Das Thema „Reisen“ ist so vielschichtig wie die Menschen, die eine Reise unternehmen. So gibt es viele verschiedene Ansichten, was eine Reise überhaupt ist: Den einen kann sie zum Beispiel in einen All-inclusive-Ferienclub führen, während andere es niemals wagen würden, einen solchen Aufenthalt überhaupt als Reise zu bezeichnen. Viele gehen auf Reisen, um sich selbst besser kennenzulernen, fremde Kulturen zu entdecken oder die Welt zu erobern, während die meisten einfach nur entspannen und abschalten möchten. Manche setzen den Begriff Reise mit Urlaub gleich – für viele sind das jedoch zwei vollkommen verschiedene Arten, ihre Zeit zu verbringen. Doch egal, was jeder Einzelne unter einer Reise versteht, etwas bleibt – um es mit den Worten des Philosophen Ernst Bloch auszudrücken – stets gleich: Jede Reise muss freiwillig sein, um zu vergnügen.
Dabei begab man sich seit Menschengedenken auf Reisen – daran hat sich bis heute nichts geändert: Ob mit dem Wagen, der Bahn, per Flugzeug oder Fähre, in der Kutsche, am Pferd oder per pedes – man reist(e). So hat sich im Laufe der Zeit natürlich einiges geändert, vor allem, was den Komfort und die Geschwindigkeit beim Verreisen betrifft. Auch die Gründe für das Reisen sind heute anders: Früher ging man in erster Linie mit religiösen oder wirtschaftlichen Absichten auf Reisen, heute handelt es sich dabei häufig um die viel zitierte schönste Zeit im Jahr: Raus aus dem Alltag, Neues erleben oder Ruhe finden – das sind die Schlagworte, mit denen die Reiseagenturen vielerorts werben.
Reisen im Mittelalter
Im Mittelalter gab es natürlich noch keine Reisebüros, die einem das beste Angebot vermitteln und einem die Organisation weitestgehend abnehmen konnten. Schließlich ging es auch nicht darum, eine möglichst angenehme Zeit zu verbringen – die meisten Reisen waren wirtschaftlich oder religiös motiviert, häufig sehr anstrengend und mit großen Mühen verbunden. So verreisten im Mittelalter in erster Linie Kaufmänner, Soldaten oder Pilgerleute. Frauen begaben sich meist erst gar nicht auf eine Reise – bis auf einige Damen adeligen Geschlechts.
Das größte Hindernis bei einer Reise war damals die Natur: Man musste stets auf der Hut sein, um die Orientierung zu bewahren. Unbekannte Gegenden, keine Wegweiser und schlechte Landstraßen konnten Reisenden unter Umständen das Leben kosten. So versuchte man, auf den Hauptverkehrswegen – in Deutschland zum Beispiel auf dem sogenannten „via regis“ (Königsweg) – zu bleiben. Auch dabei handelt es sich meist nur um unwegsame Gebiete bzw. Feldstraßen, in denen man bei Regen oder Schneefall in Schlamm, Pfützen und Matsch versank. Doch dem nicht genug: Auch vor einem Überfall durch Räuber und Banden war man nie sicher, ebenso konnten Wildschweine oder Bären zu einem lebensbedrohlichen Problem auf Reisen werden. So wundert es nicht, dass viele vor Antritt einer Reise ihr Testament aufsetzten.
Entsprechend groß war jeweils die Erleichterung, wenn man bei einer Herberge oder einer anderen Unterkunft eintraf, um sich zu stärken und zu übernachten. Übrigens war die Gastfreundschaft damals viel ausgeprägter als heute: Fremde wurden gerne aufgenommen und verköstigt. Das Wissen, wo es gute Wege und angenehme Unterkünfte gab, bezeichneten Kaufleute damals als die Kenntnis über „Weg und Steg“ – für eine erfolgreiche Reise war dies unverzichtbar.
Abgesehen vom Fortkommen und der Unterkunft sowie den Gründen für eine Reise hat sich auch in Bezug auf die Dauer des Verreisens einiges geändert: So nahmen Reisen im Mittelalter viel mehr Zeit in Anspruch als heute. War man zu Fuß unterwegs, konnten maximal 30 bis 40 Kilometer täglich zurückgelegt werden. Auch mit Pferden war man nicht viel schneller – schließlich durfte man diese auch nicht überbelasten. Noch weniger Kilometer schaffte man mit dem Ochsenkarren, dem beliebtesten Transportmittel für Kaufleute: Gerade einmal 15 bis 16 Kilometer am Tag konnte man damit seine Waren weitertransportieren.
Reisen im 18., 19. und 20. Jahrhundert
18. Jahrhundert: Der Bildung wegen reisen
Im Laufe der Zeit entschieden sich immer mehr Menschen für eine Bildungsreise: Sie erreichte im Verlauf des 18. Jahrhunderts ihren Höhepunkt. Das Vorrecht, eine solche Reise zu unternehmen, blieb zunächst natürlich dem Adel und den Reichen vorbehalten. So brachten vor allem Reisende aus England die Bildungsreise in Mode: Sie zogen ins Ausland auf die „Grand Tour“, um Kulturen und Küste des europäischen Festlandes zu erforschen. Üblich war es auch, seinen Nachwuchs auf eine solche Reise zu schicken. Beliebte Reiseziele waren damals die kulturellen Zentren, wie Wien, Paris, Nizza, Rom, Florenz und Venedig.
Der bekannteste Bildungsreisende war wohl Goethe: Er begab sich im September des Jahres 1786 auf seine erste Reise nach Italien. Zunächst war ein Aufenthalt von einigen Monaten geplant, doch letztendlich kehrte er erst nach zwei Jahren wieder zurück. Dabei hatte es sich Goethe zum Ziel gesetzt, die Antike neu zu erfahren. Sehr schnell begann er jedoch, auch das gewöhnliche Leben in Italien zu entdecken und sich zu entspannen. Dabei entstand die „Italienische Reise“, das bis heute zu seinen beliebtesten und meistgelesenen Werken zählt.
Während es sich Goethe auf seinen Reisen leisten konnte, in seiner Kutsche ein eigenes Bett und einen Koffer mit Extra-Fach für seinen Zylinder mitzunehmen, reisten weniger Begüterte mit entsprechend weniger Gepäck und Komfort: Ein einfacher Tornister aus Wolfsfell, in dem man ein Hemd, etwas Unterwäsche und die wichtigsten Medikamente verstauen konnte, musste genügen.
Ein Luxus im 19. Jahrhundert: Die Entwicklung der Erholungs- und Vergnügungsreisen
Im 19. Jahrhunderte konnten sich Luxusreisen – die man durchaus mit heutigen Reisen vergleichen kann – etablieren. Man reiste, um sich zu vergnügen und zu erholen. Die idealen Reiseziele mussten schon etwas Besonderes sein: Italien oder das Rheingebiet lockte nicht mehr. Spaß haben und Außergewöhnliches entdecken – das war das Motto. So reiste man zum Beispiel mit dem Dampfer nach Ägypten oder stieg in den Orientexpress nach Istanbul. Passend zu den extravaganten Reisezielen war natürlich auch das Gepäck: Man nahm in der Regel zwei bis drei Schrankkoffer beträchtlichen Umfangs mit – schließlich durften diverse Hutschachteln, Bürsten, Pulver, Schmink- und Rasierzeug sowie Kleidung in großer Auswahl auf Reisen nicht fehlen.
Wer sich ein Bild dieser Luxusreisen machen möchte, dem seien Agatha Christies Krimis „Der Tod auf dem Nil“ sowie „Mord im Orientexpress“ empfohlen: Besonders anschaulich werden hier die Atmosphäre und der Ablauf solcher Reisen geschildert. So reiste auch die Autorin selbst öfters nach Arabien und Ägypten – auch, um ihren Mann, einen Archäologen, zu begleiten.
Reisen heute
Reisen heute: Jeder, wie er will!
In Bezug auf das Reisen gibt es heute nichts, das nicht möglich ist: mit dem Schiff (z.B. Kreuzfahrten), zu Fuß, mit dem Fahrrad, mit der Eisenbahn, mit dem Flugzeug, auf dem Pferd, auf dem Kamel, mit dem Auto – durch die Wüste, das Outback, über die Weltmeere, auf die höchsten Berge, in die pulsierenden Metropolen, ins Kloster oder auf die Alm – im Luxushotel, in der Jugendherberge, im Zelt, in der privaten Unterkunft, unter freiem Himmel oder in der Pension.
So begeben sich heute viele wie zu mittelalterlichen Zeiten zu Fuß auf eine Reise – zum Beispiel auf dem Pilgerweg. Auch Bildungsreisen sind beliebt: Sie führen junge Amerikaner nach Europa auf die Spuren von Kultur, Spaß und Tradition. Luxusreisen gibt es sowieso en masse: Wer das nötige Kleingeld hat, kann sich auch eine ganze Insel mieten.
Sport-, Action- und Extremurlaube sind auch beliebt: Free-Climbing, Wildwasser-Rafting oder Höhlenklettern sind die Renner für jene, die ihre Grenzen erfahren möchten. Städtereisen, Kultururlaub oder Shopping-Touren – jeder, wie er es mag!
Besonders großer Beliebtheit erfreuen sind nach wie vor auch die vielen Wellness-Angebote: Der eigenen Gesundheit etwas Gutes tun – lautet hier die Devise und wenn man so will, lässt sich ein Wellnessurlaub auch durchaus mit der früheren Sommerfrische vergleichen. Für viele endet die Reise heute aber auch am Campingplatz, während andere mit dem Rucksack quer durch ganze Kontinente reisen … und nicht zu vergessen die vielen Menschen, die sich auf Weltreise befinden oder das Reisen überhaupt zu ihrem Beruf gemacht haben.
Man sieht: Heute ist alles möglich! Die meisten erwarten sich allerdings dasselbe von einer Reise: Hauptsache, die Sonne strahlt vom Himmel und das Meer/der See/der Berg ist nur wenige Schritte entfernt. Und wie man heute den Begriff Reise definiert, das bleibt letztendlich jedem selbst überlassen!
Quellen:
www.zeit.de/2001/18/Seele_flieg
Buchtipps zum Thema "Geschichte des Reisens"*
Ulrich Wirths, Eine Kulturgeschichte des Reisens. Von Reiselust und Reiseleid online anschauen und bestellen ...
Gabriele M. Knoll, Kulturgeschichte des Reisens: Von der Pilgerfahrt zum Badeurlaub online anschauen und bestellen ...
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