"Traum auf einer Hängebrücke" von Ju

<<< Vorherige Seite

Den Verlauf unserer Treffen erlebte ich wie einen Stummfilm. Als unsere erst unbemerkt einander fernen Lebensbereiche wirklich weit weg waren, hatte ich keine Gelegenheit, nachträglich meine Sehnsucht in Worte zu kleiden, und wir trafen uns nur im Traum. Khin Wan, der von einem Hügel aus in einen Brunnen sah und „Oh, Hnin!“ rief, war wesentlich besser dran als ich. Ich hatte nicht einmal den Mut „Ko Ko!“ zu rufen und schrieb nur schüchtern seinen Namen auf die Sandbank am Ufer des Flusses. Obwohl alle, die mich gut kannten, mir wohl im Stillen vorwarfen, ich sei kraftlos wie ein Halm, der im Wind schwankt, murmelten die Muschelschalen und Wellen an der Sandbank am Fluss meiner gutmütigen Stadt freundlich dazu.
Mein Liebster, den ich wohl nicht wiedersehen werde, und der, selbst wenn ich ihn wiedersähe, mich kaum so anlachen würde wie damals, hat zwanzig Jahre lang in dieser Stadt gelebt. Wer in der Schule die Geographie Myanmars gelernt hat, wird dabei wenigstens den Namen meiner Stadt schon einmal gehört haben. Auf Karten, die das Vorkommen von Bodenschätzen anzeigen, ist an ihrer Stelle ein Symbol für die Förderung von Erdöl zu sehen. Sie ist sonst nur als ein kleiner schwarzer Punkt am Ostufer des Ayeyarwady eingezeichnet.
Auf einer Streckenkarte der myanmarischen Eisenbahn ist meine Stadt nicht enthalten. Sie hat nur Auto- und Wasserstraßen. Und sie liegt an der Schnellstraße Nummer zwei von Yangon nach Mandalay. Welche Merkmale muss ein Ort wohl aufweisen, damit er als Stadt gilt? Einige Leute würde meine Stadt eher als ein langgezogenes Dorf bezeichnen. Wahrscheinlich, weil sie nur sehr schmal in ihrer Ausdehnung ist, aber in die Länge gezogen.
Wie auch immer, wir, die wir von dort kommen, bezeichnen unseren Ort, in dem sich das Büro des Township Council und jetzt auch ein neu eröffnetes College befinden, liebevoll als Stadt. Dreißig Prozent Sandboden, in den man bis zu den Knöcheln einsinkt, dreißig Prozent Kakteen und dorniges Htanaungestrüpp, dreißig Prozent gewöhnlich mit Pferdemist und Stroh bedeckte harte Roterdeklumpen in allen Größen und zehn Prozent Staub, den der Wind herbeiträgt – all das vermischt bildet die zwischen Berge und Täler gewundene Fläche, auf der unsere Stadt entstand.

 

Straßen, die ansteigen, abfallen und sich durch zahllose Kurven und Kehren winden, sind eines ihrer besonderen Kennzeichen. Mal angenommen, ein Reisender kommt nachts schlafend in einem Bus durch die Stadt. Wenn der Fahrer bis in den ersten Gang herunterschalten muss, damit sich der Bus laut quietschend und keuchend die Steigungen emporwinden kann, dann braucht dieser Reisende nicht einmal die Augen aufzumachen, um zu wissen, dass er durch unsere obermyanmarische Kleinstadt fährt. Wenn die Scheinwerfer des Busses dann die schiefen Hütten beiden Ölfeldern beleuchten, empfinden die Reisenden möglicherweise Mitleid. Wenn die Scheinwerfer auf das steile Gefälle und den Abgrund unter der eisernen Brücke fallen, werden die Reisenden unversehensden Buddha anrufen. Wenn ich in europäischen Filmen nächtliche Szenen sehe, in denen der kühle Nebel aufsteigt, so dass die Straßenlaternen nur noch blass und verschwommen zu erkennen sind, muss ich oft an meine weit entfernte Stadt denken. Was in diesen Filmen der Nebel ist, das ist in meiner Stadt der Staub in der Luft. So staubig wie es im Sommer ist, so kalt und klamm wird es dort im Winter. In der Schule habe ich gelernt, dass die Jahresniederschläge bei uns immer unter tausend Millimeter bleiben. Aber wenn es dann einmal regnet, dann eine ganze Woche ohne Unterbrechung.

Nächste Seite >>>