er mich an, meistens aber meine Frau. „He Mya Nwe, wo steckt den San Win?“ rief er dann. „Der vergisst doch nicht zur Arbeit zu gehen, oder?“ „Nein, Schwiegerpapa, er ist eben zur Tür hinaus.“ „Oh, tatsächlich? Recht so. Recht so!“ Von einer Wand aus Bambusgeflecht verdeckt, sah ich meinem Vater nach, der für die Wahrheit hielt, was ihm seine Schwiegertochter da vorlog, und meine Tränen strömten. Zur Feierabendzeit schaute Vater oft noch einmal bei uns vorbei. Wenn er mich nicht antraf, fragte er meine Frau: „Mya Nwe, ist San Win noch nicht von der Arbeit zurück?“, und sprach sorgenvoll weiter:
„Ob er soviel Arbeit hat? Oder mit den Kollegen noch etwas essen gegangen ist? Oder vielleicht ist ihm das Fahrrad unterwegs kaputtgegangen?“ Traf er mich hingegen an, sagte er: „War alles in Ordnung im Büro heute, nicht wahr?“ „Ja Vater. Alles O.K.“, antwortete ich stets. „Hm, gut so, gut so.“ Nachdem er eine ihn zufrieden stellende Antwort bekommen hatte, pflegte er sich auf seinen Stock gestützt wieder mühsam auf den Heimweg zu machen. Wie könnte ich diese Bilder, diese Geschehnisse vergessen? Wie werde ich je wieder gut machen können, dich wegen meines Scheiterns immer wieder angelogen zu haben, Vater?
Jetzt aber hatte Vater seinen Sohn und seine ganze Familie verlassen, um in ein neues Leben aufzubrechen. Bis zu seinem Tode hatte er daran geglaubt, dass ich ein wichtiger Beamter sei. Er nahm das Glück und die Zufriedenheit, mit der ich ihn erfüllt hatte, mit auf den Weg in die nächste Existenz. Ob er, wenn er irgendwo dort die Wahrheit über mich erfährt, über mich spottet? Oder ob er untröstlich sein wird? Mit dem schlechten Gefühl darüber, meinen Vater belogen zu haben, bleibe ich zurück. Meine verspätete Reue wächst ständig. Unter der traurigen Sonne des Frühsommers äscherten wir Vater ein und begruben ihn. Gemeinsam mit ihm wurden auch die Hoffnungen begraben, die er in mich gesetzt hatte.
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