Typisch portugiesisch!

Lissabon © if-reisebuch.de
Die Altstadt von Lissabon © if-reisebuch.de

Was ist typisch portugiesisch? *

Der portugiesische Romancier Eço de Queiroz sagte von sich: „Ich bin durch und durch Portugiese. Unheilbar romantisch, melancholisch, und lebensdurstig.“

Keine Frage, Portugiesen sind stolz darauf, Portugiesen zu sein. Einerlei, ob im Norden geboren, im Süden, in der Kapitale oder in den Bergen, fühlt sich jeder Portugiese im Herzen mit seiner Heimat verbunden und nimmt seine Traditionen und seinen Glauben überall mit hin.

Und kaum eine zweite Nation hat sich derart zahlreich über die fünf Kontinente ausgestreut wie dieses am Ende der Welt im Südwesten von Europa seit über 850 Jahren zusammengewürfelte liebenswerte Völkchen der Portugiesen, zusammengerauft aus den drei Kulturkreisen der Kelteniberer, der Westgoten und der iberischen Mauren.

Neugierig von Natur aus und von jeher eine Seefahrernation, entdeckte eine Handvoll Männer mit ihren Frauen die Seewege über die Weltmeere zu anderen Kontinenten, Ländern, Völkern, Kulturen und Sitten und brachte seit dem ausgehenden Mittelalter reichlich Kulturwissen mit zurück in ihr Land. Gleichzeitig verbreitete sich die portugiesische Kultur, ihre Architektur, ihr Glauben an die Heilige Dreifaltigkeit und ihre Sprache auf den damals bereits bekannten vier Kontinenten. Ihre Kulturwurzeln außerhalb Kontinental-Portugals blieben in insgesamt sieben Ländern und drei Insel-Archipelen bis heute erhalten.

Besungen wurde der Aufstieg des zunächst historisch völlig unbedeutenden Königreiches von einem einäugigen Seefahrer, nicht einmal ein Aristokrat war er. In über 1.100 lyrischen Strophen erhielt die Nation und ihre Sprache ein episches Gesicht, der Dichter, der von sich sagte, kein Dichter zu sein, hinterließ der Nachwelt ein literarisches Weltenwerk an hohem Gesang namens Lusiaden. Ein Werk, das dem Soldaten, dem Bauer, dem Fischer, dem Volk aus dem Herzen sang und nicht die Herrschaft heroisierte, gab dem Nationalfeiertag seinen Namen: Luis de Camões Tag. Gefeiert wird dieser Tag auf der ganzen Welt, in jedem Land, in jeder Stadt, in jedem Dorf, wo Portugiesen leben, am 10. Juni, mit Sardinen, Wein, Fado und Tränen.

Fado © liveinlondon-pixabay.com
Fado, das Lebensgefühl der Portugiesen © liveinlondon-pixabay.com

Kein zweites Volk weint miteinander wegen der Träume, die nie wahr werden, wegen der Sehnsüchte, die sich nie erfüllen, wegen der imperialen Glorie, die niemals wiederkehrt, und wegen der Liebe, die kommt und geht und manchmal bleibt, bis Frau Tod kommt und Herrn Liebe für ewig raubt. In einem Wort: Fado. Der portugiesische Folklore-Gesang kehrt die portugiesische Seele nach außen, die Seele aller Portugiesen, und vielleicht sogar die Seele aller Menschen, aber das verstehen nur Portugiesen, und deswegen gibt es auch bloß hier die Saudade, die gelebte, wahrhaftige und einzig gültige Melancholie. Selbstverständlich sind Portugiesen romantisch. Allein ihre Sprache verführt dazu, diese wunderbar bildhaft lebendige, einzigartig klingende Sprache beschreibt die Dinge immer ein bisschen mehr als das, was sie sind, und schuf das Wort barroco. Alles ist ein bisschen größer, dicker, kleiner, kälter oder heißer, es ist ein bisschen komplizierter und ein bisschen unmöglicher. Nichts ist nur hübsch, alles ist hübscher, gar am hübschesten. Dem Portugiesen geht es nie gut, sondern sehr gut oder gar nicht. Sein Herz schäumt über vor Lebenslust oder es trieft vor Melancholie.

Dazwischen liegt, wenn überhaupt, der marafado, der auf Krawall gebürstete, eigenwillige Trotzkopf, der wie ein Rohrspatz in Überschallgeschwindigkeit schimpft.

Fleißig sind Portugiesen, benutzen ihrer Hände Kraft, dazu eine Prise Improvisationstalent und Cleverness. Sie arbeiten von früh bis spät, auch am Wochenende, vor allem im Dienstleistungs- und Gastgewerbe. Deswegen ist die Mittagspause heilig und wird, wie alles andere auch im Leben, ein bisschen überzogen. Ein bisschen zu spät kommen die Züge, die Schüler, die arbeitende Bevölkerung, die Beamten, im Grunde genommen alle. Aber das stört niemanden, und wenn überhaupt, dann, genau, bloß ein bisschen.

Lebenslustig sind Portugiesen auf jeden Fall. Das gesamte Jahr lang gibt es etwas zu feiern: Nationale Feiertage, regionale Feiertage, Städtetage. Hinzu kommen die Populär-Tanzmärsche, religiöse Feiertage und Feste und in jedem Stadtteil noch ein eigenes Sommerfest. Frei nach dem Motto: Wer hart arbeitet, kann auch fest feiern. So beginnen die Feste auf der Straße erst spätabends, nachdem Portugiesen Feierabend, Haus und Hof in Ordnung gebracht haben und die Familie gegessen hat, und dauern ein bisschen länger als die in anderen Ländern bekannte Sperrstunde. Natürlich muss man irgendwann einmal schlafen, aber vorher wird das Leben genossen, in vollen Zügen, mit allen Sinnen, bei jeder Gelegenheit. Wozu in den Wohnungen herumhocken, vor dem Fernseher lümmeln, mit dem Smartphone spielen, wenn es draußen sommerlich warm ist, wenn Musik spielt und alle tanzen, reden und lachen, da hält es keinen Portugiesen im Haus. Er will hinaus. Leckeres naschen, ein Tröpfchen trinken, ehemalige Kollegen, Cousins, Nachbarn treffen und wissen, was los ist, im Leben der anderen. Im Herzen der anderen. Um zusammen zu leiden, zu weinen oder zu lachen. Das ist der Portugiese. Das ist typisch portugiesisch.

Somos nós, sagen Portugiesen über sich, wir sind wir, und bewahren ihre Traditionen wie einen Schatz, damit sie immer wissen, woher sie stammen und wohin sie gehen.

Denn möglich ist alles, sofern die Seele nicht kleinmütig ist. (Portugiesische Lebensweisheit)

(Catrin George ist u.a. Autorin des Reisebuchs Algarve erkunden und erleben sowie des Kochbuchs Algarve genießen)

Seefahrerdenkmal © if-reisebuch.de
Das Seefahrerdenkmal in Belém © if-reisebuch.de

Gewusst? Im Jahre 1807 musste der portugiesische Hof unter König Johann VI. vor Napoleons Truppen in die damalige Kolonie Brasilien flüchten: Man ließ sich in Rio de Janeiro nieder und daher war von 1808 bis 1821 die Metropole am Zuckerhut die portugiesische Hauptstadt. Bis 1928 herrschte in Portugal Linksverkehr – so lange war Portugal noch stark vom englischen Einfluss geprägt, den Rechtsverkehr etablierten die Franzosen in Europa. Frankreich ist übrigens die zweite Heimat der Portugiesen: Über eine Million der Einwohner in Frankreich stammen aus Portugal (das ist mehr als doppelt so viel wie die isländische Gesamteinwohnerzahl). Und es war eine Portugiesin, nämlich Katharina von Braganza, die den Tee nach England brachte: Sie heiratete im 17. Jahrhundert den englischen König Karl II. und brachte Tee mit zur Hochzeit und somit nach England, da sie nicht darauf verzichten mochte. Es waren portugiesische Jesuiten, die während ihrer Zeit als Missionare in Japan in Nagasaki Tempura erfanden. Die kürzeste Regierungsdauer aller Zeiten hat Luis Felipe von Portugal aufzuweisen: 20 Minuten nach dem Tod seines Vaters starb auch er – in diesen 20 Minuten war er portugiesischer König; in den Königslisten Portugals scheint er aber nicht auf. In Portugal gibt es eine Liste an Namen, die Eltern ihren Babys nicht geben dürfen – darunter Tom, Emily und William. Außerdem ist es per Gesetz verboten, ins Meer zu urinieren.

 

Typisch portugiesisch! ist ein Auszug aus:

Länderlkischees
Alle Iren haben rote Haare